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Kahrs: SPD braucht "an den Flügeln starke Charaktere"

Der Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises, der SPD-Politiker Johannes Kahrs, ist der Ansicht, Clement habe mit seinen Äußerungen zur Wählbarkeit von Andrea Ypsilanti bei der Hessenwahl zwar einen Fehler gemacht. Deshalb dürfe man ihn aber nicht hinauswerfen. Eine Volkspartei brauche starke Charaktere auch an den Flügeln. Clement gehöre in die SPD, nicht zuletzt weil er viel für die Agenda 2010 von Altkanzler Schröder getan habe, betonte Kahrs.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Sandra Schulz | 01.08.2008
    Schulz: Wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann und wem nicht. Der Appell des früheren SPD-Superministers Wolfgang Clement erschien in der "Welt am Sonntag" kurz vor der hessischen Landtagswahl Ende Januar mit dem Nachsatz, und den nicht indirekt gemünzt auf die SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti. Der Appell, oder besser gesagt dessen nicht für möglich gehaltenes Nachspiel, bringt die SPD nun um eine ruhige Sommerpause. Der Paukenschlag kam gestern aus Düsseldorf mit der Entscheidung der Landesschiedskommission der nordrhein-westfälischen SPD, Clement aus der Partei auszuschließen. Das letzte Wort hat das Landesgremium nicht, nun entscheidet die Bundesschiedskommission. Am Telefon ist jetzt Johannes Kahrs, der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der Sozialdemokraten. Guten Morgen!

    Johannes Kahrs: Moin!

    Schulz: Herr Kahrs - parteischädigendes Verhalten, so lautet ja der Vorwurf gegen Clement. Wer schadet der Partei denn mehr, Wolfgang Clement oder der Schiedsspruch von gestern?

    Kahrs: Ja, Sie haben bei solchen Schiedskommissionen immer das Problem, da sitzen Parteifreunde drin, die keine anderen Ämter mehr innehaben und die meistens Juristen sind und meistens punktgenau entlang der Satzung argumentieren, aber nicht die politische Wirkung sehen. Wolfgang Clement hat der SPD immer sehr genützt, er hat jetzt einen Fehler gemacht im hessischen Wahlkampf, das kommt vor, deswegen schmeißt man so jemanden wie Wolfgang Clement nicht raus, das geht nicht.

    Schulz: In der Bundesschiedskommission sitzen meines Wissens auch Juristen. Mit welchen Anhaltspunkten blicken Sie voraus auf die Entscheidung?

    Kahrs: Ich hoffe, dass die sich das Presseecho jetzt mal angeguckt haben und auch die Wirkung für die SPD allgemein, insgesamt bewerten. Wir sind als Volkspartei so aufgestellt, dass wir auch an den Flügeln starke Charaktere brauchen, Menschen, die streitbar sind, und wir brauchen eben einen Wolfgang Clement, einen Otto Schily genauso wie eine Andrea Nahles oder einen Hermann Scheer.

    Schulz: Höre ich da einen Meinungsumschwung bei Ihnen heraus? Ende Januar, also kurz nach dem Erscheinen des Artikels, werden Sie mit den Worten zitiert, Clement solle selbst überlegen, ob er da aus der Partei austrete.

    Kahrs: Ich habe erstens gesagt damals, dass es ein Fehler war, zweitens muss er sich so was selbst überlegen. Jeder muss selber darüber entscheiden, wo er hingehört. Aber wenn er hingehört, glaube ich, dass er auf jeden Fall in die SPD gehört.

    Schulz: Aber warum soll er das überlegen, wenn Sie sagen, dass er in die Partei gehört?

    Kahrs: Weil ihm die Vorwürfe gemacht worden sind. Und wenn solche Vorwürfe gemacht werden, muss sich jeder selber überlegen, ob er dabei sein will oder nicht. Ich persönlich glaube, dass es richtig und gut ist, dass er in der SPD ist, der hat als Ministerpräsident und als Minister viel dafür getan, dass die Agenda von Gerhard Schröder ein Erfolg geworden ist, dass wir heute in diesem Land einen Wohlstand haben, wie wir ihn schon lange nicht mehr gekannt haben, dass die Arbeitslosenzahlen sinken, und die Erfolge der Agenda zeigen sich jetzt.

    Schulz: Aber das Clement sich den Mund nicht verbieten lassen werde, Herr Kahrs, das hat er ja immer wieder klargestellt, auf der Liste der Vorwürfe der Schiedskommission steht ja auch Clements' Auftritt in der ARD-Talksendung "Hart aber fair" kurz vor der Hessenwahl. Wir hören mal kurz rein:

    Frank Plasberg: Wenn Sie in Hessen wohnen würden und nicht in Bonn, dann würden Sie also jetzt kommenden Sonntag Koch wählen, da habe ich Sie doch richtig verstanden?

    Wolfgang Clement: Dann würde ich vermutlich große Schwierigkeiten haben, Frau Ypsilanti zu wählen, nein, zu Deutsch gesagt, ich würde Sie nicht wählen.

    Schulz: Was, Herr Kahrs, wenn sich Clement vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr über den SPD-Kanzlerkandidaten, wie auch immer er heißen möge, ähnlich äußern wird?

    Kahrs: Ach, wissen Sie, ich habe mal sieben Jahre Agenda gehabt, wir haben prominente Sozialdemokraten gehabt, die gegen die Agenda im Bundestag gestimmt haben, gewettert haben und alles mögliche gemacht haben, und niemand hat ein Parteiordnungsverfahren gegen sie angestrengt. Das ist nicht die Art und Weise, wie man miteinander umgeht, sondern: Inhaltliche Konflikte werden inhaltlich ausgetragen und nicht über Parteiordnungsverfahren, ansonsten ist doch ein Miteinander gar nicht möglich. Wir brauchen beide Gruppen, beide Flügel, auch eben Leute wie Nahles, wie Clement, damit wir überhaupt den Wähler erreichen, damit wir als Volkspartei gegen die CDU gewinnen können. Da sind wir nur gemeinsam stark.

    Schulz: Aber können Sie die Wähler denn erreichen? Wir haben die aktuelle Situation, dass sich die SPD-Spitze so gut wie gar nicht äußert, SPD-Parteichef Kurt Beck äußert sich öffentlich nicht. Empfiehlt er sich damit als Kanzlerkandidat?

    Kahrs: Ich glaube, dass der Parteivorsitzende natürlich nicht das Schiedsgericht kritisieren kann, dafür haben sie Menschen wie mich. Im Ergebnis ist es so, dass ich hoffe, dass es auf Bundesebene geht, das haben wir immer empfohlen, dass auf Bundesebene das Bundesschiedsgericht da noch mal drüber redet und ich gehe fest davon aus, dass Wolfgang Clement nicht ausgeschlossen wird, das wäre ein Verlust für die SPD. Eine Volkspartei muss breit aufgestellt sein, Konflikte inhaltlich austragen und nicht über Schiedsgerichtverhandlungen, das macht keinen Sinn, das ist nicht gut.

    Schulz: Also sind Sie dafür, inhaltlich - politisch übersetzt - Einfluss auszuüben auf das Schiedsverfahren?

    Kahrs: Nein, ich bin dafür, dass wir als Partei keine Schiedsgerichtverfahren anstrengen, wenn wir politische Probleme haben.

    Schulz: Aber das Schiedsgerichtverfahren läuft ja.

    Kahrs: Ja, das ist so, das kann ich auch nicht mehr verhindern. Am Ende aller Tage muss das Schiedsgericht auch entscheiden. Ich hoffe aber, dass sie bedenken, was das für die SPD insgesamt bewirkt.

    Schulz: Aber es hat ja im Laufe des Schiedsverfahrens, so wie es in NRW stattgefunden hat, einen Vergleichsvorschlag gegeben. Danach hätte sich Clement dazu bereit erklären müssen und sollen, ähnliche Äußerungen wie jetzt im hessischen Wahlkampf künftig zu unterlassen, was er abgelehnt hat mit der Konsequenz, dass die Schiedskommission jetzt so entschieden hat. Wie soll denn die Bundesstelle an diesem technischen Argument vorbeikommen?

    Kahrs: Die werden ja auch die Gesamtwirkung für die Partei mit berücksichtigen müssen, und die können Sie zur Zeit ja überall besichtigen.

    Schulz: Und das heißt?

    Kahrs: Ja, das heißt, dass ich persönlich hoffe, dass Wolfgang Clement Mitglied der SPD bleibt.

    Schulz: Und wie soll das technisch funktionieren, wenn, wie gesagt, das Argument Wiederholungsgefahr in der Welt ist?

    Kahrs: Wissen Sie, die Kommission auf Landesebene hatte eine Argumentation. Die Schiedskommission in Bochum hat auch eine Argumentation gehabt, und die Schiedskommission in Bochum hat ganz klar gesagt, eine Rüge reicht. So. Ich persönlich bin immer davon ausgegangen, dass die Schiedskommission auf Landesebene nicht darüber hinausgeht. Leider hat sie es getan, hoffen wir, dass die Bundeskommission weiser ist.

    Schulz: Warum können Sie sich zu dem Verfahren äußern und, wie Sie selbst sagen, die Parteispitze nicht?

    Kahrs: Das ist in Ordnung. Die Parteispitze muss selber wissen, was Sie für richtig hält, ich glaube, dass der Partei mehr damit genützt ist, wenn Wolfgang Clement, wie viele andere auch, in dieser Partei ist und Streit halt eintritt, das ist das Wesen einer Volkspartei.

    Schulz: Jetzt ist dieser Schiedsspruch erst mal in der Welt. Rechnen Sie mit einer neuen Austrittswelle?

    Kahrs: Glaube ich nicht. Ich glaube, dass viele Menschen fassungslos sind über die unpolitische Entscheidung und dass sie trotzdem dann weiter für die SPD eintreten, weil, letztendlich tritt man ja einer Partei bei, um Ziele zu vertreten.

    Schulz: Und mit wie vielen Eintritten rechnen Sie dann?

    Kahrs: Ich glaube, dass die Politik, die wir gemacht haben unter Gerhard Schröder das Land vorangebracht hat. Es ist manchmal schwierig für Parteien und das kann man nicht immer an Eintritten messen, wichtig ist - und dafür werden wir als Sozialdemokraten auch gewählt -, dass das Land nach vorne kommt. Und die Ergebnisse der Agenda können Sie jetzt besichtigen, sinkende Arbeitslosenzahlen, eine boomende Wirtschaft. Und das hat ja nun nicht die jetzige Koalition bewirkt, das wird man in drei, vier Jahren sehen, was die bewirkt hat, sondern das hat die Koalition unter Führung von Gerhard Schröder und Wolfgang Clement hinbekommen.

    Schulz: Und die Interpretation, dass mit dem Parteiausschluss Wolfgang Clement, so wie aus NRW jetzt entschieden, auch ein Parteiausschluss für die Agenda 2010 mit verabschiedet worden sei, die ist falsch?

    Kahrs: Das ist Unsinn. Die Agenda 2010 wird sowohl von Kurt Beck als auch von der Parteiführung vertreten, da gibt es Änderungen, das haben wir überall gesehen, das hat man mitgekriegt. Gerhard Schröder hat gesagt, die Agenda steht, aber sie ist nicht die zehn Gebote, die man nicht verändern darf. Die müssen angepasst werden und das ist auch gut so.

    Schulz: Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD Johannes Kahrs, haben Sie vielen Dank.