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Kalte Blumen der Physik

Physik. - Vor inzwischen über 90 Jahren wurde das Phänomen der Supraleitung entdeckt. Sie erlaubt es, elektrischen Strom ohne Widerstand zu transportieren - wenn der metallische Leiter auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt herunter gekühlt wird. Seit Mitte der 80er Jahre sind allerdings auch Materialien bekannt, die schon bei wesentlich höheren Temperaturen supraleitend werden. In Augsburg standen diese so genannten "unkonventionellen" Supraleiter von Sonntag bis heute im Mittelpunkt eines internationalen Workshops.

    Die Titelseite des Augsburger Tagungsbandes ziert ein für die Physik eher ungewöhnliches Motiv: eine bunte Blumenwiese. Dennoch sieht Professor Jochen Mannhart von der Universität Augsburg und Mitveranstalter des Treffens einen Zusammenhang der zweifarbigen Blüten zur eiskalten Welt der Supraleiter: "Diese Farben symbolisieren das Verhalten der Elektronen in sogenannten Hochtemperatur-Supraleitern." Denn in einem supraleitenden Material verhalten sich Elektronen bei tiefen Temperaturen recht ungewöhnlich: Statt um die einzelnen Atomkerne zu kreisen, vereinigen sich alle Elektronen zu einer einzigen großen Elektronenwolke, die sich über den gesamten Supraleiter erstreckt. Dieses so genannte Orbital gibt an, wo sich die Elektronen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufhalten. Bei einem klassischen konventionellen Supraleiter, der erst bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius seinen Widerstand verliert, besitzt das Orbital eine kugelförmige Struktur.

    Bei den "Hochtemperatur-" getauften Supraleitern hingegen erinnert die Elektronenwolke eher an ein vierblättriges Kleeblatt. Diese Materialien verlieren ihren Widerstand idealerweise bei minus 196 Grad, und können dann mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden. Die einzelnen "Blätter" unterscheiden sich dabei in ihrer so genanten Phase, konstatiert Mannhart: "Die Elektronen besitzen einen gewissen Wellencharakter. Die Phase beschreibt dabei, ob in einer Welle in einer gewissen Position oder Richtung ein Wellenberg oder ein Wellental vorhanden ist. Schwingen die Elektronen alle im Takt, so existiert an allen Stellen gleichzeitig entweder ein Wellenberg oder ein Wellental." Bei den Hochtemperatur-Supraleitern treten aber Phasenverschiebungen auf, bei denen in manchen Richtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Wellenberg vorhanden ist, während in einer anderen Richtung ein Wellental besteht. In den Bereichen des Orbitals, die einander diagonal gegenüber liegen, schwingen die Elektronen im Takt und besitzen die selbe Phase. Betrachtet man aber zwei benachbarte Bereiche - quasi zwei benachbarte "Blätter" des Klees - so findet sich in einen Blatt gerade dann ein Wellenberg, wenn im Blatt daneben ein Wellental zu beobachten ist.

    Warum aber Elektronen-Orbitale bei Hochtemperatur-Supraleitern eine solche Struktur ausbilden, ist den Wissenschaftlern bislang ein Rätsel, ebenso, ob diese merkwürdige Elektronenwolke entscheidend für die Supraleitung bei relativ hohen Temperaturen ist. Für Jochen Mannhart sind die Orbitale und ihre spezielle Form, die auch "d-Wellen-Symmetrie" genannt wird, deshalb ein spannendes Forschungsgebiet: "Aus der Erforschung der d-Wellen-Symmetrie ist hoffen wir, auch mehr über mögliche Anwendungen zu erfahren. So arbeiten viele Gruppen weltweit intensiv daran, Drähte aus den Hochtemperatur-Supraleitern herzustellen. Bislang können diese Kabel aber nicht genügend Strom als Suprastrom tragen. Eine Ursache dafür ist die Symmetrie der Hochtemperatur-Supraleiter. Wenn wir diese Symmetrie besser verstehen, können wir auch möglicherweise diese Kabel verbessern."

    [Quelle: David Globig]