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Kadett im Klassenzimmer

"Es gibt einen exklusiven Zutritt für die Bundeswehr", sagt Eva-Maria Stange (SPD), bildungspolitische Sprecherin im Dresdener Landtag. Das sei das Problem an der Werbung, die die Bundeswehr derzeit an Schulen macht.

Eva-Maria Stange im Gespräch mit Sandra Pfister | 24.02.2011
    Sandra Pfister: In vier Monaten wird die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee sein. Aber die Kreiswehrersatzämter melden ein großes Desinteresse an dem Soldatenjob. Deshalb wirbt die Armee nun massiv in Schulen um Nachwuchs. So hat das sächsische Kultusministerium im Dezember eine Kooperation mit der Bundeswehr vereinbart. Lehrer dürfen jetzt Jungoffiziere in den Unterricht einladen. Eva-Maria Stange, Sie waren selbst einmal sächsische Wissenschaftsministerin, jetzt führen Sie stellvertretend die SPD-Opposition im Landtag in Dresden. Dass die Bundeswehr in Klassen kommt, ist das eine unzulässige Werbung für den Soldatenjob?

    Eva-Maria Stange: Also ich halte das für eine unzulässige Werbung, und es erinnert mich sehr stark natürlich an das, was wir zu DDR-Zeiten leider erlebt haben: Es gibt einen exklusiven Zutritt der Bundeswehr, das ist eigentlich das Problem. Dass die Bundeswehr vielleicht mit Flyern oder auch mit Informationsmaterial Berufswerbung macht, das halte ich nicht für das Problem, sondern das Problem ist die Exklusivität, in den Unterricht kommen zu dürfen.

    Pfister: Das heißt, wenn die Bundeswehr eine Grundschule besucht, dann müsste es eigentlich immer auch parallel ein alternatives Angebot geben, beispielsweise von einer Friedensinitiative?

    Stange: Zum Glück geht sie nicht in die Grundschule, sondern sie geht - so hat uns der Kultusminister zumindest informiert - sie darf frühestens ab Klasse neun in den Mittelschulen sein, das ist in Sachsen die gemeinsame Schule von Haupt- und Realschule, und in den Gymnasien ab Klasse zehn, aber dort ist sie exklusiv. Es wird zwar vom Kultusministerium gesagt, natürlich steht es den Lehrern frei, auch zivile Friedensorganisationen zum Beispiel einzuladen, aber mit denen existiert dieser exklusive Vertrag nicht.

    Pfister: Aber Sie wären zufrieden, wenn es so einen Kooperationsvertrag auch mit Friedensgruppen gäbe, als Ausgleich?

    Stange: Ich halte diesen Kooperationsvertrag insgesamt für keine gute Sache, sondern wenn es tatsächlich in der Schule von den Schülern gewünscht wird, sich über das Berufsbild in der Bundeswehr zu informieren oder auch über Fragen der Sicherheitspolitik zu informieren, dann gibt es dazu andere Unterrichtsformen, als das unmittelbar im Unterricht stattfinden zu lassen. Und dieser Exklusivvertrag, den es ansonsten mit niemandem anders in der Schule gibt, also auch nicht mit der Wirtschaft - so würde ich das mal deutlich sagen -, hat aus meiner Sicht schon etwas Anrüchiges, dass man hier ganz bewusst auch Werbung für die Bundeswehr machen will, mit Unterstützung des Kultusministeriums.

    Pfister: Werden die Jugendlichen denn momentan gezwungen, an diesem Unterricht dann teilzunehmen?

    Stange: Nach Auskunft des Kultusministeriums gibt es keine Notwendigkeit für eine Freistellung. Wir haben gezielt angefragt und sind der Meinung, dass Eltern, gerade dann, wenn sie ihre Kinder gewaltfrei erziehen wollen, die Möglichkeit haben müssen, die Schüler freizustellen. Das beruht auch auf einer Botschaft oder einer Aussage, die terres des hommes ja bundesweit die Eltern informiert hat, und ich finde, das ist auch richtig. Der Kultusminister sagt aber, er sieht keine Notwendigkeit, weil ja der Fachlehrer entscheidet, und insofern ist es dann Pflichtunterricht und die Schüler müssen daran teilnehmen. Ich glaube, das ist nicht grundgesetzkonform.

    Pfister: Kann man denn nicht davon ausgehen, dass die Lehrer kontrollieren, ob die Bundeswehr wirklich alle sicherheitspolitischen Aspekte darstellt, also ob einigermaßen ausgewogen ist, was sie präsentiert?

    Stange: Der Fachlehrer ist ja dabei, und insofern könnte der Fachlehrer dann sozusagen das Pendant sein. Aber es gibt bei der politischen Bildung den sogenannten Beutelsbacher Konsens, wo alle Unterrichtsformen - der Gemeinschaftskundeunterricht, die Rechtserziehung, der Geschichtsunterricht -, insgesamt die Schule darauf zu achten hat, ihn einzuhalten. Dabei geht es vor allen Dingen darum, dass Schüler eben bei dem sogenannten Kontroversitätsgebot, um dieses Beispiel mal herauszunehmen, bei den Dingen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden - und das ist die Sicherheitspolitik mit Sicherheit, das sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr -, wenn das in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, dann muss es auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. Das heißt, neben dem Bundeswehroffizier, der eine ganz klare Position einnehmen muss, denn das ist seine Rolle, muss es mindestens einen Zweiten geben, der die Gegenposition dazu einnehmen kann. Ob das der Fachlehrer immer sein kann, das kann ich nicht einschätzen, und ich glaube es auch nicht.

    Pfister: Die Bundeswehr darf in Schulen exklusiv für sich werben. Sie hörten dazu Eva-Maria Stange, die stellvertretende SPD-Oppositionsführerin im Landtag in Dresden. Danke, Frau Stange!