Freitag, 29. März 2024

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Kafkas "Das Schloss"
Verwitzelte Wimmelbilder

Kafkas „Schloss“ eignet sich nicht unbedingt fürs Theater. Seine Beliebtheit unter Regisseuren bleibt jedoch ungebrochen. Nach dem Thalia Theater nimmt sich jetzt das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg den labyrinthischen Text vor. Viel mehr als Ulkerei kam nicht dabei heraus, meint unser Kritiker.

Von Michael Laages | 24.02.2020
Das Ensemble der Inszenierung von "Das Schloss" von Franz Kafka am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der Regie von Viktor Bodo
Das Ensemble von Franz Kafkas “Das Schloss" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (Thomas Aurin)
Der blöde kleine Witz vom Beginn ist leicht zu überhören, gibt aber diesem Blick auf Kafka Richtung und Stimmung vor. Als dieser fremde Herr da, der sich als "Landvermesser" ausgibt, sich dem rätselhaften 'Schloss' genähert habe, jammert ein nuschelnder Bediensteter, habe der Fremde doch tatsächlich "das Schloss" kaputt gemacht: ein Vorhängeschloss, das den Zugang zur riesigen Baustelle sichern sollte, die Bühnenbildnerin Zita Schnabel entworfen hat. "Schloss" also und "Schloss": eine Pointe aus der Wortspielhölle. Dieser Hamburger Versuch mit Kafka bleibt in der Folge abendfüllend albern.
"Sie schauen sich das Schloss an?"
"Ich seh’s nicht so richtig von hier aus."
"Das Schloss gefällt Ihnen nicht."
"Warum nehmen Sie denn an, dass es mir nicht gefällt?"
"Keinem Fremden gefällt es."
Mit der grandiosen, bühnenhaushohen Baustelle prägt die Aufführung immerhin ein weitaus stärkeres Bild als das Dorf, das normalerweise und wie im Roman, die zutiefst durchbürokratisierte Lebens- oder besser Nicht-Lebenswelt des Schlosses spiegelt. In den unüberschaubaren Gerüsten, Gängen und Plattformen des Schnabel-Baus wird tatsächlich eine Art Betriebsstruktur kenntlich, mit allen inneren Hierarchien und Abhängigkeiten, die zwar angeblich von der Betriebsleitung im Schloss organisiert und kontrolliert werden, aber offenkundig nie irgendeine Art von Effizienz erwirtschaften. Alle Prozesse laufen im Grunde immerzu leer, phantasievolle Disfunktionalität ist oberstes Gesetz. Selbst bei so etwas fundamental Einfachem wie dem Telefonieren.
In der Schleife des Anrufbeantworters
"Sie haben die Nummer vom Schloss gewählt. Zur Zeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch. Bitte haben Sie noch einen kleinen Moment Geduld. Der nächste freie Mitarbeiter ist gleich persönlich für Sie da."
Durch all diesen Irrsinn driftet nun Josef K., der "Landvermesser", der irgendwann mal bestellt worden ist und nun angestellt werden will, obwohl ihn offenkundig niemand wirklich braucht. Nur die verschiedenen Frauen im Betrieb sind ihm gewogen: die ruppige Wirtin und deren Tochter, die in der Küche beschäftigt ist. K. wird sie später heiraten wollen. Dann noch eine Küchenhilfe und die Frau von K.‘s direktem Vorgesetzten. Zur eigenen Arbeit kommt der Landvermesser derweil nie. Er vermisst stattdessen Frauen, die einen wie ihn vermisst zu haben scheinen. Der Rest ist bürokratisches Spektakel, sehr viel Warten ohne Sinn und Zweck, aber sehr geschwätzig.
"Bist Du mir böse?"
"Ist er ihr böse?"
"Warum sollte er Ihnen böse sein?"
"Warum sollte er ihr böse sein?"
"Ich bin nicht böse, ich wunder‘ mich bloß!"
"Sie wundern sich sehr viel, weil Sie ein Fremder sind"
"Er wundert sich sehr viel, weil er ein Fremder ist."
"Das war der erste Teil, aber eine Pause gibt es nicht!"
Das ist noch so ein schneller Spaß: Einer fährt über die Bühne von rechts nach links in dem Moment, wo Pause wäre, aber nicht ist. Viktor Bodós Inszenierung schaltet in all dem labyrinthischen Geplapper immer mal wieder blitzschnell in den Ulk-Modus. Das ergibt zwar immer Lacher, aber auch einen nicht nur produktiven Effekt. Der Rest des Textes nämlich mäandert im Grunde ziel- und sinnlos vorbei, als warte er nur auf die Witze des Regisseurs. Von so etwas wie einer interpretierenden Haltung ist gar nichts zu entdecken.
Oberflächliche Effekte
Und merkwürdigerweise erscheinen auch die Darstellerinnen und Darsteller in diesem Wimmelbild bald wie bunt durcheinander wirbelnde Abziehbilder. Jeder und jede fühlt sich einigermaßen wohl mit den eigenen, gut trainierten Tricks und Effekten. Aber selbst Carlo Ljubek als Land- und Frauen-Vermesser zeigt in der zentralen Partie kaum mehr als gut geölte Oberflächlichkeit. Dieser Versuch mit Kafkas "Schloss" mag voller Effekte und Verspieltheit sein, die Inszenierung ist rekordverdächtig schnell und sehr musikalisch, putzmunter und sehr harmlos. Bedrohung, Gefahr und blanke Angst vor undurchschaubarer Macht sind hier nicht zu erahnen.
Genau das aber könnte doch das Ziel sein im Umgang mit diesem Kafka. Bei Viktor Bodó in Ungarn wie in so vielen anderen Gegenden der Welt, deren undurchschaubare Staatsgewalt der Zivilisation gerade abhanden zu kommen droht.