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Kaiser Nero als Pop-Ikone

Claudio Monteverdis "Die Krönung der Poppäa" lässt sich auch fürs heutige Publikum gut aufpeppen: Der aus Glasgow stammende Jungregisseur David McVicar hat die römische Mätresse Poppäa, die sich an Kaiser Nero heranschmeißt, energisch in die Glamourwelt der Gegenwart versetzt. In der Berliner Staatsoper Unter den Linden ist die Poppäa nun als Pop-Star zu sehen.

Von Christoph Schmitz |
    Wer nicht jede Woche in die Oper rennt, fragt sich natürlich, was soll ich heute mit einer fast 400 Jahre alten Musik anfangen, die eine fast 2000 Jahre alte historische Begebenheit um den römischen Kaiser Nero und seine Geliebte Poppäa erzählt?

    Doch hier wird es direkt schon spannend. Denn diese Poppäa ist absolut skrupellos, wie alle in dieser Oper. Und das Skandalöse: die Skrupellosigkeit siegt am Ende sogar – mit schönster Musik. Poppäa will Kaiserin werden, gibt dafür ihrem Geliebten Otho den Laufpass, schmeißt sich an Kaiser Nero ran und erkauft sich die Macht mit Liebe. Um die Heirat durchzusetzen, muss Nero noch seine Frau Oktavia aus dem Land jagen und seinen Lehrer und Berater Seneca in den Selbstmord treiben. Die Mächtigen treten Moral, Recht und Anstand mit Füßen, weil sich bei ihnen alles nur um ihre persönlichen Interessen dreht.

    Man könnte nun sagen, die Zeiten absolutistischer Herrscher seien zumindest in den westlichen Kulturen vorbei und Monteverdis "Krönung der Poppäa" daher überholt, was aber etwas voreilig wäre.

    Denn in der Politik sind bekanntlich private Motive nach wie vor oft wirksamer als überindividuelle und rationale. Wollte der kleine George W. Bush mit seinem Irakfeldzug nicht dem großen Papa George beweisen, dass er ein ganzer Kerl ist und vor Bagdad nicht kehrtmacht?

    In Monteverdis "Poppäa" steckt also eine Menge aktueller Stoff, einmal ganz davon abgesehen, dass Menschen unabhängig von Politik dazu neigen, auch im Privatleben mit ihrem Gefühlsarsenal strategisch zu agieren. Der Regisseur der Berliner Inszenierung, David McVicar, hat aber eine neue und sehr plausible Deutung hinzu entwickelt. Er hat das Stück in die Welt der Medien- und Unterhaltungsindustrie verlegt. Nero ist ein Popstar, eitel, geil, kokain- und herrschsüchtig, und er sieht aus wie Michael Jackson. Poppäa ist ein blondes Luder, das sich gern scharf und teuer aufmotzt und das die Glamour-Partys der Reichen und Schönen mitfeiern will.

    Einer ihrer Groupies rappt mit Schlabberhosen und zurückgeschobenem Baseballkäppi singend über die Bühne im höchst musikantisch angeheizten Rhythmus der alten Musik.

    Die Leute auf der Straße, der Endverbraucher vergnügt sich, so gut es geht. Aber er ist nicht dumm. Die Geschäfte und Lügen der Macher, die Inszenierungen von Gefühlen und Sensationen hat das Volk längst durchschaut und verspottet das ganze Gemache der Stars und der intellektuellen Medienschwätzer, wie diesen Seneca.

    In einer Art literarischem oder philosophischem Quartett lässt der Denker vor laufender Kamera seine selbstverliebten Weisheiten ab, und die lauschende Feuilletonrunde nickt gedankenschwer mit dem Kopf.

    Genauso treffsicher und spiellustig wie Regie und Schauspielkunst ist die Musik. Der Spezialist für alte Werke, René Jacobs , und sein Ensemble Concerto Vocale musizieren höchst kultiviert und kunstvoll einerseits, gestalten jeden Empfindungsmoment klanglich reich und expressiv aus, schöpfen andererseits mit Tempiwechsel, Pausen und Orchestrierung aus dem Vollen, springen in Sekunden von Satire zum Pomp der Kaiserin-Krönung.

    Zinke erschallen, Theorbe, Erzlaute, Dulcian und Lira da Gamba – alte Instrumente, deren Namen klingen wie seltsame Gewächse oder Tiere, die man für ausgestorben hielt. Aber es gibt sie, und sie sind in den Händen und an den Lippen des Concerto Vocale von seltener Klang-Schönheit. Auch in dieser Hinsicht ist die alte Oper lebendig – wenn sie von einem so kreativen Ensemble auf die Bühne gebracht wird, das ja nicht auf eine ausgeschriebene Partitur, sondern nur auf überlieferte Skizzen zurückgreifen kann.

    Da die Götter in dieser Oper keine unwesentliche Rolle spielen, sei es erlaubt, auch die Stimmen der Sänger als göttlich oder beinahe göttlich zu bezeichnen, wie die von, pars pro toto, Marie-Claude Chappuis (Oktavia), Lawrence Zazzo (Otho), Carmen Giannattasio (Poppäa) und Malena Ernman, die den ursprünglichen Kastratensopran des Nero sang, wie im Schlussliebesduett mit Poppäa: "Ich betrachte dich, ich besitze dich, ich ergreife dich, ich umschlinge dich…"