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Justizreform
Anwaltverein will "Mord" abschaffen

Paragraf 211 des Strafgesetzbuches regelt, wer als Mörder mit lebenslangem Freiheitsentzug bestraft wird. Entscheidend dabei sind die persönlichen Eigenschaften und Motive des Täters. Wer also aus Habgier und niedrigen Beweggründen handelt, muss meist länger ins Gefängnis als wenn er im Affekt handelt. Eine Initiative des Anwaltvereins will das ändern.

Von Stefan Detjen |
    Wenn es nach dem Deutschen Anwaltverein, dem größten juristischen Berufsverband der Bundesrepublik, geht, gibt es am Ende dieser Legislaturperiode in Deutschland keine Mörder mehr. Nicht weil Menschen sich nicht mehr töten, sondern weil es dann den Tatbestand des Mordes im Strafgesetzbuch nicht mehr gäbe. "Absurd", "widersinnig", "ein Relikt nationalsozialistischer Rechtsideologie" – so beschreibt der Präsident des Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, Paragraf 211 des Strafgesetzbuches, der regelt, wer als Mörder mit lebenslangem Freiheitsentzug zu bestrafen ist.
    Die Kritik der Anwälte, die auch von namhaften Rechtswissenschaftlern, Richtern und Rechtspolitikern seit Langem formuliert wird, setzt an der Systematik des Strafgesetzbuches an. Während dort normalerweise Merkmale einer Tat definiert werden, beschreibt der Mordparagraph persönliche Eigenschaften des Täters: Habgier, Heimtücke, niedrige Beweggründe – Motive und Charaktereigenschaften von Menschen werden hier zum Auslöser der härtesten Sanktion des Strafrechts. Die Konsequenz, so Anwaltspräsident Ewer, zeige sich besonders bei Beziehungsstraftaten:
    "Heimtücke, meine Damen und Herren, ist typischerweise das Mordmerkmal der Schwachen. Statistisch gesehen ist es das Mordmerkmal der Frauen."
    Heimtücke und damit Mord bedeutet in der Definition der Juristen: die Arglosigkeit des Opfers auszunutzen - Arsen in den Wein träufeln, von hinten erschießen, im Schlaf erdrosseln. Wer sein Opfer dagegen in offener Konfrontation umbringt, hat nach geltendem Recht bessere Chancen, mit einer geringeren Strafe wegen Totschlags davon zu kommen.
    "Eine schwache Ehefrau, die den gewalttätigen Ehemann nachts im Schlaf oder mit Gift tötet, wird wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Schlägt er sie im Streit zu Tode, wird er nur wegen Totschlags von fünf bis fünfzehn Jahren verurteilt."
    Fall Marianne Bachmeier macht die Problematik deutlich
    Als prominentes Beispiel für die Problematik verweisen die Anwälte auf den berühmten Fall Marianne Bachmeier. In einem Akt spektakulärer Selbstjustiz hatte Bachmeier 1981 den mutmaßlichen Mörder ihrer siebenjährigen Tochter im Gerichtssaal hinterrücks erschossen. Nur durch eine gewagte Rechtsauslegung gelang es den Richtern später, eine Verurteilung Bachmeiers wegen heimtückischen Mordes zu vermeiden. In anderen Fällen wurden trotz der scheinbar eindeutigen Sanktion des Mordparagraphen Täter zu befristeten – also nicht lebenslänglichen - Freiheitsstrafen verurteilt, wenn ihnen mildernde Umstände zugebilligt wurden.
    Für den Strafverteidiger Stefan König, der an einem Reformkonzept des Anwaltvereins mitgearbeitet hat, geht es deshalb auch um eine Änderung der rigiden Strafandrohung des geltenden Rechts.
    "Entscheidend ist aus unserer Sicht: Es muss einen Ausweg aus dieser – ich sage es mal so – Falle der absoluten Strafandrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe geben, die es den Richtern erspart, solche Verrenkungen zu machen, wie sie heutzutage häufig vorkommen."
    Nicht mehr Mord und Totschlag, sondern nur noch ein Tötungstatbestand mit einer Variante für minderschwere Fälle soll das Strafgesetzbuch nach dem Reformvorschlag des Anwaltvereins künftig haben.
    Eine ähnliche Initiative hatte Ende letzten Jahres auch die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendonk vom Südschleswigschen Wählerverbund vorgestellt. Im Kreis der Landesjustizminister stieß die damit bisher auf wenig Resonanz. Der Vorschlag des Anwaltvereins liegt jetzt auf dem Schreibtisch des neuen Bundesjustizministers Heiko Maas.