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Justin Timberlake und die Popkritik
Schmähen, Schimpfen, Runtermachen

Das neue Album "Man of the Woods" von US-Superstar Justin Timberlake wird von Pop-Rezensenten weltweit verrissen. Die Kritik wirkt dabei oft persönlich angefasst. Dabei geht es um Grundsätzliches: den Popstar zu Zeiten von Donald Trump.

Von Heiko Behr | 06.02.2018
    Justin Timberlake bei seiner Halbzeitshow beim Super Bowl 2018
    Eine völlig missglückte Woche: Justin Timberlake bei seiner Halbzeitshow beim Super Bowl 2018. (Elizabeth Flores / imago/ZUMA Press)
    Als Justin Timberlake sich am Sonntagabend in den Katakomben des US-Bank-Stadions in Minneapolis auf seinen großen Auftritt vorbereitet, wird er gewusst haben, dass etwas völlig schief läuft gerade. Sein Album "Man of the Woods" ist gerade erschienen. Er hat die Produzenten Timbaland und Pharrell Williams wieder an seiner Seite, wie zu Zeiten seiner großen Hits. Und zunächst klingt alles wie immer: Milde futuristisch, unaufregend, uninspiriert. Die Kritik reagiert weitestgehend verheerend: "Schlaff", "peinlich", "leer" sind die Urteile der avancierten Medien.
    Natürlich gibt es auch andere Stimmen, es ist ein perfekt produziertes Album. Aber: Zum Beispiel die "New York Times" erklärt den Popstar Timberlake zum großen Missverständnis des letzten Jahrzehnts. Worum geht es hier im Kern? Woher kommt die Häme, woher die Schmähungen?
    Die Botschaft: Justin ist jetzt einer von uns
    Es hat sich etwas verändert. Timberlake ist jetzt 37, er ist erwachsen. Er ist verheiratet mit der Hollywoodschauspielerin Jessica Biel, er ist Vater. Er ist bodenständig. Das möchte er vermitteln. Und nennt sein Album "Man of the Woods": Mann aus den Wäldern. Das ist sein erster Fehltritt. Er trägt plötzlich Jeans, rote Halstücher und Flannelhemden. Die Botschaft: Justin ist jetzt einer von uns. Aber - und jetzt wird es kritisch: Wer ist dieses "uns"?
    Das Album ist der offensichtliche Versuch, Countrymusik ins Heute zu bringen. Und hier liegt ein Knackpunkt. Auch wenn sich das Genre über die Jahre ausdifferenziert hat: Country ist traditionell die Musik der Abgehängten aus den Südstaaten der USA. Konservativ bis reaktionär und - sprechen wir es aus - weiß.
    Der Tonfall ist härter geworden
    Unter einem Präsidenten Trump hat sich die Popkritik politisiert. Andere Großkünstler wie Beyoncé oder Kendrick Lamar veröffentlichen unverhohlen progressive politische Statements. Ein – bestenfalls unbedarfter, schlimmstenfalls rückwärtsgewandter, zumindest aber haltungsloser – Popstar wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Das haben auch andere Stars erfahren müssen: Taylor Swift, Katy Perry wurden aggressiv wegen unglücklicher Äußerungen und fehlender Positionierung von der Popkritik angegangen, der Tonfall ist härter geworden.
    Und Justin Timberlakes Fehltritte reichen weiter. In "Say Something" singt er: "alle sagen, sag etwas", aber er hält sich zurück und schlussfolgert: "Manchmal ist es am besten, gar nichts zu sagen". In Zeiten von wichtigen Bewegungen wie #MeToo ist das eine fatale Botschaft. Ein weiterer Rückzug – und ein großer Gegensatz zu nahezu jedem relevanten Popstar unserer Zeit.
    Möglicherweise das Ende seiner Karriere
    Zurück zu dem Moment, als Justin Timberlake in den Katakomben steht, sein großes Comeback vor der Weltöffentlichkeit beginnt. Er singt den Song, bei dem er Janet Jacksons nackte Brust auf der Bühne entblößte und damit einen Riesenskandal auslöste. In der Halbzeitpause der Super Bowl, vor 14 Jahren, das sogenannte "Nipplegate".
    "Talk to me, boy. Talk to me, boy. Hold up. Stop!"
    Stop. Am entscheidenden Moment beendet er den Song. Er führt den Moment nochmal auf, den Janet Jacksons Karriere seinerzeit fast zerstörte, nicht seine. Und geht darüber hinweg. Er hätte sie auf die Bühne einladen können, als Geste - nichts. Stattdessen dann: sein vorerst letzter Fehltritt. In seinem etwa viertelstündigen Medley seiner größten Hits setzt er sich ans Klavier und spielt einen Song von Prince, in dessen Heimatstadt, neben ihm erscheint auf einem flatternden Tuch eine Videoinstallation des Verstorbenen, die beiden singen im Duett. Und weil man weiß, dass Prince derlei posthume Auftritte für "dämonisch" hielt, heißt das böse interpretiert: Er wird gegen seinen Willen von Justin Timberlake nochmal auf die Bühne gezwungen.
    Das also war die völlig missglückte Woche des Justin Timberlake. Und möglicherweise das Ende seiner Karriere, wie wir sie kennen.