"Guck mal, die haben sogar Vasen in Kaktusform."
Erst seit einem Jahr dem grünen Zwerg verfallen: Tanja Hofmann, Anfang 30, verheiratet, keine Kinder. In ihrem Job reist sie viel. Gerade bummelt sie durch das "Hallesche Haus", einen angesagten Einrichtungs- und Designladen für hippe Hedonisten in Berlin-Kreuzberg. Bestseller hier: der Kaktus.
"Ich such was, das in meine Sammlung passt. Es sollte nicht zu gewöhnlich aussehen. Und ein bisschen was Besonderes sein."
Etwas Besonderes. Das ist der Kaktus. Ein hässliches, karges Ding, das sich nicht dem Schönheits- und Blüteideal der Otto-Normal-Pflanze unterwerfen will.
Etwas Besonderes. Das ist der Kaktus. Ein hässliches, karges Ding, das sich nicht dem Schönheits- und Blüteideal der Otto-Normal-Pflanze unterwerfen will.
"Ich find die gut, weil die sind anders und die ecken an und die sind nicht so glatt und hübsch und haben immer irgendwelche schönen Blüten. Nur einmal in der Lebenszeit oder ganz selten."
Kaktus ist hip
Sie ist mit dieser Vorliebe momentan aber nicht allein. Im Ausland entstehen ganze Läden, die in angesagten Vierteln nur diese kleine Pflänzchen feilbieten, in den sozialen Medien glüht das Hashtag "Cactus" heiß und in den modeschaffenden Concept Stores widmet sich so mancher Einkäufer nur ihnen:
"Kakteen sind im Trend, sie verkaufen sich gut. Wir Städter haben alle so wenig Zeit, da eignen sich Pflanzen, die kaum Zuwendung brauchen, bestens",
sagt Oliver Cayless, Kaktuseinkäufer im Avantegarde-Konsumgüterhimmel "Hallesches Haus".
Aber lässt sich die Faszination Kaktus nur dadurch erklären, dass wir Großstädter uns verantwortungsvoll fühlen, weil ein Wüstengewächs auf unserer Fensterbank überlebt? Der Biologe vom Botanischen Garten in Berlin, Dr. Nils Köster, hat darauf eine ganz eigene Antwort:
"Das sind ja sehr architektonische Pflanzen oder ornamentale Pflanzen, die einfach durch ihre Struktur schon schön sind."
Der junge Botaniker steht im Kakteenhaus des Botanischen Gartens und zeigt auf eine pflanzengewordene Vogelscheuche, die ihre Arme in die Luft streckt.
"Das ist ja so ein Säulenkaktus, der sieht aus wie eine griechische Säule mit ihren Kanneluren. Wo dann eben im ganz genauen Abstand diese Rippen auftauchen, dann auch wieder im sehr genauen Abstand diese – wir nennen es Ariolen – die Punkte, wo dann die Dornen sitzen. Hat halt ne gleichmäßige Struktur."
Die Anordnung der Stacheln entspricht bei den meisten Kakteen der Fibonacci-Reihe. Jener geheimnisvollen Zahlenreihe, die in der Kunsttheorie zur Berechnung des Goldenen Schnittes verwendet wird.
Stachelige Modeerscheinung
Dass unser hipper Pflanzenkäufer an Fibonacci oder den Golden Schnitt denkt, kann angezweifelt werden. Die inflationäre Verwendung des Kaktusmotivs bei Vasen, Kissen oder T-Shirts gibt zu verstehen: Der Kaktus ist eine Modeerscheinung.
So verwechselte denn auch manch junger Hipster die diesjährige Kaktusschau im Berliner Botanischen Garten mit einem modischen Szene-Happening. Dr. Thomas Engel vom Verein Kakteenfreunde Berlin:
"Bei der letzten Ausstellung haben wir das gemerkt, ne ganz gute Verbreitung unserer Informationen über soziale Medien, denn da kamen wirklich die buntesten Typen, wo man nicht sagt, dass die so irgendwie traditionelle Hobbys wie Kakteen haben würden, wenn man die sieht. "
Moden haben es so an sich, dass sie schnell vergehen. So wird sich der modebewusste Großstädter bald auch an diesem ungewöhnlichen Pflänzchen sattgesehen haben. Und falls nicht, bleibt ihm immer noch der Weg zum nerdigen Kaktusliebhaberverein.