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Känguru-Chroniken
Der Sprung auf die Bühne

Känguru trifft auf Kleinkünstler, Resignation auf Aktionismus: Das Buch "Die Känguru-Chroniken" und dessen beiden Nachfolger von Marc-Uwe Kling um ein kommunistisches Beuteltier und dessen kabarettistischen Mitbewohner waren bereits Bestseller. Jetzt hat es das Tier in Hannover am Jungen Schauspiel erstmals auf die Bühne geschafft.

Von Agnes Bührig | 16.10.2015
    Marc-Uwe Kling, deutscher Liedermacher, Kabarettist und Autor, bei einem Auftritt in Mainz
    Der Liedermacher und Kabarettist Marc-Uwe Kling stellt in seinen "Känguru-Chroniken" die Gesellschaft infrage. (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Elf Bennett-Kängurus im Auβengehege des Zoos Hannover spitzen die Ohren: Erdnüsse gibt es nicht alle Tage. Damit lassen sich die skeptischen Tiere von der Insel Tasmanien jedoch ungewöhnlich nah heran locken, sagt Tierpfleger Dirk Bröhmer. Ob sie auch Eierkuchen essen würden, die dem Känguru aus dem Buch schmecken? Bröhmer schüttelt den Kopf.
    "Die haben in Australien quasi die Nische von unseren Rehen übernommen hier in Europa, das heißt, sie leben in Waldgebieten, in Buschgebieten und halten da so ein bisschen die Vegetation kurz wie unsere Rehe das auch machen. Die sind winterhart, das heißt, man kann die ohne Probleme bei 20 Grad draußen halten."
    Mit Jonas Steglich, der im Stück das Känguru mimt, ginge das nicht. Der Schauspieler trägt an diesem freundlichen Herbsttag eine Norweger-Strickmütze. Wenige Meter vor den Tieren kniet der 25-Jährge reglos in der Hocke und lässt sich vom meditativen Knabbern der Beuteltiere anstecken. Ab und zu macht er ein Ohrenwackeln aus.
    "Ich glaube, die sind durchaus neugierig immer. Man muss sich genau angucken, wie sie zum Beispiel die Ohren bewegen. Die haben nämlich alles hier im Blick und sind gerade so richtig gut gelaunt und ziehen sich so den Tag rein. Kängurus scheinen mir relativ optimistische Betrachter dieser Welt zu sein."
    Kein Kindertheater
    Das ist bei der Vorlage von Marc-Uwe Kling etwas anders.
    "Hallo, sagt das Känguru. Darf ich reinkommen? Bitte, sage ich."
    Känguru trifft auf Kleinkünstler, Resignation auf Aktionismus. Denn der neue Mitbewohner mit dem Beutel vor dem Bauch ist politisch aktiv und stellt alles und jeden infrage.
    Auf der Bühne geht es daher nicht um niedlich Flauschiges. Und auch nicht um Kindertheater, sagt Regisseur Malte C. Lachmann, der in Hannover zuletzt mit seiner Comic-Trash-Revue "Süd Park" überzeugte.
    "Insgesamt ist das Känguru ein Anarchist und ein Kommunist und jemand, der wirklich was möchte. Und deshalb haben wir versucht in allem, was wir jetzt zur Umsetzung getan haben, wo das Känguru wirklich in eine Aktion kommen kann und wo es eine gewisse Härte auch gibt.
    Wir gehen viel mit Graffitis um, wir gehen eben mit der rockigen Musik von Marc--Uwe Kling um."
    Ein Alien in der Gesellschaft
    Langer Schwanz, Tiernase, zottelige Haare – so begegnet einem das anarchistische Beuteltier auf der Bühne. Ort der Handlung: eine WG, Hort der Systemkritik. Weitere Requisiten: flatternde Geldscheine und ein großes leuchtendes McDonald's-Schild. Kapitalismusbashing, unübersehbar. Aus drei Känguru-Bänden hat das Theaterteam die besten Szenen ausgewählt, sagt der Regisseur.
    "Uns im Team interessiert, glaube ich, am meisten das, wo der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten wird. Weniger die rein absurden Passagen, sondern eher das, wo das Känguru als Alien in unsere Welt kommt und sagt: Warum macht ihr das eigentlich alles so wie ihr das macht, warum macht ihr Sachen, die ihr vielleicht gar nicht machen wollt und warum agiert ihr so absurd."
    Die Kängurus im Zoo in Hannover stellen ihre Umgebung auch infrage. Vor allem, wenn ein Artgenosse ihnen den Platz streitig macht. Auch dann streiten sie um ihren Platz in der Gesellschaft.
    "Man sagt Kängurus boxen, aber eigentlich versuchen sie, sich die Arme gegenseitig auf die Schultern zu legen. Dann können sie sich quasi abstützen, und dann treten die sich gegenseitig mit ihren sehr starken Beinen gegen den Bauch.
    sagt Tierpfleger Dirk Bröhmer und klappert noch mal mit der Futterdose. Erdnüsse statt Alkoholpralinen, der Lieblingsspeise aus dem Buch– nicht alles ist gleich in Realität und Fiktion.