Es herrscht ein bisschen Hollywood ohne Action im Museum of Modern Art. Vier gigantische Scheinwerfer sind auf einen hölzernen Stuhl und einen hölzernen Tisch im Atrium gerichtet, an dem reglos, in ein wallendes dunkelblaues Gewand gehüllt eine Frau sitzt, die ins Leere starrt. Die Frau wird da täglich bis am 31. Mai sitzen, insgesamt über 700 Stunden lang. Wer mag, kann sich ihr gegenüber auf dem zweiten Stuhl niederlassen und zurückstarren oder kichern oder sonst etwas tun.
Das Stück heißt "The Artist Is Present" und ist die jüngste Arbeit der Performance-Künstlerin Marina Abramovic. Ihrer über vier Jahrzehnte umfassenden Karriere widmet das Museum of Modern Art die erste Retrospektive von Performance Kunst überhaupt in seiner Geschichte.
Performance Art, dieses Kind der konzeptionellen Neudefinierung des Kunstobjekts in den 60er- und 70er-Jahren, bringt für Museen, Sammler und nicht zuletzt für die Künstler selber gewisse Schwierigkeiten mit sich. Wie bewahrt man eine Performance auf, einen Akt, der eigentlich an einen bestimmten Augenblick und an einen bestimmten Ort gebunden ist? Ist die Dokumentation einer Performance auf Video etwa noch immer Teil davon oder bereits etwas anderes? Kann man eine Performance besitzen und wenn ja, wie materiell oder immateriell ist dieser Besitz?
"Wir haben es versucht zu lösen, indem wir Objekte, materielle Objekte, die von den Performances übrig geblieben sind, oder die als aufgeladene Objekte die Performance durchlebt haben, Fotografien, Videos, Filme, Stimmaufnahmen, aber auch Live-Performances und Neu-Performances von historischen Arbeiten, einfach gleichberechtigt nebeneinander gestellt haben," sagt Klaus Biesenbach, der Kurator der Retrospektive.
Das Ergebnis ist ein Kabinett des Leidens. Denn Marina Abramovic hat sich weit über die Kunstwelt hinaus einen Namen gemacht mit Arbeiten, deren Hauptmerkmal die Selbstkasteiung darstellt. In einer ihrer frühesten Performances von 1974 lud Abramovic Galeriebesucher dazu ein, eine Anzahl von Objekten, darunter Nadeln, Messer und eine Peitsche, nach Belieben an ihrem Körper auszuprobieren.
Am Ende der Vorstellung hatten ihr die Leute die Kleider vom Leib gerissen, sie geschlagen und angemalt, und jemand hatte ihr eine geladene Pistole an den Kopf gehalten. Die Pistole ist wie die 71 übrigen potenziellen Foltergegenstände in der Ausstellung zu sehen.
Körper, Zeit und Raum seien die zentralen Elemente von Marina Abramovics Arbeit, so Klaus Biesenbach:
"Da kann man jetzt mit dreidimensionaler Skulptur oder mit Fotografie oder mit Malerei drangehen und versuchen, ein Bild dafür zu finden. Oder man definiert die Grenzen von Zeit und Raum anders. Und Marina tut das, indem sie Leute eine Resonanz spüren lässt, was Zeit eigentlich ist. Könnte ich das aushalten? Könnte ich so lange da sitzen, könnte ich so lange den Atem anhalten? Könnte ich so lange auf dem Eis liegen? Also es heißt, dass Zeit fühlbar gemacht wird und dadurch fühlbar visualisiert wird."
In einer anderen Performance, "Balkan Baroque", schrubbte Marina Abramovic vier Tage lang Fleisch von 3000 Kilogramm Tierknochen, während im Hintergrund Videoaufnahmen ihrer Eltern und ihrer selbst liefen. Als Beschwörung der Kriegsgräuel im Balkan wollte Abramovic diese Darbietung verstanden haben und wurde dafür an der Biennale in Venedig 1997 prompt mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Knochenberg und Videos kann man sich nun anschauen, allerdings fehlt jemand, der live schrubbt.
Fünf von Abramovics historischen Arbeiten sind hingegen durchaus live. Die Legitimität solcher sogenannter Reperformances ist keineswegs unumstritten. Abramovic hat sich jedoch als klare Verfechterin der Praxis hervorgetan. Also liegt hier ein sehr lebendiger nackter Mann unter einem sehr toten menschlichen Skelett. Anderswo schwebt eine nackte Frau vor einer weißen Wand, scheinbar nur von einer Klammer zwischen ihren Beinen gehalten.
Marina Abramovic genießt in bestimmten Kreisen eine geradezu kultartige Verehrung. Ihrer Heiligsprechung als Märtyrerin im Namen der Kunst dürfte dank dieser Retrospektive im Museum of Modern Art nichts mehr im Wege stehen. Wehe dem Sünder, der ihr Werk jetzt noch als groteske Mischung aus geschmacklosem Narzissmus und symbolischem Pathos zu betrachten wagt.
"Marina Abramovic: The Artist Is Present" ist noch bis am 31. Mai im Museum of Modern Art in New York zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit CD erschienen. Er kostet 50 Dollar.
Das Stück heißt "The Artist Is Present" und ist die jüngste Arbeit der Performance-Künstlerin Marina Abramovic. Ihrer über vier Jahrzehnte umfassenden Karriere widmet das Museum of Modern Art die erste Retrospektive von Performance Kunst überhaupt in seiner Geschichte.
Performance Art, dieses Kind der konzeptionellen Neudefinierung des Kunstobjekts in den 60er- und 70er-Jahren, bringt für Museen, Sammler und nicht zuletzt für die Künstler selber gewisse Schwierigkeiten mit sich. Wie bewahrt man eine Performance auf, einen Akt, der eigentlich an einen bestimmten Augenblick und an einen bestimmten Ort gebunden ist? Ist die Dokumentation einer Performance auf Video etwa noch immer Teil davon oder bereits etwas anderes? Kann man eine Performance besitzen und wenn ja, wie materiell oder immateriell ist dieser Besitz?
"Wir haben es versucht zu lösen, indem wir Objekte, materielle Objekte, die von den Performances übrig geblieben sind, oder die als aufgeladene Objekte die Performance durchlebt haben, Fotografien, Videos, Filme, Stimmaufnahmen, aber auch Live-Performances und Neu-Performances von historischen Arbeiten, einfach gleichberechtigt nebeneinander gestellt haben," sagt Klaus Biesenbach, der Kurator der Retrospektive.
Das Ergebnis ist ein Kabinett des Leidens. Denn Marina Abramovic hat sich weit über die Kunstwelt hinaus einen Namen gemacht mit Arbeiten, deren Hauptmerkmal die Selbstkasteiung darstellt. In einer ihrer frühesten Performances von 1974 lud Abramovic Galeriebesucher dazu ein, eine Anzahl von Objekten, darunter Nadeln, Messer und eine Peitsche, nach Belieben an ihrem Körper auszuprobieren.
Am Ende der Vorstellung hatten ihr die Leute die Kleider vom Leib gerissen, sie geschlagen und angemalt, und jemand hatte ihr eine geladene Pistole an den Kopf gehalten. Die Pistole ist wie die 71 übrigen potenziellen Foltergegenstände in der Ausstellung zu sehen.
Körper, Zeit und Raum seien die zentralen Elemente von Marina Abramovics Arbeit, so Klaus Biesenbach:
"Da kann man jetzt mit dreidimensionaler Skulptur oder mit Fotografie oder mit Malerei drangehen und versuchen, ein Bild dafür zu finden. Oder man definiert die Grenzen von Zeit und Raum anders. Und Marina tut das, indem sie Leute eine Resonanz spüren lässt, was Zeit eigentlich ist. Könnte ich das aushalten? Könnte ich so lange da sitzen, könnte ich so lange den Atem anhalten? Könnte ich so lange auf dem Eis liegen? Also es heißt, dass Zeit fühlbar gemacht wird und dadurch fühlbar visualisiert wird."
In einer anderen Performance, "Balkan Baroque", schrubbte Marina Abramovic vier Tage lang Fleisch von 3000 Kilogramm Tierknochen, während im Hintergrund Videoaufnahmen ihrer Eltern und ihrer selbst liefen. Als Beschwörung der Kriegsgräuel im Balkan wollte Abramovic diese Darbietung verstanden haben und wurde dafür an der Biennale in Venedig 1997 prompt mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Knochenberg und Videos kann man sich nun anschauen, allerdings fehlt jemand, der live schrubbt.
Fünf von Abramovics historischen Arbeiten sind hingegen durchaus live. Die Legitimität solcher sogenannter Reperformances ist keineswegs unumstritten. Abramovic hat sich jedoch als klare Verfechterin der Praxis hervorgetan. Also liegt hier ein sehr lebendiger nackter Mann unter einem sehr toten menschlichen Skelett. Anderswo schwebt eine nackte Frau vor einer weißen Wand, scheinbar nur von einer Klammer zwischen ihren Beinen gehalten.
Marina Abramovic genießt in bestimmten Kreisen eine geradezu kultartige Verehrung. Ihrer Heiligsprechung als Märtyrerin im Namen der Kunst dürfte dank dieser Retrospektive im Museum of Modern Art nichts mehr im Wege stehen. Wehe dem Sünder, der ihr Werk jetzt noch als groteske Mischung aus geschmacklosem Narzissmus und symbolischem Pathos zu betrachten wagt.
"Marina Abramovic: The Artist Is Present" ist noch bis am 31. Mai im Museum of Modern Art in New York zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit CD erschienen. Er kostet 50 Dollar.