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Kaffee mit Todessehnsucht

Biologie. - Als der britische Schriftsteller Douglas Adams sich vor über 20 Jahren auf die Suche nach den Letzten ihrer Art machte, stieß er auf einer kleinen Insel bei Mauritius auf einen einsamen Baum. Einen sehr einsamen Baum - den letzten Café-Marron-Baum der Welt. Zum Schutz vor Ziegen und Räubern fristete er hinter vier Reihen Stacheldraht versteckt ein trauriges Dasein. Doch dieser einsame Baum hat eine Zukunft.

Von Monika Seynsche | 05.08.2009
    Die Geschichte beginnt Anfang der 80er Jahre in einem Klassenraum auf Rodrigues - einer kleinen Insel bei Mauritius, mitten im Indischen Ozean. Ein Lehrer schickt seine Schüler hinaus, um Pflanzen zu sammeln und zu bestimmen.

    "Einer der Schüler brachte einen Zweig mit, der keiner einzigen Pflanze ähnlich sah, die in den aktuellen Bestimmungsbüchern der Insel vorkam."

    Dafür hatte der Zweig verblüffende Ähnlichkeit mit einer 200 Jahre alten Zeichnung, erzählt Carlos Magdalena vom Botanischen Garten in London. Einer Pflanze, die schon seit Jahrzehnten als ausgestorben galt. Anfang des 19. Jahrhunderts war die kleine Kaffeeart einem britischen Naturforscher aufgefallen. Er zeichnete sie und brachte einige Pflanzen nach London.

    "Sie schickten uns eine Probe, und da wir hier in Kew Gardens noch ein getrocknetes Exemplar von der damaligen Reise hatten, konnten wir bestätigen, dass es sich um Ramosmania rodriguesii handelte, dass die Art also doch noch lebte."

    Es begann eine fieberhafte Suche. Aber vergeblich: Der Baum, den der kleine Junge entdeckt hatte, blieb der einzige Café-Marron-Baum der Welt.

    "Die Inselbewohner wurden verrückt nach der Pflanze. Sie behaupteten, der Café Marron helfe gegen so gut wie jede Krankheit. Deshalb rückten sie ihm immer wieder zu Leibe und schnitten Äste ab."

    Zum Schutz des Café Marrons wurde ein Zaun errichtet, dann noch einer und noch einer. Am Ende waren es vier Zäune und ein Wächter. Das alles half nichts. Als letzte Rettung schickten Naturschützer einige Ableger von Rodrigues nach London. Einer von ihnen überlebte. Damit gab es einen lebenden Café-Marron-Baum auf Rodrigues und einen in Kew Gardens in London. Beide blühten ohne Unterlass, aber keine brachte auch nur einen einzigen Samen hervor.

    Sie wurden "die lebenden Toten" genannt, erinnert sich Carlos Magdalena. Zwei Klone, die leben, aber sich nicht fortpflanzen. 20 Jahre lang ging das so. Viele neue Klone kamen dazu, aber sie alle stammten von ein und derselben Pflanze. Bis zum Jahr 2003. Carlos Magdalena arbeitete damals als Student in Kew Gardens und fing aus lauter Verzweiflung an, die Klone im Gewächshaus zu verteilen. Einige stellte er in kühle Ecken, andere mitten in die Sonne oder auf die Heizung. Dann plötzlich fingen die Pflanzen auf der Heizung an, sich zu verändern.

    "Ich konnte beobachten, dass der Blütenstempel länger wurde."

    Er versuchte die Pflanzen zu bestäuben und brachte Pollen von den ursprünglichen auf die veränderten Blüten. Mit Erfolg: Plötzlich entstanden aus einigen Blüten Früchte.

    "Ich vermute, dass die männlichen Blüten weibliche Anlagen haben, deren Entwicklung sie normalerweise hemmen. Sie blühen zwei bis drei Wochen. Wenn man die Pflanze aber überhitzt, bilden sie am Ende der Blütezeit ihre weiblichen Anlagen aus. Dadurch bekommt man männliche und weibliche Blüten, und die Pflanze kann sich selbst bestäuben."

    Mittlerweilen hat Carlos Magdalena den Trick so oft angewandt, dass in seinem Gewächshaus in Kew Gardens unzählige Nachkommen des Café-Marron-Baums wachsen.

    "Wir haben ein unglaubliches Glück gehabt, dass der letzte überlebende Café-Marron-Baum männlich war. Denn die männlichen Blüten können Sie zwingen, weiblich zu werden. Andersrum ist das unmöglich: Die weiblichen Blüten geben keinen Pollen ab, sodass wir nie eine Frucht hätten erzeugen können."

    Die ersten in Kew Gardens gezeugten Nachkommen hat Carlos Magdalena schon nach Rodrigues gebracht - damit der ehemals letzte Café-Marron-Baum der Welt wieder Gesellschaft bekommt.