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Kängurus statt Kiosk

Der Overland-Trek in Tasmanien zählt zu den zehn besten Trekkingtouren weltweit. Wer sich für die Tour durch die Moore im Hochgebirge entscheidet, sollte gut überlegen: Was brauche ich wirklich für unterwegs?

Von Nadine Querfurth |
    "Wir haben entschieden, unsere Rucksäcke samt der ganzen Ausrüstung gar nicht erst zu wiegen. Wir wollen gar nicht wissen, wie schwer sie sind, aber bestimmt 35 bis 40 Kilogramm!"

    "Es hat geschneit, dann gehagelt und wir haben gerade 15 Meter weit gesehen. Wir standen praktisch in den Wolken."

    "Ich habe nicht viel dabei: zwei Hosen, Leggins, Thermounterwäsche und Regenklamotten, das ist alles."

    "Vermeidet Blasen, das ist das A und O. Sobald ihr nur spürt, da könnte eine Blase entstehen, macht gleich ein Blasenpflaster drauf. Es gibt wirklich nichts Schlimmeres, als eine Blase zu haben und zu wissen, damit musst du jetzt sieben Tage wandern."

    Kelly und Ily Peik, ein junges Pärchen aus Oregon, beide Anfang 30, treffen die letzten Vorbereitungen für eine Wandertour mitten durch Tasmanien, die Insel südöstlich der Australischen Küste. Auf 75 Kilometern schlängelt sich der Overland-Trek – für viele der schönste Wanderweg Australiens – inmitten des beeindruckenden Cradle-Mountain-Nationalparks durch Moore und Hochplateaus, entlang kristallklarer Seen und kleiner Wäldchen aus Farnpalmen. Weit abgelegen ist er, jenseits der Zivilisation. Ein normal fitter Wanderer schafft diese Strecke in sechs bis sieben Tagen.

    "Wir nehmen uns viel Zeit, um auch alle Seitentouren zu laufen. Wir wollen ganz früh aufstehen, auf alle Gipfel klettern und einfach so viel wie möglich vom Trek mitnehmen und ihn genießen. Wir planen sieben Tage."

    Durch ein so abgelegenes Fleckchen Erde zu wandern, setzt ein wenig logistische Planung voraus. Wie kommt man an Trinkwasser, wie an Verpflegung, was braucht man an Ausrüstung? Im Cradle-Mountain-Nationalpark gibt es weder Kiosk noch Supermarkt, daher haben Kelly und Ily alles vorher eingekauft. Nahrungsmittel für sieben Tage plus eine Notration. Die beiden sind in ihrer Heimat ständig mit Rucksack und Zelt unterwegs. Aus Schlafsäcken, Isomatten und Zelt bauen sie ihr mobiles Zuhause. Die beiden wissen, was sie brauchen, um satt zu werden.

    "Wir kochen abends und trinken heißen Tee. Zum Mittag gibt's Erdnussbutter-Honig-Toast, zum Frühstück Müsli und abends dann Couscous mit getrockneten Pilzen."

    Ganze anderthalbe Tage nimmt die Anfahrt von der tasmanischen Hauptstadt Hobart über Launceston zum Cradle Mountain Nationalpark ein. Am Omnibusbahnhof von Devonport wartet ein weiß-grüner Kleinbus.
    Fast alle Reisenden im Bus haben das gleiche Ziel: Den Start des Overland-Treks. 160 Australische Dollar, umgerechnet 100 Euro kostet das Wandervergnügen pro Person. Bis vor vier Jahren noch durfte jeder ohne zu zahlen den Trek laufen. Die Bekanntheit und Schönheit ist dem Overland-Trek zum Verhängnis geworden. Zigtausend Wanderer zählte man pro Jahr, viele Hunderte starteten pro Tag. Zu viele als dass der einzelne den landschaftlich so beeindruckenden Wanderweg noch hätte genießen können. Mittlerweile ist die Anzahl der Wanderer in der Hochsaison begrenzt: 60 dürfen pro Tag starten. Kelly und Ily Peik haben bequem per Internet gebucht und nehmen als nächste in der Warteschlange ihre Tickets entgegen.

    "Hier sind eure Pässe, die müssen gut sichtbar am Rucksack angebracht sein. Wenn ihr in Ronnies Creek loslauft, tragt ihr Euch in das Buch ein. Dann seid ihr registriert."

    Geht es Euch gut heute? Seid ihr fit zum Loslaufen? Der Shuttlebus fährt alle zehn Minuten gleich von hier draußen und bringt Euch zum Ausgangspunkt des Treks.

    In Ronnies Creek ist der Startpunkt der Wandertour. Kelly und Ily sind abmarschbereit als ihnen siedendheiß einfällt, dass sie an eine ganz wichtige Sache nicht gedacht haben. Sie wenden sich zwei Wanderern zu.

    "Habt ihr an Toilettenpapier gedacht?? Also wenn ihr eine übrig habt oder zuviel, wäre das großartig Das ist wirklich hilfreich, Danke Euch. Wir sehen Euch unterwegs auf dem Weg."

    Kelly und Ily Peik finden recht schnell ihren Rhythmus. Das ganze Hab und Gut auf dem Rücken zu tragen beflügelt, der ständig wehende Wind bläst einem förmlich die Gedanken aus dem Kopf. Alltag und Eintönigkeit existieren hier nicht. Der Weg führt nie schnurstracks gerade aus. Hinter jeder Kurve sieht die Landschaft anders aus. Buttongrass, sogenanntes Knopfgras, wächst in halbkugelförmigen großen Büschen und streckt am Ende der Halme knopfartige Blüten in die Luft.

    Bäume und Büsche leuchten in vielen verschiedenen Grüntönen. Vereinzelt durchbrechen graue Felsen die grünen Hügel. Immer wieder tauchen kleine Wälder von Pandanus-Bäumen auf. Ihre Silhouetten sehen im Gegenlicht wie Kraken mit unzähligen Tentakeln aus.

    Dass die Schönheit des Overlandtreks bis heute erhalten ist, geht unter anderem auf einen gebürtigen Österreicher zurück. Gustav Weindorfer wanderte nach Tasmanien aus und war fasziniert von der Schönheit rund um Cradle-Mountain. Die Landschaft hatte ihn so berührt, dass er sich 1911 dort ein Haus baute – sein Waldheim, wie er es nannte. Er wollte die Gegend um Cradle-Mountain auch anderen zugänglich machen und erweiterte es zu einem Gasthaus.

    Bereits 1912 kamen die ersten Besucher. Auf Gustav Weindorfers Drängen hin entstanden 1922 zwei Reservate, die später zum Cradle-Mountain Lake St. Claire-Nationalpark wurden. Weindorfer war ein guter Herbergsvater für die Gäste in seinem Waldheim, servierte Wombat-Gulasch und erzählte Geschichten aus seiner Heimat, dem alten Wien. In den 1930er-Jahren entwickelte sich am Cradle Mountain regelrecht eine Art Wandertourismus, einer Gegend die sonst von Trappern und Aboriginies bewohnt war.

    Die erste Wandergruppe begleitete der Tasmanier Evelyn Temple Emmett, der Gründer des Hobart Wanderclubs. 1931 - vor fast 90 Jahren - lief er den Overland-Trek mit sieben weiteren Wanderern zum ersten Mal. Damals war der Overland-Trek in fünf Tagen zu schaffen, die unter Kennern als "the five most thrilling days of your life" – als "die fünf aufregendsten Tage des Lebens" galten.

    Seitdem Emmett den Overland-Trek einweihte, hat das Interesse nicht nachgelassen. Bis zu 8000 Wanderer laufen den Trek pro Jahr. Ein detaillierter Managementplan ist nötig, um ihn zu bewirtschaften. Darren Emmett, ein Urenkel von Evelyn Temple Emmett, ist in dessen Fuß-Stapfen getreten und arbeitet heute als Ranger auf dem Overland-Trek.


    "Neun Tage lang bin ich hier draußen und laufe den Trek einmal bis zum Ende und zurück, dann habe ich fünf Tage frei. Es ist eine fantastische Natur mit Tüpfelbeutelmardern, kleinen Kängurus, tasmanischen Teufeln, Plumpbeutlern. Das ist einzigartig."

    An der Waterfall Valley Hut, der ersten Übernachtungsmöglichkeit auf dem Trek, fließt ein kleiner Fluss die Hügel hinab. Neben einem Buttongrashügel sitzt ein kleines, wollenes, rundes Wesen: ein Wombat – ein Plumpbeutler. Er streckt den hier nächtigenden Wanderern seine nackte Nase entgegen – scheu ist er nicht. Laut Darren Emmett gehört er zum "Inventar" dieser Hütte und hält sich fast immer hier auf. Der Ranger schmunzelt, als er die Wanderer mucksmäuschenstill auf dem Boden liegen sieht, die Kameras mit ruhiger Hand auf den Wombat gerichtet.

    "Der Trek ist auch gewissermaßen ein sehr sozialer Wanderweg, denn man trifft Gleichgesinnte aus so unterschiedlichen Ländern. Die Ansichten und Erfahrungen der anderen kennenzulernen, macht mir persönlich sehr viel Spaß und deshalb liebe ich meine Arbeit hier so sehr."

    Kelly und Ily Peik kommen nach viereinhalb Stunden Marsch an der Waterfall Valley Hut an. Neben der Holzhütte ist ein Rasenstück für Zelte. Die beiden öffnen ihre Rucksäcke, ziehen Zelttaschen, Kocher und Isomatten heraus und bauen ihr mobiles Zuhause auf. Offenes Feuer ist im Nationalpark nicht erlaubt, deshalb zündet Kelly den Benzinkocher an für Couscous mit getrockneten Pilzen.

    Wer auf dem Overland-Trek kein Zelt mitschleppen möchte, kann in der Holzhütte übernachten. Marc Green und seine drei Söhne aus Sydney haben sich für die Hütte entschieden. Die vier laufen kürzere Etappen, denn Marcs Jüngster ist gerade sieben Jahre alt. Jeder der drei Jungs trägt einen eigenen Rucksack. Marc hat diesen Urlaub ganz bewusst als Familienurlaub geplant.

    "Meine Söhne sind grade in dem Alter, wo sie so eine Wanderung auch interessieren könnte. Dann hatten wir die Idee, es nur als Vater-Sohn-Wanderung zu starten. Ich fand die Idee sofort sehr gut, weil heutzutage in der westlichen Welt die intensive Zeit zwischen Vater und Söhnen wirklich selten geworden ist. Man muss sich diese Zeit das ganz bewusst frei schaufeln und es einfach machen."

    Marc möchte während dieser intensiven Zeit seinen Söhnen etwas ganz Besonderes mit auf den Weg geben.

    "Eben auch in Zeiten, wenn es mal schwierig oder anstrengend wird, durchzuhalten und die Erfahrung machen, man kommt trotzdem ans Ziel."

    Kelly und Ily, Marc und seine Söhne und die meisten anderen Wanderer sind nach sieben Tagen Wandertour am Ziel: Erschöpft, aber glücklich.

    "Ich empfehle es wirklich jedem, es ist ein wunderschöner Trek. Jeder wird seinen Körper spüren auf der Tour, egal wie fit er ist, aber es lohnt sich auf jeden Fall."

    "Wir fanden es ganz großartig, wir haben tolles Wetter erwischt. Der Weg ist gut in Stand gehalten, es könnte viel schlammiger sein, nein, keine Beschwerden, alles prima."