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Kälter ist gleich heißer

Bei null Kelvin - das entspricht minus 273 Grad Celsius – bewegt sich nichts mehr, alle Teilchen befinden sich in ihrem Energieminimum. So zumindest die Theorie. Jetzt konnten Münchner Forscher erstmals eine negative Kelvin-Temperatur nachweisen. Das heißt allerdings nicht, dass das besonders kalt ist.

Von Martina Preiner | 08.01.2013
    "Wenn wir uns ein normales Gas vorstellen – die Teilchen um uns rum, die Luft, die sich um uns rum bewegt – dann ist es so, dass Temperatur verknüpft ist mit der Bewegung der Teilchen. Je schneller sich die Teilchen bewegen, desto heißer sind sie. Und dann ist ganz klar: es gibt eine untere Grenze. Wenn die Teilchen still stehen, wenn sie alle still stehen, dann haben wir null Kelvin. Das ist der absolute Nullpunkt und offensichtlich kann nichts kälter sein als das. Denn weniger als gar nicht können sich die Teilchen nicht bewegen."

    Das Team um Ulrich Schneider hat im Labor etwas geschafft, das sich zunächst nach einer physikalischen Unmöglichkeit anhört: Die Physiker der Uni München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik konnten gasförmige Kaliumatome in einen Zustand von minus einem Milliardstel Kelvin bringen. Das heißt aber nicht, dass sich die Teilchen tatsächlich in einem kälteren Zustand als dem absoluten Nullpunkt befinden, ...

    "... sondern was es eigentlich bedeutet, ist: wir sind eigentlich heißer als die unendliche Temperatur. Wenn Sie sich die normalen, reellen Zahlen vorstellen, kennen sie die: die laufen von minus unendlich über null bis plus unendlich. Und für die Temperatur ist das eigentlich falsch. Bei der Temperatur müssen sie die eigentlich bei der null in der Mitte durchschneiden und umgekehrt aneinander kleben."

    Bei plus unendlich hoher Temperatur springt die Kelvin-Skala per Definition auf minus unendlich und damit auf negative Werte. Ulrich Schneider erklärt diesen Sprung gerne anhand von Bällen oder Teilchen in einer Landschaft aus Energiebergen und Energietälern. Bei positiver Temperatur verteilen sich die Bälle in der Landschaft, vorwiegend in Tälern. Bei unendlich hoher Temperatur wären sie an jedem Ort in der Landschaft mit gleicher Wahrscheinlichkeit anzutreffen. Wäre es möglich weiterhin Energie zuzuführen, so würden sich die Bälle vor allem auf den Energiebergen ansammeln. Das ist der Punkt, an dem auf der Skala zu negative Werte erreicht werden.

    Da ein System nicht unendlich viel Energie aufnehmen kann, mussten Schneider und seine Mitarbeiter einen Trick anwenden, um den Satz ins Negative zu schaffen: Sie kühlten die Kaliumatome auf ein Milliardstel Kelvin herunter und fingen diese durch ein Lasergitter in Energietälern ein.

    "Und da liegen sie jetzt wirklich am Boden dieses Tals – und was wir jetzt machen, ist: Wir schalten dieses Tal jetzt schlagartig um in einen Berg. Das heißt, wir verformen wirklich die Landschaft, wir machen aus dem Tal einen Berg und die Teilchen, die noch eben unten im Tal saßen, finden sich jetzt auf der Bergspitze wieder. Darüber drehen wir die Energie der Teilchen und deswegen sitzen die Teilchen jetzt auf einmal bei der hohen Energie."

    Und das heißt bei minus einem Milliardstel Kelvin. Dabei sind die Teilchen hier im Gegensatz zu unendlich positiver Temperatur nicht über die gesamte Landschaft verteilt, sondern hoch geordnet auf den Energiebergen angesammelt.

    Die Bedeutung dieses Ergebnisses lässt sich besonders gut an einer Wärmekraftmaschine – wie beispielsweise ein Verbrennungsmotor – mit einem kalten und einem warmen Reservoir zeigen. Bei Plus-Kelvin-Graden kann nur aus dem warmen Medium Energie und Unordnung gezogen werden. Bei negativer Temperatur könnte aufgrund der geordneten Struktur nicht nur Energie abgegeben, sondern gleichzeitig auch Unordnung aufgenommen werden. Somit könnte man sowohl aus dem warmen als auch aus dem kalten Reservoir Energie gewinnen. Der Wirkungsgrad einer solchen Maschine läge über 100 Prozent.

    "Es ist nichts, wo wir sagen würden, das kann jetzt bald gebaut werden. Es ist überhaupt fraglich, ob das jemals gebaut werden kann oder ob es einfach keine natürlich vorkommende Materie gibt, die negative Temperaturen annehmen kann. Es ist wichtig, es ist ein Gedankenexperiment und es zeigt uns einige neue Eigenschaften von Thermodynamik."

    Vor zwei Jahren hatten theoretische Physiker aus Köln vorhergesagt, dass und wie man in einem optischen Gitter ultrakalte Atome in den negativen Bereich der Kelvin-Skala erheben könnte. Ulrich Schneider und seine Mitarbeiter lieferten dazu nun den experimentellen Beweis.

    "Von daher ist das Ergebnis jetzt in der Retrospektive überhaupt nicht überraschend, sondern genau das, was wir erwartet haben."