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Kaliningrad: Vergangenheit und Zukunft

Kaliningrad - oder Königsberg - ist eine besondere Stadt: In der Vergangenheit war sie es als das Zentrum der Ostpreußen, heute ist die Stadt Projektionsfläche deutscher Vergangenheits- und russischer Zukunftspläne. Am Wochenende fand am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen ein Workshop über die russische und die deutsche Wahrnehmung der Stadt seit 1946 statt.

Von Godehard Weyerer | 15.02.2007
    Selbst als die eigene Frau in die Mühlen der stalinistischen Säuberung geriet, soll er ihr nicht zu Hilfe gekommen sein. Einen besseren Namenspatron als Ivanovic Kalinin, Mitglied des Politbüros der KPdSU und zeitlebens Stalin treu ergeben, hätte die Stadt schon verdient, sagen die jüngeren Kaliningrader und schmücken sich mit einem Internet-Provider, der den Namen König trägt.

    Königsberg/Kaliningrad: ein Ort vielfältiger Erinnerung und gegenseitiger Vorhaltungen. Der Workshop an der Bremer Universität ist Bestandteil der Kooperation zwischen der Historischen Fakultät der Kaliningrader Universität und der Bremer Forschungsstelle Osteuropa. Valerij Maslov, einer von vier aus Kaliningrad angereiste Historiker, gewährte einen detaillierten Einblick in das konfliktträchtige Verhältnis der russischen Neubürger zu den zurückgebliebenen Deutschen in den Ruinen von Königsberg. Die Lebensversorgung orientierte sich an örtliche Ressourcen: Das Gros der Russen hungerte, den Deutschen wurde auch die kärgliche Ration von 200 Gramm Brot gestrichen. Vorübergehend gestattete die sowjetische Stadtkommandantur ihnen privaten Handel, erblickten in den Zurückgebliebenen zuallererst aber verbitterte Menschen, die den Wiederaufbau der Stadt sabotierten. 1948 verließen die letzten Deutschen die Stadt. Die Historiker aus Kaliningrad sprachen von Aussiedlung.


    1991: Die Stadt öffnet sich. Deutsche Heimwehtouristen strömen nach Kaliningrad. Die Angst vor einer Regermanisierung macht sich in der Stadt breit. Juri Sergeev, der Älteste unter den geladenen Historikern, nennt die Ostpreußische Landsmannschaft. die Aktion Deutsches Königsberg, die Gräfin Dönhoff.

    Nun, da die Zahl der deutscher Touristen in Kaliningrad seit Jahren rückgängig sei und anders als befürchtet sich so gut wie keine Deutsch-Russen im Kaliningrader Gebiet niedergelassen hätten, habe sich die Stimmung unter den Kaliningradern beruhigt. Eine Aussage, die bei der Bremer Historikern Doris Kaufmann auf Unverständnis stieß.

    " Ja, weil ich andere Erfahrungen gemacht bei meinen Besuchen. Ich habe eher Neugierde und Interesse mit bekommen und eher das Bedürfnis, den deutschen Tourismus als Wirtschaftsfaktor ausbauen zu wollen. Aber die Tatsache, dass mein älterer Kaliningrader Kollege dazu geäußert hat, zeigt, dass solche Ängste tatsächlich noch da sind und die sollten man als Deutscher ernst nehmen und vorsichtig und reflektiert äußern. "

    Doris Kaufmann referierte im Workshop über das Ostpreußen-Kapitel aus der Biographie Lew Kopelews "Aufbewahren für alle Zeit". Auf 40 Seiten beschreibt er die Plünderungen, Morde und Vergewaltigungen beim Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen und Königsberg. Das Buch erschien 1976. Viele Flüchtlinge schrieben ihm darauf ihre Erlebnisse in über 8000 Briefe, die Doris Kaufmann auswertet. Kopelew selbst sei entsetzt gewesen über die Gewaltexzesse, die seiner Ansicht nach einer sozialistischen Armee unwürdig seien.

    " Die werden im April, teilweise früher gestoppt. Kopelew hat das immer an seine Briefpartner geschrieben, dass er mitnichten der einzige war, der versuchte, diesen Gewaltexzessen Einhalt zu gebieten. Man muss schon sehr genau hingucken, welche Truppenteile sich daran beteiligten und wo so etwas passiert ist. Aber Tatsache ist, dass Mitte der 70er Jahre, als das Buch 1976 herauskam, auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition, es ist von daher ein verstörendes Thema. "

    Der Workshop an der Bremer Universität hatte die Veränderungen des russischen und deutschen Blicks auf Kaliningrad von 1946 bis heute zum Gegenstand des wissenschaftlichen Austausches gemacht. Kaliningrad als Projektionsfläche deutscher Vergangenheits- und russischer Zukunftsentwürfe: Das bietet Raum für Misstöne und Missverständlichkeiten. Der freie Wissenschaftsautor Bert Hoppe aus Berlin sprach über einen eigentümlichen Erinnerungsort Königsberg/Kaliningrad. Für die Deutschen sei er ein Ort ohne Gegenwart, für die Russen ein Ort ohne Vergangenheit gewesen.


    " Königsberg wurde damals mit Backsteinbauten und der deutschen Gotik identifiziert, das war die Architektur, die man mit den erobernden deutschen Rittern verband. Deutsch ist Backstein. Heute ist der Backstein aber wieder positiv besetzt, während damals die Gebäude als Symbol eines Besatzungsregimes galten, die zu vernichten waren. "

    Kaliningrad sollte als sowjetische Musterstadt wiederaufgebaut werden. Heute ist es eine Enklave. Auch Königsberg war seit Ende des 1. Weltkrieges durch den polnischen Korridor vom Reich getrennt. Um für alle Welt die deutsche Präsenz zu unterstreichen, wurde die Stadt zu einer modernen Metropole ausgebaut. Zum Beispiel die Oberpostdirektion mit klassizistischer Fassade oder der Nordbahnhof, der Ähnlichkeiten mit der Architektur späterer nationalsozialistischer Großbauten nicht leugnen kann; zum Beispiel die Ausstellungshallen der Deutschen Ostmesse, die 1920 erstmals stand fand; oder - vor den Toren der Stadt - Deutschlands erster Zivilflughafen. Königsberg war preußische Provinzhauptstadt. Mit Danzig oder Riga, mit Lübeck oder Dresden konnte sich die Stadt kaum vergleichen. Zu Europas schönsten Städten, zu der sie mancher Heimatvertriebene macht, zählte Königsberg freilich nie. Eben so wenig zum urslawischen Siedlungsgebiet.

    " Denn der damalige Chefarchitekt hatte erkannt, dass die Stadt keine tiefen russischen Wurzeln besaß. Die historischen Wurzeln mussten neu geschaffen werden. Da es keine russischen Altbauten gab, mussten Neubauten im historistischen Stil errichtet werden. Der Architekt plante neben den modernen Bauten des stalinistischen Klassizismus Bauten im altrussischen Stil. Besonders bemerkenswert sind zwei Projekte, die sich deutlich an die mittelalterlichen Türme des Kremls anlehnen. Die Pläne zum Umbau des Nordbahnhofs und die Luisenkirche, die sich noch heute so präsentiert. "

    Dass der Schaffung eines sowjetischen Erinnerungsortes in Kaliningrad kein großer Erfolg beschieden war, stieß unter den russischen Gästen auf lebhaften Widerspruch. Auf deutscher Seite möge man nicht vergessen, dass in Schlesien, in Pommern und auch in Ostpreußen und Königsberg die Bevölkerung slawischen Ursprungs, ihre Kultur und Sprache stets Teil des Gemeinwesens blieben. Die Stadt Königsberg/Kaliningrad - für die Sowjets ein Ort ohne Vergangenheit? Das reizte zu Widerspruch. So sprachen die Gäste lieber über die Gegenwart und Zukunft. Dekan Valerij Galtsov ergriff das Wort.

    Der Dekan aus Kaliningrad beschrieb die Stadt als Insel der Zusammenarbeit, als Hongkong des Osten, auf jeden Fall als ein besonderes Territorium Russlands. 80 Prozent der Kaliningrader litten heute noch unter dem Schock des Umbruchs. Aber mehr und mehr Politologen, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen entdeckten das Potential dieses exponierten Ortes an der Grenze zwischen Ost und West und prophezeiten der Stadt eine große Zukunft. Die Forschungsergebnisse liegen in gedruckter Form vor. Der Dekan überreichte der Forschungsstelle Osteuropa jeweils ein Exemplar. Wolfgang Eichwede bedankt sich.

    " Ich glaube, das muss man sagen, dass in den letzten 10-15 Jahren von engagierten Bürgern in Kaliningrad außerordentlich viel gemacht worden ist, um in dieser Stadt doch noch so etwas wie eine Symbiose zwischen russischer und deutscher Kultur und Lebensform zu retten. "

    Professor Wolfgang Eichwede leitet die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Sein Lebenswerk ist die Annäherung und die Aussöhnung unter den europäischen Nachbarn, die vier Jahrzehnte lange durch den Eisernen Vorhang von einander getrennt waren.

    " Kaliningrad gehört heute zu Russland. Das ist ein unbestrittenes Faktum. Von diesem Zustand aus versuchen wir uns, an eine sehr konfliktreiche Geschichte heranzubewegen. Ich vermute, es wird kaum möglich sein, dass wir hier zu den gleichen Erinnerungen kommen. Es werden Gegensätze und bittere Gefühle bleiben. Aber es scheint mir besser, man formuliert diese in einer freundschaftlichen Weise als Differenz als dass man sie einfach zuzudecken versucht. "

    Wie steht es um die Zukunft Kaliningrads - um die Möglichkeiten, die Chancen und Grenzen? Wolfgang Eichwede macht dies von der innenpolitischen Entwicklung Russlands abhängig. Je offener und demokratischer das Land sich gestaltet, desto größer werden die Chancen Kaliningrads, sich als internationale Drehscheibe zu positionieren. Verheerend freilich wäre es, von Kaliningrad zu sprechen, aber von Königsberg zu träumen. Da dies außer ein paar politische Irrläufer niemand in Deutschland tut, bleibt Professorin Doris Kaufmann nur zu ergänzen, wie die Kooperation zwischen dem Institut für Geschichte an der Universität Bremen und der Historischen Fakultät der Kaliningrader Universität fortgesetzt wird.

    " Der nächste Aktivität ist, dass ein deutscher Geschichtsstudent, der ein Stipendium im Rahmen dieser Kooperation bekommen hat, das nächste Semester in Kaliningrad Geschichte studieren. Und hoffen, dass wir studentischen Gegenbesuch hier in Bremen kriegen. "