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Kaffee
Unerwünschtes Nebenprodukt durch Röstung

Während des Röstens von Kaffeebohnen entsteht Mepiquat - eine Stickstoffverbindung, die als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln eingesetzt wird. Gefährlich sei das für den Menschen aber nicht, sagen Industrieforscher aus der Schweiz.

Von Volker Mrasek | 07.04.2014
    Wenn Nahrungsmittel gebraten, gebacken oder geröstet werden, läuft eine Vielzahl von chemischen Prozessen in ihnen ab. Man spricht auch von der Maillard-Reaktion, benannt nach dem Forscher, der sie vor gut 100 Jahren als Erster näher ergründete. Im Verlauf der ganzen Reaktionsschritte bilden sich Substanzen, die Lebensmittel bräunen und deren Aroma prägen.
    Doch nicht nur das! Die Maillard-Reaktion kann auch Stoffe hervorbringen, die sich niemand in einem Nahrungsmittel wünscht. Und da haben Schweizer Industrieforscher jetzt Verblüffendes herausgefunden: Beim Rösten von Kaffeebohnen entsteht durch die Maillard-Reaktion Mepiquat - eine Stickstoffverbindung, die als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln eingesetzt wird ...
    "Dies ist die erste Studie über die Bildung von Mepiquat als Nebenprodukt in Lebensmitteln."
    Das sagt Richard Stadler über die Untersuchungen. Der Toxikologe ist Experte für chemische Kontaminanten beim Schweizer Lebensmittel-Hersteller Nestlé und leitete die Studie. Auf nähere Fragen dazu wollten sich Konzern und Forscher nur schriftlich äußern.
    Mepiquat wird in großen Mengen als Wachstumsregulator verwendet, der die Erträge steigern soll. In der EU dürfen Landwirte zum Beispiel Weizen, Roggen, Hafer, Mais und Weintrauben damit behandeln. Doch von einem Mepiquat-Einsatz in Kaffeeplantagen ist nichts bekannt. Wie kommt der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff dann in die Bohnen? Das war die große Frage. Die Antwort der Forscher:
    "Typische Temperaturen, wie sie beim traditionellen Prozess der Kaffeeröstung auftreten, führen zur Bildung von Mepiquat in Spurenkonzentrationen. Geröstete Getreide wie Gerste können auch Spuren von Mepiquat enthalten."
    Beim Rösten herrschen Temperaturen um 240 Grad Celsius. Dabei reagieren bestimmte natürliche Inhaltsstoffe der Kaffeebohnen miteinander: die Aminosäure Lysin, Zuckerverbindungen, und Trigonellin. Das ist ein pflanzliches Alkaloid, genauso wie Koffein. Aus diesen drei Zutaten entsteht im Verlauf des Röst- und Bräunungsprozesses Mepiquat, wie die Analysen im Nestlé-Labor ergaben.
    Die Sache erinnert stark an das Jahr 2002, als in Kartoffel- und Getreideprodukten Acrylamid entdeckt wurde. Das potenzielle Krebsgift entsteht ebenfalls bei der Maillard-Reaktion.
    Im Fall von Mepiquat sehen die Nestlé-Forscher allerdings kein Gesundheitsrisiko - nicht einmal, wenn jemand sieben Tassen des Kaffees trinkt, der am meisten Mepiquat enthielt. Selbst dann schlucke man nur ein Sechshundertstel der tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge für den Stoff, heißt es in der Studie.
    Für Richard Stadler sind die neuen Befunde dennoch sehr interessant, wie er schreibt:
    "Unsere Studien werfen ein Schlaglicht auf die Vielzahl von Chemikalien, die beim Kochen von Lebensmitteln entstehen können – wobei uns immer leistungsfähigere Analysetechniken dabei helfen, Verbindungen noch in geringsten Spuren nachzuweisen. Im Fall von Mepiquat bringen die Studien die wichtige Erkenntnis, dass es mehr als nur eine Quelle für eine Substanz geben kann. Der Stoff ist als Wachstumsregulator bei verschiedenen Getreidesorten zugelassen; er wird aber auch auf natürliche Weise beim Prozess der Lebensmittelherstellung gebildet."
    Die neue Studie wirft spannende Fragen auf. Zum Beispiel die, ob es vielleicht Fälle gibt, in denen vermeintliche Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln gar keine sind. Es könnte sich ja auch um natürlich entstandene Stoffspuren handeln.
    Und dann wüsste man natürlich gerne, welche Verbindungen noch so alles aus der Maillard-Reaktion hervorgehen können. Und ob nach Acrylamid und Mepiquat nicht noch andere potenzielle Schadstoffe auftauchen – sei es in gerösteten Lebensmitteln oder in gebratenen. Auszuschließen ist das nicht. Womöglich warten Lebensmittelchemiker noch mit weiteren Überraschungen für Verbraucher auf.