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Kaiser Otto III: Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas

"Jüngling im Sternenmantel" - diesen romantischen Beinamen erhielt Kaiser Otto III. am Anfang unseres Jahrhunderts von der Schriftstellerin Gertrud Bäumer. Und wirklich, das Leben des Kaisers trug märchenhafte Züge: Im Jahr 980 geboren wurde Otto bereits mit drei Jahren zum König gekrönt. Und er war erst 16, als ihn Papst Sylvester in Rom zum Kaiser salbte. Vieles wollte der junge Kaiser verändern: das Römische Reich erneuern und den Norden und Osten Europas christianisieren. Aber seine Amtszeit währte nicht lange: Die erste Jahrtausendwende war gerade erst verstrichen, als er 22-jährig starb. Ein schönes und tragisches Leben, das nunmehr seit Tausend Jahren den Stoff für Romane und Gedichte liefert.

Sabine Arnold | 06.01.2000
    Auch als historische Figur wurde Otto unzählige Male beschrieben. Immer wieder fühlten sich die Historiographen zu sehr dezidierten, ja geradezu emotional engagierten Urteilen herausgefordert. Einen "realitätsfernen Phantasten" schimpften ihn z.B. die Historiker des 19. Jahrhunderts. Otto III., der sich mit "Intellektuellen und Ausländern" umgeben habe, erschien denen als "undeutsch", die sich für die Bildung eines deutschen Nationalstaates einsetzten. Alles in allem, so urteilte man, sei der Kaiser der ersten Jahrtausendwende ein Unglück für das deutsche Volk gewesen.

    In unserem Jahrhundert kehrte sich die Beurteilung Ottos ins Gegenteil. Vor allem die Historikerin Mathilde Uhlirz verteidigte den Kaiser vehement gegen die Vorwürfe des 19. Jahrhunderts und würdigte seine Politik, seine Erziehung, seinen Charakter und sein Interesse für Kunst und Wissenschaft. Sie zeichnete ein ideales, ja geniales Bild des Kaisers. Uhlirz war auch die erste, die ausdrücklich die Persönlichkeit des Kaisers in den Blick nahm und ihn im Zusammenhang mit dem besonderen Charakter seiner Zeit sah.

    Ihrem Ansatz folgt die neueste Biographie über Otto III., die Ekkehard Eickhoff pünktlich zur zweiten Jahrtausendwende vorgelegt hat. Sie trägt den Titel: "Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas." Und auch Eickhoff ist von der Person Ottos fasziniert:

    "Otto III. war offensichtlich ein hochbegabter junger Mensch. Er ist schon mit drei Jahren König geworden und hat nachweislich mit 14/15 Jahren begonnen, in die Regierungsgeschäfte persönlich einzugreifen. Er war ein unabhängiger Geist. Er hat die größten intellektuellen Persönlichkeiten seiner Zeit, seines lateinischen Umraumes an sich fesseln können und er war sehr entscheidungsfreudig."

    Eickhoff folgt nicht nur dem Urteil von Uhlirz, sondern auch den begeisterten Beurteilungen der Zeitgenossen Ottos. Diese gaben ihrem Kaiser den Beinamen "Wunder der Welt", rühmten seine ungewöhnlich gute Bildung und seinen Willen, das Römische Reich neu zu ordnen. Auch die Erweiterung des politischen Horizonts nach Süden und Osten wurde in den zeitgenössischen Chroniken gewürdigt. Otto habe nicht nur auf Notwendigkeiten reagiert, sondern Politik gestaltet.

    Weil einige Personen aus seiner direkten Umgebung ausführlich über den kindlichen König und jugendlichen Kaiser berichteten, ist die Nachwelt mit ungewöhnlich vielen Informationen ausgestattet. Eickhoff hat sein Bild Ottos hauptsächlich auf diesen historischen Quellen aufgebaut - und stimmt dem Lob des Kaisers, das die Zeitgenossen vor Tausend Jahren formulierten, meistens zu.

    In den Briefen und Schriften über Otto III. sah Eickhoff die "geistigen Kräfte der ersten Jahrtausendwende aufblitzen". Er ist begeistert über den Kaiser und verfügt über eine schier unerschöpfliche Quellenkenntnis, doch leider ist die fachkundige Wertung der historischen Figur in den Hintergrund getreten. Stattdessen formuliert Eickhoff gerne große Aussagen, die aber letztlich in ihrer Bedeutung unkonkret bleiben, wie zum Beispiel: "Die Genialität dieser Persönlichkeit ist nicht zu übersehen."

    In Historikerkreisen ist allerdings umstritten, ob die Quellen des Mittelalters historische Rekonstruktionen einer Persönlichkeit überhaupt zulassen. Trotzdem hat sich Eickhoff darauf eingelassen, ein historisches Porträt Ottos III. zu entwerfen:

    "Man muß sich immer bewußt sein, wenn wir von solchen Zeiten sprechen, wir versuchen Vorstellungen von vergangenen Vorstellungen zu rekonstruieren, das hat immer einen starken Moment des Fiktiven. Dessen muß man sich immer bewußt sein."

    Eickhoff beginnt seine Darstellung mit der Salbung Ottos zum Kaiser - einer Zeremonie, die dem weltlichen Herrscher göttliche Gnade verlieh und ihn zu einem Auserwählten im Sinne des gesalbten Christus machte. Damit fokusiert er die Darstellung auf die Glaubensvorstellungen des Jahrtausendwechsels. Dazu Eickhoff:

    "Die Jahrtausendwende hat für die Menschen keine Datumsbedeutung gehabt. Sie haben natürlich wie wir wahrgenommen, daß sich die Jahreszahl deutlich ändert. Aber vor allen Dingen haben sie gespürt und geglaubt, daß sie in einer Endzeit lebten, in der es darauf ankam, sich gottgefällig zu verhalten und sein Seelenheil zu retten. Aber diese Endzeit-Erwartungen - die sehr weit gingen, nicht wahr, aus dem Neuen Testament herzuleitende Endzeitkaiser und apokalyptische Vorstellungen - waren nicht auf das Jahr Tausend bezogen, sondern auf den Zeitraum."

    Aus dem Text der Apokalypse meinte man ableiten zu können, daß die Welt Tausend Jahre bestehen sollte, bevor der Weltenrichter erscheinen würde, um das Böse vom Gottgefälligen zu scheiden. Doch die Offenbarung des Johannes läßt offen, ob das Millenium mit der Geburt Christi oder mit der Kreuzigung begonnen hatte. Auch waren zu Ottos Zeiten bereits Theologen aufgetreten, die den Untergang der Welt für einen sehr viel früheren Zeitpunkt errechnet hatten. So lebten Generationen bereits vor der Jahrtausendwende mit der Angst, die Apokalypse könne sich in ihrer Lebenszeit ereignen. Daß die Menschen versuchten, das eigene Seelenheil zu retten, dokumentiert sich für uns heute in den Frömmigkeitsbewegungen der Zeit. Auch Otto III. wurde von den religiösen Strömungen seiner Zeit erfaßt. Er empfand sich offenbar als den "Endzeitkaiser", von dem die Apokalypse berichtet. Durch Askese und Kasteiungen versuchte er, die Gnade Gottes zu erlangen und war bestrebt, seine Politik gottgefällig zu gestalten. Zeitgenössische Krönungsbilder zeigen ihn in der Pose des Weltenrichters, der vom Himmel herab die Krone empfängt. Eickhoff hat eine dieser Darstellungen in sein Buch aufgenommen:

    "Und selbstverständlich, Otto III. war ganz sicher tief fromm und es ist sehr interessant zu beobachten, wie in entscheidenden Neuerungen, die er eingeleitet und durchgeführt hat, politische Ziele und das Anliegen des persönlichen Heils, etwas zu tun für sein Seelenheil, für das Christentum auch in seinem Lande, wie das ineinander wirkt."

    Der Wirkungskreis des Kaisers erstreckte sich über den gesamten europäischen Raum und obwohl seine Herrschaft weltlich und diesseitig war, wurde das Reich durch den christlichen Glauben und die Kirche geeint. Eickhoff:

    "Es gab eine sehr enge Gemeinsamkeit der Staaten, die alle durch die lateinische Sprache und durch den Ritus geeint waren. Dieser Raum erweitert sich ja ganz stark in den wenigen Jahren vor der Jahrtausendwende. Rußland wird christlich, Polen ist christlich geworden, Ungarn ist christlich geworden, der Norden wird christlich. Das Christentum erzielt seinen Durchbruch in Norwegen, in Island, durch einen Eitings-Beschluß, durch einen der Beschluß der Wahlberechtigten im Jahre 999. Als eine Fülle von Veränderungen, die auch Gemeinsamkeit in diesem Raum herstellen."

    Ekkehard Eickhoff war Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und im Botschaftsdienst tätig und so kann es nicht wundern, daß er in der Außenpolitik ein besonders Verdienst des Kaisers sieht - vor allem in seinem Verhältnis zu den Nachbarn in Osteuropa. Ihnen wollte Otto nicht nur das Christentum nahe bringen, er wollte sie auch in eine Friedensordnung einbinden. Dazu der Autor:

    "Er hat eine neue Politik mit Polen und Ungarn gesucht, auch mit Böhmen und war bestrebt, diese werdenden Nationen, denn darum handelt es sich auch bei uns, in die Gemeinsamkeit der römischen Kirche, die hierarchisch ausgerichtet war, in diese Gemeinsamkeit einzugliedern."

    Manche Probleme der Regierungszeit Ottos, die Eickhoff beschreibt, sind uns an der Schwelle zum 3. Jahrtausend immer noch vertraut. Die östlichen Nachbarn sind uns neu ins Bewußtsein gekommen, die neuen politischen Verhältnisse erfordern eine neue Politik. Auch die Einigung Europas ist kein mindergroßes Thema als vor Tausend Jahren. Und sind es nicht auch die Eigenschaften des Kaisers der ersten Jahrtausendwende, die an der zweiten Jahrtausendwende immer noch modern sind? Eickhoff nennt Bildung und Erneuerungswillen. Und genauso wenig wie die Menschen vor Tausend Jahren wissen wir heute, ob das neue Jahrtausend nicht vielleicht längst schon begonnen hat oder erst viel später beginnen wird: So betrachtet scheinen die Probleme Europas schon seit Tausend Jahren immer dieselben.