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Kaffee trinken und Zeitung schreiben

Für die meisten Menschen gehören Kaffee trinken und Zeitung lesen zusammen. Neu wäre Kaffee trinken und Zeitung schreiben. In Tschechien wird das sogenannte Newscafé jetzt als Zukunftsmodell für den Printjournalismus gehandelt. Das Motto: global denken, hyperlokal handeln.

Von Janina Labhardt |
    Das Konzept des hyperlokalen Newscafés hört sich erstmal fremd an: null Prozent international, null Prozent national, null Prozent regional, 100 Prozent lokal. Und gleichzeitig wird der Wert des Qualitätsjournalismus hochgehalten. Das heißt, es werden ausschließlich Lokalnachrichten aus dem jeweiligen Bezirk in der Wochenzeitung thematisiert, die jeweils montags erscheint. Naše Adresa heißt diese"hyperlokale Zeitung, übersetzt "unsere Adresse". Wieso diese Idee ausgerechnet aus Tschechien kommt, kann Matej Husek, der Projektentwickler aus Prag, nicht beantworten:

    "Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, wieso gerade Tschechien. Die Frage, die wir uns gestellt haben, war: Wofür bist du eigentlich bereit zu zahlen? Für welche Infos? Ist es eine nationwide paper, ist es Sport, ist es Lokal?"

    Die Antwort darauf lautet: User-generated Content interessiert die Leute am meisten. Das sind also Inhalte, die die Leserinnen und Leser selbst einbringen. Leute wie du und ich, betont Matej Husek. Gäste können von sieben Uhr früh bis 19 Uhr in die Redaktion, ins Newscafé, kommen, und von Projekten berichten oder erzählen, was sie an der Stadt stört oder was ihnen aufgefallen ist. Es sind Informationen aus der Gegend, ein großer Teil Leserservice und lokale Sportereignisse. Matej Husek:

    "Die Rentner sind tatsächlich eine gute Informationsquelle, aber wir arbeiten auch mit Feuerwehrmännern - eine gut organisierte Gruppe, die sehr engagiert ist -, wir arbeiten aber auch mit Studenten und Kinder in Schulen. Aber bevor wir etwas publizieren, wird es abgesegnet. Also wenn wir sehen, dass es ein problematischer Inhalt ist, dann nehmen wir das als Tipp, und unsere Redakteure bearbeiten das. Normalerweise, dass das wirklich in die Zeitung kommt, sind das Einladungen, Jubiläen, solche Sachen."

    Eine Zeitung, die nur aus lokalen Informationen besteht... Das zeigt schon die Titelseite: Man sieht Bürgerinnen und Bürger vom jeweiligen Ort abgebildet, die sich zu einem hyperlokalen Thema äußern. Kann man denn bei dieser Zeitung davon ausgehen, dass sich die Leserinnen und Leser nur für das Lokale interessieren, und nicht etwa, was im Ausland oder landesweit geschieht?

    "Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer kleinen Stadt, 20 bis 30.000 Menschen dort. Die Menschen leben ganz anders dort, die Leute kennen einander. Meine Schwiegermutter liest einzig die Anzeigen von Neugeborenen und Gestorbenen. Sie sagt: Guck mal, diese und diese Leute haben ein neues Kind, unsere Freunde. Und: Schau mal, es ist schade, dass dieser und dieser gestorben ist. Diese Leute leben eben ein anderes Leben."

    Diese Strategie funktioniere eben in kleinen Städten, so Matej Husek. Zwar ist die Hauptzentrale in Prag. Sie sei der "Futuroom", das zentrale Gehirn, das die Regionalredaktionen zum Beispiel bei Infografiken unterstütze. Aber in tschechischen Städten ab 100.000 Einwohnern sei es schwierig, die Leute nur mit lokalen Informationen zu versorgen. Die wollen im Gegensatz zu ländlichen Gegenden auch Überregionales erfahren.

    "Heute gibt es unheimlich viele Quellen, wo ich erfahren kann, was im Ausland passiert. Aber die Nachrichten meiner Umgebung, die Nachrichten aus meiner Stadt, wo ich wohne, die habe ich nirgendwo. Da gibt es nur eine einzige Quelle: diese Zeitung."

    Die Zeitung Naše Adresa besteht aus etwa 30 Seiten, die News bestreiten gut zwei Drittel, die restlichen Seiten sind Anzeigen. Damit finanziert sie sich auch größtenteils, und zwar etwa zu 50 bis 60 Prozent. Weitere Einnahmen bestehen aus dem Verkauf der multimedialen Inhalte an andere Zeitungsredaktionen und Verlage.

    Die Redakteure in den Newscafés sind für ihre Arbeit genau trainiert und geschult. Sie sollen nicht nur gut recherchieren und schreiben können, sondern vielmehr auch auf die Gäste und deren Anliegen eingehen können. Matej Husek nennt ihre Rolle Communitiy-Manager.

    "Am Anfang hatten wir Angst, dass wir ziemlich viel Probleme haben werden mit Leuten, die ständig meckern. Aber wir haben ein gutes Rezept dafür: Da sagen wir ihnen, wir möchten gerne ihr Thema abdrucken. Hier haben Sie einen Computer, bitte schreiben Sie das. Dann schreiben sie das, wir lesen das und wir sagen, dass wir das wirklich abdrucken können, muss es unserem Standard entsprechen. Wenn wir das so ein paar Mal so machen und die Leute zwingen, einen gewissen Standard abliefern, dann kommen sie nie wieder."

    Derzeit gibt es die Newscafés in vier Bezirken in der Republik Tschechien. In einem Jahr möchte Matej Husek und sein Team 89 Newscafés in ganz Tschechien ins Leben rufen. Diese sollen 110 Wochenzeitungen landesweit herausgeben und 800 Webseiten betreiben.