Das Amtsgericht von Iwano-Frankiwsk: Im dunklen Flur herrscht Hochbetrieb. Viele Menschen warten ungeduldig vor einer alten Holztüre. Denn dahinter gibt es eine in der Ukraine bisher einmalige Einrichtung: eine Agentur, die kostenlos Rechtsberatung anbietet. Die 67-jährige Lyubow Antoniwna hofft:
"Meine Mutter hat mich mitten im Krieg geboren - zwischen der sowjetischen Artillerie auf der einen und deutschen Bombern auf der anderen Seite. Mir steht eine Zusatzrente zu - aber ich bekomme sie nicht. Jetzt will ich einen Antrag zu stellen, aber ich weiß nicht, wie man das macht."
Viele Rentnerinnen wie Lyubow Antoniwna kommen in die Agentur. Die Zusatzrenten für die Kriegskinder, wie sie genannt werden, stehen zwar seit Kurzem im Gesetz. Aber die Rentenversicherung zahlt sie einfach nicht aus.
Sie nutze aus, dass sich die wenigsten Alten wehren können, sagt Andrij Maletyn, Leiter der Rechtshilfe-Agentur.
"Umgerechnet hundert Euro macht das im Jahr pro Person aus, für die Betroffenen ist das viel Geld. In der Ukraine gibt es einige Organisationen, die sich mit den großen Missständen befassen, mit der Folter im Gefängnis zum Beispiel. Aber um solche kleineren Ungerechtigkeiten kümmert sich niemand."
Dabei lernen gerade hier viele Menschen, dass sie nicht hilflos sind. Ungefähr 30 kommen pro Tag zur Rechtsberatung. Neben den Rentnern suchen vor allem alleinstehende Mütter Unterstützung.
"Viele haben Probleme, weil die Väter die Alimente für die Kinder nicht zahlen wollen. Sie arbeiten häufig schwarz und tun so, als hätten sie kein Geld. Dafür gibt es eine Lösung: Auf Antrag kann das Gericht einen Betrag festlegen, den der Vater in jedem Fall zahlen muss."
In der Agentur arbeitet die Mehrheit der Berater ehrenamtlich. Jura-Studenten absolvieren hier Praktika und sammeln erste Berufserfahrungen. Finanziert wird die Arbeit unter anderem von einer ukrainischen Stiftung.
Das Amtsgericht steuert nur den Raum bei, den es noch nicht einmal renoviert hat. Trotzdem ist Gerichtspräsident Andrij Malejew stolz auf das Pilotprojekt.
"Wir wollen das Vertrauen der Menschen in die Justiz zurückgewinnen, auch im eigenen Interesse. Denn ohne dieses Vertrauen werden wir für alle unsere Entscheidungen kritisiert, selbst wenn sie richtig sind. Und wir wollen als Richter doch unseren Ruf nicht aufs Spiel setzen."
Andrij Malejew zeigt, was er in seinem Amtsgericht noch alles verbessert hat. Die Räume der Richter sind nun streng vom Publikumsverkehr getrennt. Das soll es schwerer machen, Mitarbeiter des Gerichtes zu korrumpieren. Zu diesem Zweck dient auch eine Überwachungskamera: Sie zeigt den Menschen, die vor der Geschäftsstelle warten, was innen, an den Schaltern, vorgeht.
Das Misstrauen der Bürger ist berechtigt. In der Korruptionsrangliste der Organisation Transparency International landete die Ukraine im vergangenen Jahr auf dem 146. Platz, auf einer Stufe mit Kamerun und Kenia. Bürgerrechtler halten den Justiz- und Polizeiapparat für besonders betroffen. Um welche Summen es hier geht, zeigt der Fall des ehemaligen Vorsitzenden am Verwaltungsgericht in Lemberg. Nach seiner Verhaftung im vergangenen Jahr fanden die Ermittler in seinem Haus eine Million US-Dollar in bar.
Gerichtspräsident Andrij Malejew sieht die Schuld nicht nur bei den Richtern.
"In unserer Gesellschaft ist Korruption seit Langem verwurzelt. Wir müssen das Bewusstsein der Menschen ändern. Da hilft auch so eine Einrichtung wie die kostenlose Rechtsberatung: Die Bürger sehen, dass der Staat etwas für sie tut."
Die Rentnerin Lyubow Antoniwna hat ihren Antrag auf Zusatzrente abgegeben. Vielleicht könne sich sich bald mal ab und zu eine Orange oder eine Zitrone leisten, sagt sie.
Programmtipp:
Gesichter Europas am 29. Mai 2010: Blinde Justitia - Das korrumpierte Rechtssystem in der Ukraine
"Meine Mutter hat mich mitten im Krieg geboren - zwischen der sowjetischen Artillerie auf der einen und deutschen Bombern auf der anderen Seite. Mir steht eine Zusatzrente zu - aber ich bekomme sie nicht. Jetzt will ich einen Antrag zu stellen, aber ich weiß nicht, wie man das macht."
Viele Rentnerinnen wie Lyubow Antoniwna kommen in die Agentur. Die Zusatzrenten für die Kriegskinder, wie sie genannt werden, stehen zwar seit Kurzem im Gesetz. Aber die Rentenversicherung zahlt sie einfach nicht aus.
Sie nutze aus, dass sich die wenigsten Alten wehren können, sagt Andrij Maletyn, Leiter der Rechtshilfe-Agentur.
"Umgerechnet hundert Euro macht das im Jahr pro Person aus, für die Betroffenen ist das viel Geld. In der Ukraine gibt es einige Organisationen, die sich mit den großen Missständen befassen, mit der Folter im Gefängnis zum Beispiel. Aber um solche kleineren Ungerechtigkeiten kümmert sich niemand."
Dabei lernen gerade hier viele Menschen, dass sie nicht hilflos sind. Ungefähr 30 kommen pro Tag zur Rechtsberatung. Neben den Rentnern suchen vor allem alleinstehende Mütter Unterstützung.
"Viele haben Probleme, weil die Väter die Alimente für die Kinder nicht zahlen wollen. Sie arbeiten häufig schwarz und tun so, als hätten sie kein Geld. Dafür gibt es eine Lösung: Auf Antrag kann das Gericht einen Betrag festlegen, den der Vater in jedem Fall zahlen muss."
In der Agentur arbeitet die Mehrheit der Berater ehrenamtlich. Jura-Studenten absolvieren hier Praktika und sammeln erste Berufserfahrungen. Finanziert wird die Arbeit unter anderem von einer ukrainischen Stiftung.
Das Amtsgericht steuert nur den Raum bei, den es noch nicht einmal renoviert hat. Trotzdem ist Gerichtspräsident Andrij Malejew stolz auf das Pilotprojekt.
"Wir wollen das Vertrauen der Menschen in die Justiz zurückgewinnen, auch im eigenen Interesse. Denn ohne dieses Vertrauen werden wir für alle unsere Entscheidungen kritisiert, selbst wenn sie richtig sind. Und wir wollen als Richter doch unseren Ruf nicht aufs Spiel setzen."
Andrij Malejew zeigt, was er in seinem Amtsgericht noch alles verbessert hat. Die Räume der Richter sind nun streng vom Publikumsverkehr getrennt. Das soll es schwerer machen, Mitarbeiter des Gerichtes zu korrumpieren. Zu diesem Zweck dient auch eine Überwachungskamera: Sie zeigt den Menschen, die vor der Geschäftsstelle warten, was innen, an den Schaltern, vorgeht.
Das Misstrauen der Bürger ist berechtigt. In der Korruptionsrangliste der Organisation Transparency International landete die Ukraine im vergangenen Jahr auf dem 146. Platz, auf einer Stufe mit Kamerun und Kenia. Bürgerrechtler halten den Justiz- und Polizeiapparat für besonders betroffen. Um welche Summen es hier geht, zeigt der Fall des ehemaligen Vorsitzenden am Verwaltungsgericht in Lemberg. Nach seiner Verhaftung im vergangenen Jahr fanden die Ermittler in seinem Haus eine Million US-Dollar in bar.
Gerichtspräsident Andrij Malejew sieht die Schuld nicht nur bei den Richtern.
"In unserer Gesellschaft ist Korruption seit Langem verwurzelt. Wir müssen das Bewusstsein der Menschen ändern. Da hilft auch so eine Einrichtung wie die kostenlose Rechtsberatung: Die Bürger sehen, dass der Staat etwas für sie tut."
Die Rentnerin Lyubow Antoniwna hat ihren Antrag auf Zusatzrente abgegeben. Vielleicht könne sich sich bald mal ab und zu eine Orange oder eine Zitrone leisten, sagt sie.
Programmtipp:
Gesichter Europas am 29. Mai 2010: Blinde Justitia - Das korrumpierte Rechtssystem in der Ukraine