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Kaffee, Kunst und Kuchen

Gostenhofen galt lange Zeit als Nürnberger Bronx. Dank umfangreicher Sanierungsarbeiten und niedriger Mieten entwickelte sich der Stadtteil zum Künstlerviertel mit besonderem Charme.

Von Julia Belke | 17.05.2012
    "Dimm dimm dimm ... nächster Halt: Gostenhof."

    Wer zum ersten Mal den Weg nach Gostenhof gefunden hat, dem präsentiert sich der Nürnberger Stadtteil auf den ersten Blick nicht gerade so, wie man es von einem "Künstlerviertel" erwartet: Der erste Eindruck wird vom Lärm der vierspurigen Fürther Straße geprägt – in "GoHo", wie die Gostenhofer ihren Kiez in Anlehnung an das berühmte Londoner Szeneviertel nennen, ist vom leichten Leben der Boheme erst mal nicht viel zu spüren. Überhaupt hatte Gostenhof bis vor Kurzem noch einen ganz anderen Ruf, erinnert sich der Geograph Jan von der Heide, der seit einigen Jahren im Viertel lebt und in der Kommunal- und Stadtteilberatung arbeitet:

    "Also die Nürnberger haben das noch vor nicht allzu langer Zeit als das 'Scherbenviertel' bezeichnet und als 'Glasscherbenviertel', eben deswegen, weil es ein bisschen heruntergekommen war, man hat sich vielleicht nicht so ganz rein getraut – die 'Bronx von Nürnberg' hab ich auch schon von Arbeitskollegen gehört, als ich hier hingezogen bin."

    Tatsächlich scheinen die Tage politischer und wirtschaftlicher Bedeutsamkeit in Gostenhof eher der Vergangenheit anzugehören: 170 Jahre ist es her, dass hier die erste Dampflokomotive ein neues Verkehrszeitalter einläutete. An die Zeit, als die ganze Welt auf den Justizpalast blickte, wo den Verbrechern des Naziregimes der Prozess gemacht wurde, erinnert heute ein Museum. Und die ehemals wichtigen Arbeitgeber AEG und Quelle haben nach ihrer Schließung nur riesige, leere Gebäudekomplexe hinterlassen. Aber gerade so wurde die Grundlage für das "Künstlerviertel GoHo" geschaffen, glaubt Jan von der Heide:

    "Diese Stagnation oder der Niedergang schafft natürlich auch immer Raum für Neues – und da ist vielleicht der Anfang der Dynamik drin zu suchen."
    Ungenutzte Räume und niedrige Mieten haben in den letzten Jahren viele Studenten und junge Künstler nach Gostenhof gelockt. Sie haben sich in den Hinterhäusern eingerichtet, Maschinen und Werkbänke haben kleinen Galerien und Ateliers Platz gemacht. Und GoHo ist nicht nur kreativ, sondern auch multikulturell: Spezialitäten aus Italien, Griechenland und der Türkei werden zum Kauf angeboten – und die jeweiligen Landesmeisterschaften im Fußball werden live übertragen. Francesco Ferrante ist beides – Wahl-Gostenhofer südeuropäischer Herkunft und Künstler:

    "Jetzt bin ich seit vier Jahren hier und habe auch schon ein bisschen Deutsch gelernt. Und dann habe ich gedacht: Ich kann jetzt Künstler werden, wahrscheinlich. Und ich habe gedacht, ich kann vielleicht hier anfangen. Also habe ich angefangen, Bilder zu malen, zu Hause, und dann habe ich eine kleine Ausstellung bekommen, in Gostenhof, und es war gut, alle waren zufrieden, und dann habe ich gedacht: Ok, vielleicht kannst du ein Atelier suchen und richtig Künstler werden."

    Heute steht Franceso in seinem Atelier Galerie Della Luce. Seit letztem Herbst wird hier Kunst geschaffen und ausgestellt. Hier zeigt sich endlich der viel zitierte Gostenhofer Charme in einer Mischung aus Glamour und Improvisation: Goldene Wände und verstreute Blütenblätter bilden den Kontrast zum alten Perserteppich und dem handgeschriebenen Hinweisschild: "Vorsicht, Treppe ist schief!" Laut Selbstbeschreibung ist die Galerie ein "Treffpunkt für Künstler, Kreative, Poeten, Playboys, Päpste, Hippies, Huren, Hedonisten, Mafiosi und Weltenbummler". Das Aufeinandertreffen verschiedener Typen ist eigentlich das Schönste an GoHo, findet Anne Kammermeier, die die Galerie della Luce zusammen mit Francesco betreibt:

    "Am bereicherndsten empfinde ich das, dass man einfach so viele verschiedene Leute kennenlernt. So wie früher die Salons, wo die reichen Damen die Künstler und Poeten usw. empfangen haben, machen wir eben jetzt sonntags unser 'Kunst, Kaffee und Kuchen'".

    Jeden Sonntag öffnen sie die Türen ihrer kleinen Galerie und verwöhnen ihre Gäste mit Kuchen und Livemusik. So romantisch und unbeschwert wie in den Zeiten der Salongesellschaften ist das Künstlerdasein heutzutage allerdings nicht mehr. Selbst in GoHo haben es Nachwuchskünstler schwer. Die Bildhauerin Heike Wurthmann lebt und arbeitet hier seit acht Jahren. Den wachsenden Hype um das Nürnberger "Kreativviertel" beobachtet sie mit gemischten Gefühlen:

    "Es wäre toll, wenn es wieder mehr Raum gibt für Kreativität, und dass eben auch noch nicht etablierte Künstler Raum finden, indem sie arbeiten können, ohne irgendwie um ihre Existenz bangen zu müssen."

    Sie fände es schade, wenn ausgerechnet die wachsende Beliebtheit die Mieten weiter steigen ließe und den Nachwuchs für die Gostenhofer Künstlergemeinschaft abschrecken würde. Durch dieses offene und unelitäre Netzwerk hat Sie selbst am Anfang Ihrer Karriere viel Unterstützung erfahren. Und sie schätzt die typische Gostenhofer Atmosphäre:

    "Gostenhof hat einen besonderen Charme, der im ersten Moment durch die Altbauten zur Geltung kommt, und es gibt sehr viel zu entdecken, weil es sehr viele Hinterhäuser gibt, die – früher noch mehr – von Künstlern belebt wurden, und in Gostenhof sehr viel Leben auf der Straße stattfindet."

    Der besondere Charme des "etwas anderen Viertels" in Nürnberg offenbart sich seinen Besuchern vielleicht erst auf den zweiten Blick, doch so hat jeder die Möglichkeit, sich das Viertel selbst zu erarbeiten und für sich zu entdecken. Alle Gostenhofer bestätigen: fast jeder, der einmal den Weg nach GoHo gefunden hat, kommt wieder.