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Justus Liebig

Napoleon bereitet sich auf einen neuen Krieg zwischen England und Frankreich vor, die französischen Truppen besetzen gerade Hannover. Während die Strukturen Europas neu geordnet werden und auch die des Deutschen Reiches sich gerade aufzulösen beginnen, wird in Darmstadt Justus Liebig geboren: Am 12. Mai vor 200 Jahren in eine Zeit nicht nur politischer Veränderungen, sondern auch technisch-wissenschaftlicher Neuerungen: Die erste brauchbare Batterie wird in jenem Jahr vorgestellt, die Dampfmaschine ist noch keine 50 Jahre alt und liefert Energie für Fabriken, wird aber erst 100 Jahre später die erste Lokomotive antreiben. Während die technische Revolution von England ausgeht, soll in Deutschland bald in eine Begeisterung für Chemie ausbrechen. Auslöser wird Justus Liebig sein.

    Die damals von Geheimnissen umwebte Chemie der oft noch der Mythos mittelalterlicher "Allchemie" und Zauberei anhängt holt er durch Experimente in die Gegenwart, so dass auch Laien die Zusammenhänge chemischer Reaktionen begreifen. Wissen und sein Wissen weitergeben wird Justus Liebig.

    Es reicht ihm nicht, staunend vor Jahrmarktsbuden stehen, in denen Schausteller mit einfachen Experimenten hantieren. Er sieht den damaligen "Zauberern" der Rummelplätze genau über die Schulter: Einfache Knallerbsen reichen damals aus, das hochverehrte Publikum zu begeistern. Der jugendliche Justus merkt sich die Mixtur und versucht in der elterlichen Küche das Experiment mit den Knallerbsen zu wiederholen. Nichts einfacher als das, denn Vater Liebig ist in Darmstadt so etwas ähnliches wie Drogist und in dessen Lager findet Justus bald auch die passenden Substanzen. Zum Glück mixt der Junge die Substanzen nicht im Laden zusammen, sondern in der elterlichen Küche. Die Mischung aus Silber, Salpetersäure und Alkohol stimmt zwar, aber statt einer Knallerbse, baut der Schüler wohl eher einen Knallkürbis...

    Das ist buchstäblich die Initialzündung für weitere Experimente des Schülers, der statt einen ordentlichen Schulabschluss anzustreben, lieber in der herzoglichen Bibliothek alle Bücher der Chemie verschlingt. Dass der 15jährige auch aus der späteren Apothekerlehre rausfliegt - weil - er während eines Experiments des Apothekers Dach wegsprengt, ist nicht weiter schlimm, beginnt Justus vier Jahre danach doch noch sein begehrtes Studium der Chemie und schreibt bereits drei Semester später - als 22jähriger die Doktorarbeit mit dem Titel: "Über das Verhältnis der Mineralchemie zur Pflanzenchemie". Die Forschung an dieser Thematik soll ihn einst weltberühmt machen, denn Justus Liebigs Entdeckungen und Entwicklungen sind es, mit denen man im damals hungernden Europa die landwirtschaftlichen Erträge optimiert. Auch die Basis heutiger organischer Chemie schafft Liebig durch die Elementaranalyse, also die Bestimmung von Kohlen- und Wasserstoff in organischen Verbindungen. Liebig entdeckt ebenfalls, dass sich die Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Sauerstoffatome jeweils zu unterschiedlichen Gebilden zusammenschließen, zu sogenannten Radikalen. Die Radikaltheorie ist seitdem wichtigstes Bindeglied zwischen anorganischer und organischer Chemie und auch die Isomerie geht auf Liebig zurück: Die Erkenntnis, dass man aus denselben Atomen, wenn man sie wie Bausteine nur in unterschiedlicher Reihenfolge verbindet, völlig unterschiedliche Stoffe herstellen kann.

    Backpulver, Silberspiegel und die Grundlage des Edelstahls, Säuglingsnahrung, sowie Liebigs Fleischextrakt erfand der Chemiker in Giessen, und zuletzt in München, wo er siebzigjährig stirbt.

    Justus Liebigs Hang zu anschaulichen Experimenten seit dem ersten Knall in Mutters Küche hat ebenfalls Folgen: Den weltweit ersten - heute üblichen Hörsaal für experimentelle Chemie!

    [Autor: Wolfgang Noelke]