Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Kämpfen, Kratzen, K.O.

Die Nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL steht unter Schock: Mit Wade Belak ist nach Derek Boogaard und Rick Rypien bereits der dritte Eishockey-Profi seit Mitte Mai ums Leben gekommen. Zwischen den drei Fällen besteht ein Zusammenhang: Belak, Boogaard und Rypien waren so genannte "Enforcer" - also Spieler, die dafür bezahlt werden, sich für ihr Team prügeln. Das sie dadurch ihre Gesundheit auf`s Spiel setzen, gehört von Washington bis Vancouver schlichtweg zum Business.

Von Heiko Oldörp | 03.09.2011
    Wer auf der Internetseite der NHL das Video mit dem Titel "Remembering Wade Belak" anklickt, bekommt eine Mischung aus sanfter zurückhaltender Musik und Action.

    "He scores, Wade Belak, his first NHL goal …”"

    In 64 Sekunden erinnert die Liga an den 35-jährigen Wade Belak.

    ""Here is a loose Puck in front he scores, Wade Belak. Three nothing Toronto.”"

    Belak war nicht wegen seiner acht Tore bekannt, die er für fünf Vereine erzielte, sondern für seine Prügeleien. In seinen 14 NHL-Jahren ging der so genannte Enforcer 136 Mal auf die Gegner los, um die Stars seiner Mannschaft zu schützen oder nach Rückständen mit einer Schlägerei das Team wachzurütteln.

    ""Wade Belak and Big George Parros. A Heavyweight battle here."

    Er teilte aus, steckte ein, hielt immer für seine Mitspieler den Kopf hin - und zahlte jetzt den Preis dafür.

    Am Mittwoch wurde der 1,95 Meter Hüne tot in einem Hotelzimmer in Toronto gefunden. Belak ist der dritte Spieler, der seit dem 13. Mai ums Leben kam. Zuvor waren bereits der 28-jährige Derek Boogaard von den New York Rangers und der ein Jahr jüngere Rick Rypien von den Winnipeg Jets völlig unerwartet verstorben. Wie Belak waren auch sie Enforcer. Liga- und landesweit zeigen sich Profis, Trainer und Fans geschockt, NHL-Commissioner Gary Bettman sprach von "Tragödien". Auch Deutschlands Nationalspieler Dennis Seidenberg von Meister Boston Bruins wirkt nach dem jüngsten Todesfall Wade Belak nachdenklich.

    "Es war ziemlich schockierend. Und der Belak war auch sehr, also ich habe ihn ein paar Mal getroffen und er war sehr nett. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde."

    Während in der Deutschen Eishockey-Liga DEL Faustkämpfe sofort unterbrochen werden, gehören Schlägereien in Nordamerika ebenso dazu, wie Tore oder knallharte Checks. In vielen Arenen kommt sogar nur Stimmung auf, wenn die Heimmannschaft trifft oder aber die Fäuste fliegen. Bei einigen dieser Kämpfe nehmen die Profis gar ihre Helme ab und ziehen die Handschuhe aus. Die Schiedsrichter stehen daneben und greifen erst ein, wenn ein Spieler auf dem Eis liegt.

    "Der Schiedsrichter alleine hilft nicht immer. Man braucht auch die Spieler auf dem Eis, um einfach ein bisschen Ordnung reinzubringen und das die Gegenspieler auch wissen, was denen passieren kann, wenn sie etwas Dummes machen. Den meisten Jungs macht das Spaß, die haben zwar ein recht hartes Leben, also ich könnte das nie machen, aber den meisten gefällt das recht gut, vor allem in jüngeren Jahren."

    Ärzte fordern ein Ende der Enforcer, die Liga will die Fälle genau untersuchen und entscheiden, ob gezielte Schritte notwendig sind, um die Gesundheit der Spieler zu verbessern und die Wahrscheinlichkeit derartiger Vorkommnisse künftig zu minimieren. Seidenberg indes glaubt nicht, dass sich grundlegend etwas ändern wird. Er bereitet sich derzeit in der Eishalle der Boston University auf den Trainingsstart seiner Bruins am 17. September vor.

    Nicht allzu weit entfernt untersucht derweil Neurologe Dr. Robert Cantu in der Medizinischen Fakultät der Boston University das Gehirn von Seidenbergs ehemaligem Kollegen Derek Boogaard. Dessen Familie hat den Leichnam zur Forschung freigegeben. Bei Boogaard wurde ein Mix aus Alkohol und Schmerzmitteln als Todesursache festgestellt, er galt als Tablettensüchtig. Robert Cantu will herausfinden, ob der Profi an einer degenerativen Hirnschädigung, der so genannten chronisch traumatischen Enzephalopathie, kurz CTE litt. Cantu hatte CTE in der Vergangenheit bereits bei Boxern und Football-Spielern nachgewiesen. Die Ursache sind Gehirnerschütterungen, die seiner Meinung nach immer noch nicht Ernst genug genommen werden.

    Der anerkannte Sport-Psychologe Dr. Richard Lustberg sieht einen Zusammenhang zwischen eben jenen Gehirnerschütterungen und Depressionen. Lustberg betont, dass in den USA schätzungsweise zwölf Prozent aller Männer an Depressionen leiden. Eishockeyspieler seien da keine Ausnahme. Im Gegenteil, durch Gehirnerschütterungen steige die Möglichkeit sogar noch.

    Nach dem Tod von Rick Rypien wurde bekannt, dass er mehr als zehn Jahren lang depressiv war. Wade Belaks Mutter gab an, dass ihr Sohn an Depressionen gelitten, jedoch nicht oft darüber geredet habe. Seidenberg betont, dass die Teamärzte den Profis anbieten, zu ihnen zu kommen, falls jemand Unterstützung braucht. Klingt gut, doch die Praxis im knallharten NHL-Alltag sieht anders aus.

    "Aber man muss schon stark sein, um das zugeben zu können und dann auch zum Doktor zu gehen. Ich denke mal, dass es immer der schwerste Schritt ist, einfach Hilfe zu suchen."