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Kafkas Käfer

Biologie. - Heutige Insekten sind nur die geschrumpften Urenkel von Ahnen, die uns Angst und Schrecken einjagen würden. Denn im Erdaltertum gab es Zeiten, da Libellen mit Spannweiten von 70 Zentimetern durch Regenwälder streiften. Was die Tiere zu solchen Ungetümen machte, ergründen US-Biologen.

Von Dagmar Röhrlich | 31.07.2007
    Es war eine bizarre Zeit: Zweieinhalb Meter große Tausendfüßer, Libellen mit der Flügelspannweite eines Falken, eine behaarte Riesenspinne mit dackelgroßem Körper – vor mehr als 290 Millionen Jahren konnte man im Wald Tieren wie aus einem Horrorfilm begegnen:

    "Wissenschaftler haben entdeckt, dass es im Erdaltertum eine Zeit gegeben hat, als die Sauerstoffkonzentration in der Luft sehr viel höher war als heute – und dass damals Amphibien und Insekten wirklich groß wurden,"

    erklärt Alexander Kaiser von der Midwestern University in Glendale, Arizona. Damals lag der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre bei rund 30 Prozent –und damit etwa um die Hälfte höher als heute. Der Grund für diesen Rekordwert war die Erfindung der Bäume. Sie waren die ersten, die an Land in großem Maßstab Photosynthese betrieben – und die Sauerstoffproduktion so immens steigerten. Aber das Holz der Bäume besteht überwiegend aus einer ganz besonderen Substanz, aus Lignin:

    "Im Erdaltertum sorgte die Erfindung des Lignins für ein Ungleichgewicht zwischen Sauerstoffproduktion und Sauerstoffverbrauch, denn das Lignin ist selbst heute noch eine für Mikroben schwer verdauliche Substanz – und seinerzeit war es noch ganz neu im System. In den riesigen Sümpfen, die damals entstanden, wurde kein Holz zersetzt. Die Photosynthese gab also viel Sauerstoff frei, ohne dass dieser Sauerstoff wieder bei der Verrottung des Lignins verbraucht wurde. Der Sauerstoffgehalt stieg hoch an."

    Diese Zunahme soll das Riesenwachstum der Insekten ermöglicht haben, so die Theorie, denn nur diese besondere Luft könnte ihnen genug Sauerstoff für einen großen Körper bieten:

    "Mit unserer Studie haben wir nun den ersten guten experimentellen Nachweis geliefert, dass die Sauerstoffversorgung tatsächlich ein Grund dafür ist, dass die Insekten damals riesig waren und heute klein. "

    Insekten atmen nicht mit Lungen. Vielmehr versorgt ein fein verzweigtes Netzwerk von Luftröhrchen die Zellen mit Sauerstoff: die Tracheen. Kaiser:

    "Wir haben große wie kleine Käferarten im Röntgengerät beobachtet und das Tracheen-System der lebendigen Tiere untersucht. Das Ergebnis: Bei großen Arten nehmen die Tracheen viel mehr Raum im Körper ein als bei kleinen."

    Im winzigen Rotbraunen Reismehlkäfer liegt der Tracheen-Anteil bei einem halben Prozent, bei einem mehr als drei Zentimeter langen Schwarzkäfer sind es fast fünf Prozent. Weil der Sauerstoff bei der Tracheen-Atmung direkt in den Körper diffundiert, hängen Sauerstoffgehalt in der Luft und Köpergröße direkt zusammen.

    "Wird ein Käfer größer, steigt das Volumen seiner Tracheen um ein Drittel stärker an als das Volumen seines Körpers, damit sie den Sauerstoff, den sie brauchen, in ihren Körper bekommen. Die Tracheen nehmen also immer mehr Raum ein. Bei unserer heutigen Sauerstoffkonzentration in der Luft können die Käfer nur so groß werden, wie sie sind."

    Die Rieseninsekten von einst könnten unter unseren modernen Bedingungen nicht leben, denn ihr Tracheen-System würde ihre Körper regelrecht sprengen. Der Engpass scheinen die Beine zu sein. Berechnet man aus den anatomischen Einschränkung die maximale Größe eines Käfers, die heutzutage möglich ist, kommt man auf 15 bis 17 Zentimeter – und so groß wird dann auch der größte bekannte Käfer der Welt: der Riesenbockkäfer aus den tropischen Regenwäldern Südamerikas.