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Jurastudium
Prozesse üben im Gerichtslabor

Im Jurastudium werden Studierende überwiegend darauf vorbereitet, den Beruf des Richters zu ergreifen und Urteile zu fällen. Da die Meisten jedoch später als Rechtsanwälte oder Verteidiger arbeiten, können sie an vielen Unis mittlerweile in simulierten Verhandlungen auch diese Rollen üben - schon bevor sie ins Referendariat starten.

Von Stephanie Kowalewski | 06.07.2016
    Eine Jura-Studentin hält in einer Vorlesung an der Universität Osnabrück (Niedersachsen) eine Ausgabe vom Grundgesetz in der Hand.
    Um die Studierenden auf diese Praxis vorzubereiten, wird an der Uni Bochum das theoretische Wissen fast ausschließlich an realen Fällen unterrichtet. (Friso Gentsch / dpa)
    "So, hier kommen wir in unser Gerichtslabor. Das sind unsere heiligen Hallen. Auf dieses Gerichtslabor sind wir sehr stolz."
    Hier, in diesem original nachgebauten Gerichtssaal im Keller der Universität Bochum, finden simulierte Verhandlungen - so genannten Moot Courts und Prüfungsvorbereitungen statt. Viele Unis bieten ihren Studierenden solche Moot Courts an, aber nur wenige haben dafür ein eigenes Labor geschaffen. Hier in Bochum soll alles möglichst genau wie im wahren Leben sein – samt Robe und Porträt des Bundespräsidenten neben der Deutschlandfahne.
    "Guten Tag Frau Vorsitzende. Mein Name ist Benedikt Behlert und ich vertrete den Staat Amestonia, den Kläger in diesem Verfahren."
    Die Studierenden Benedikt Behlert und Maximilian Bertamini tragen nacheinander ihre Argumente vor. Es ist ein realer Fall mit fiktiven Namen, der so vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt wird. Es geht um Abhörprogramme und Cyber-Attacken. Als Richterin und Betreuerin dieses Moot Courts hat Kristi Brinckmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Jura-Fakultät, auf der erhöhten Richterbank Platz genommen. Alles hier wird aufgezeichnet, analysiert und besprochen.
    Die meisten Absolventen werden Rechtsanwälte
    "Der Augenkontakt war diesmal wesentlich besser und du warst wesentlich ruhiger. Du könntest noch ein, zwei mehr Rechtsprechungen bei deinen Argumenten mit einbringen."
    Mit den Übungsprozessen im Gerichtslabor und mit internationalen Moot-Court-Wettbewerben versucht die Uni Bochum, ihren Studierenden vor allem die Sicht von Anwälten, Verteidigern und Staatsanwälten näher zu bringen. Das ist notwendig, betont Professorin Adelheid Puttler, denn:
    "Sie werden ausgebildet, traditionell, auf den Beruf des Richters."
    So ist das an allen Universitäten - deutschlandweit. Dabei arbeiten die meisten Absolventen später als Rechtsanwälte und nicht als Richter – müssen also Partei ergreifen für ihren Mandanten und kein Urteil fällen. Studium und Beruf stimmen hier also nicht überein. Auch deshalb haben Maximilian Brinckmann und Benedikt Behlert die viele zusätzliche Arbeit für den Moot Court auf sich genommen:
    "Sich in die Schuhe des Anwalts zu stellen, das fühlt sich ehrlich gesagt relativ schnell sehr gut an."
    "Eine Erfahrung, die man, ehrlich gesagt, im Jurastudium so nicht häufig macht."
    "Was hilft, ist das Recherchieren und das Erstellen der Schriftsätze, denn man bekommt ein ganz anderes Auge für Formalia, für Logik auch."
    Theorie an realen Fällen studieren
    Die beiden haben ihre Plädoyers sogar beim renommiertesten Moot Court-Wettbewerb in den USA, in Washington, vor einem ganz realen Gericht vortragen dürfen – in Englisch versteht sich.
    "Einfach ein wahnsinnig tolles Erlebnis, was mein Studium sehr bereichert hat."
    Obendrein gibt es hier zwei sechswöchige Pflichtpraktika, die in den Semesterferien und bestenfalls in der ersten Studienhälfte zu machen sind. Um die Studierenden auf diese Praxis vorzubereiten, wird das theoretische Wissen fast ausschließlich an realen Fällen unterrichtet, oft von Dozenten, die mit beiden Beinen im Beruf stehen, oder im Kurs "Fünf für alle Fälle". Eine Besonderheit der Uni Bochum, erklärt Wolfram Cremer, Dekan der Juristischen Fakultät:
    "In diesem Konzept wird bereits Zweitsemestern die Möglichkeit gegeben, in Kleingruppen von vier bis fünf Studierenden, durch fortgeschrittene Studierende betreut, selbstständig Fälle zu lösen. Andere Ausbildungen in Kontinentaleuropa sind sehr viel mehr auf Auswendiglernen angelegt."
    Studierende trainieren Vernehmungstechniken
    Auch andere wichtige Schlüsselqualifikationen wie Vernehmungslehre, Rhetorik oder anwaltliches Argumentieren können in Kursen trainiert werden – allerdings außerhalb des Pflichtprogramms – und damit zusätzlich zum vollen Stundenplan. Richtig so, meint Michael Neupert, Anwalt in einer großen Essener Kanzlei und Gastdozent an der Ruhruni Bochum:
    "Ein ganz wesentlicher Bestandteil dieser Ausbildung ist, dass sie sehr viel Eigenverantwortung bei Studierenden ablädt. Und ich würde es sogar für einen Riesenfehler halten, wenn man das Ganze sehr stark verschult und sagt: Und im dritten Semester üben wir alle jetzt mal Verhandlungslehre. Und ich glaube, das wäre eben genau der Weg, wie man nicht die Juristen kriegt, die wir uns langfristig auch als Gesellschaft wünschen sollten."
    Fazit:
    O-Ton-Collage von Jura-Studierenden:
    "Man übt eigentlich alles das, was man in der Theorie lernt auch mehr oder weniger praxisnah an Fallbeispielen."
    "Ich glaube, dass um später im Job arbeiten zu können, diese praktische Phase, die das Referendariat macht, unerlässlich ist."
    "Entscheidend ist, dass da eine gute fachliche und methodische Basis gelegt ist, denn nur das ermöglicht den jungen Berufstätigen, sich in die unbekannten Gebiete einzuarbeiten. Und da kann man unterm Strich sagen, die jungen Leute, die zu uns kommen, sind da in der Regel schon ganz gut drauf vorbereitet."