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Kalter Imbiss wärmt das Herz

"Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll." Vor 200 Jahren hat Wilhelm von Humboldt das geschrieben. Und wer diese so wunderbar vielfältige Landschaft aus hohen Dünen und weißen Sandstränden, aus Hochwäldern und idyllischen Schilfbuchten an der Haffküste selbst erlebt, stimmt dem Gelehrten noch heute zu.

Von Gisela Jaschik | 16.09.2007
    Knapp zwei Flugstunden sind es von Hamburg bis Palanga, die Küstenstadt im Norden Litauens. Eine halbe Stunde im Mietwagen, und schon stehen wir in Klaipeda - früher Memel - am Hafen. Fünf Minuten dauert die Überfahrt mit der kleinen Autofähre bis zur Kurischen Nehrung.

    Seit 7 Jahren zählt die schmale Landzunge, die fast 100 km lang ist - und manchen Stellen nur 400 Meter schmal - zum UNESCO-Weltkulturgut. Eine Landschaft, die Besucher immer wieder bezaubert. So auch Ingrid Wolf aus Münster, die wir beim Picknick am Waldrand treffen:

    " Wenn Sie hier zum Beispiel ein Stück weiterlaufen, das ist ... eine große Schonung. Links daneben kann man ans Haff gehen, und man hat die Buchten und tausende von Kormorane. Und Störche haben wir schon gefunden und Reiher. Also Natur pur und Schönheit pur."

    Eine Handvoll kleine Dörfer säumen die schmale Landstraße. Die ehemaligen Fischerhäuschen sind aus Holz errichtet und leuchten von weitem blau oder rot. Mit ihren reich verzierten Giebelbrettern und den üppig blühenden Vorgärten erscheinen sie fast märchenhaft. Das letzte Dorf vor der russischen Grenze - der nördliche Teil der Nehrung ist litauisch, der südliche Teil russisch - ist Nida, das frühere Nidden. Berühmt geworden als Künstlerkolonie und duch die unvergleichlichen Sanddünen. Thomas Mann ließ hier für sich und seine Familie ein Ferienhaus errichten. Heute ist das dunkelrot gestrichene Holzhaus das meistbesuchte Museum Litauens.

    Wer sich nach Kultur, Wandern durch die Dünen und Baden in den Ostseewellen stärken möchte, landet vielleicht bei Manfred Wagner. Der ehemalige Busfahrer aus Osnabrück hat sich vor 5 Jahren mitten in Nidden selbständig gemacht. In einer der buntbemalten kleinen Holzhütten, in denen Bernsteinketten und handgestrickte Mützen, ;Kunstdrucke und Leckereien feilgeboten werden. Der 51jährige hat etwas für Litauer ganz Neues im Angebot. Seine Spezialität sind Fischbrötchen:

    " Wir haben einen Bäcker gefunden, der uns die Brötchen so backt wie unsere deutschen Gäste es wünschen.. Und wir wollten es auch einmal nur zeigen. Und so sind wir dazu gekommen, hier Fischbrötchen einzuführen, und die Litauer sind überhaupt nicht dafür. "

    Fisch essen die Einheimischen zwar leidenschaftlich gern. Doch traditionell warm, geräuchert und ohne Brot - in Papie gewickelt gleich auf die Faust:

    " Ja, und wenn die dann an unserer Bude vorbeigehen, unsere litauischen Gäste, die natürlich immer herzlich selbstverständlich, davon leben wir auch, gucken die einfach in unsere Box und in unsere Auslage hinein und sagen: "Ach Fischbrötchen". Also ... kalt isst man den Fisch hier überhaupt nicht. Fisch isst man warm. "

    Doch davon lässt der Osnabrücker sich nicht entmutigen. Seine Frau ist Litauerin, sie haben eine kleine Tochter, und er ist fest entschlossen, sich anzupassen - ohne jedoch das Fischbrötchen aufzugeben. Schließlich schauen genügend Deutsche vorbei. Also ist seine Imbissküche flexibel:

    " Natürlich machen wir auch andere Sachen. Für unsere litauischen Gäste, zum Beispiel Fischburger, Hot Dogs und unsere Krabbenfingerstäbchen."

    Um seine Leckereien noch besser anbringen zu können, lernt Manfred Wagner eifrig litauisch:

    " Es ist schwer, also die litauische Sprache kommt ja aus dieser indogermanischen Sprachgruppe. Und es ist also eigentlich für uns Deutsche ... Also, wenn ich sage: Ich verstehe auf litauisch nur 50 Prozent, dann sag ich: Asch so prento dose procento…"

    Schon stehen hungrige litauische Gäste am Tresen, bei denen er seine Sprachkenntnisse einsetzen kann:

    " No, Prochem ... Ah, Burgis. Die Dame möchte einen Fischburger. Ich werde das mal eben schnell zubereiten. "

    Die Saison auf der Kurischen Nehrung ist kurz. Doch dann hat der kontaktfreudige Imbisschef aus Norddeutschland gut zu tun:

    " Die meisten Gäste, die hier reinkommen, die unsere Reklame draußen in litauisch und deutsch lesen - unsere Fischbrötchen zum Beispiel, oder andere Produkte, die wir ja verkaufen. Aber vornehmlich unsere Fischprodukte, die lesen das auf deutsch und fühlen sich angesprochen natürlich. Soll ja auch so sein, und kommen denn auch schon mal und fragen: wo gibt's denn dieses, wo gibt's denn das?. Also, wir verkaufen nicht nur, sondern wir haben auch sone kleine Informationszentrale hier. "

    Und was wäre, wenn deutsche Urlauber, und vor allem die Litauer sich nicht genügend erwärmen für das kalte Fischbrötchen? Eins steht fest: kein Grund, das Leben auf der Kurischen Nehrung aufzugeben, sagt Manfred Wagner:

    " Überhaupt nicht. Dieses Land ist sehr deutschfreundlich ... deutschsprachig auch. Man spricht sehr gut deutsch hier. Man kann hier gut leben! "