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Kalter Zahn der Zeit

Geologie. - Schon seit Anfang Juli stürzen immer wieder Felsbrocken von der Ostflanke des Eiger ins Tal. Während viele Experten einen Zusammenhang der bröckelnden Berge und dem wärmeren Klima sehen, kommt der Schweizer Geologe Ueli Gruner zu anderen verblüffenden Ergebnissen.

Monika Seynsche im Gespräch mit Ueli Gruner | 08.08.2006
    Monika Seynsche: Herr Gruner, häufen sich Felsstürze wirklich, wenn das Klima wärmer wird?

    Ueli Gruner: Mir ist aufgefallen, in den letzten 400 Jahren war das, dass bei kälteren Temperaturen, in kälteren Klimaperioden die Felsstürze häufiger waren als in wärmeren Zeiten.

    Seynsche: Woher kommt das denn?

    Gruner: Man kann sich das so erklären, das weiß man auch durch Detailmessungen, dass bei Kälte sich der Fels zusammenzieht. Und da gibt es Klüfte und Spalten im Inneren, die geöffnet werden. Im Frühjahr drängt dann das Wasser und die Schneeschmelze in diese neu entstandenen Klüfte ein und drücken den Fels auf diese Weise hinaus. Man sieht auch, dass im Frühjahr sehr viele Felsstürze auftreten eben nach dieser Kälteperiode. Gerade zum Beispiel der Felssturz, der die Gotthard-Autobahn bei Gurtnellen vor einigen Wochen blockiert hat, ist auf ein solches Phänomen zurückzuführen. Wir hatten einen kalten Winter und hatten Tauwetter im Frühjahr und da sind dann die Schmelzwässer in die Felsklüfte eingedrungen.

    Seynsche: Ist es denn falsch, zu sagen, dieser Felssturz kam zu Stande durch das wärmere Klima?

    Gruner: Der Felssturz von Gurtnellen ganz sicher nicht. Der Felssturz am Eiger ist natürlich ein anderes Phänomen, weil dort der Gletscher sich zurückgezogen hat und der Druck, den der Gletscher auf die Felswand gelegt hat, ist entfallen und es hat eine Entlastung stattgefunden. Das ist natürlich darauf zurückzuführen, dass das Klima wärmer geworden ist in den letzten Jahren. Aber das ist jetzt in einem Bereich, wo eigentlich die Siedlungen und Infrastrukturanlagen nicht mehr betroffen sind. Auch die anderen Gletscher, die zurück schmelzen, finden sich in Gebieten, wo sich kaum mehrer Leute aufhalten, höchstens Bergwanderer, weil es zu hoch ist.

    Seynsche: Alle Klimamodelle sagen voraus, dass es wärmer wird - auch in den Alpen. Was erwarten Sie denn in Bezug auf Felsstürze, Überschwemmungen und Rutschungen?

    Gruner: Also generell bei Felsstürzen nehme ich nicht an, dass - und das kann ich eben aus diesen Beobachtungen, Messungen und Archiven feststellen - diese Felsstürze, die uns direkt tangieren, eben Infrastrukturanlagen, Siedlungen und so weiter, dass diese zunehmen, sondern eher abnehmen. Was hingegen den Permafrost anbelangt, also das Gebiet, das dauernd im Frostbereich lag, da wird es vielleicht gelegentlich größere Sturzereignisse geben, aber die betreffen ja eigentlich auch nicht Siedlungen, sondern sind in den Nordwänden vielleicht ab 2500 bis 2800 Meter eine Gefahr und da befinden sich eigentlich kaum mehr Leute, die sich dort dauernd aufhalten.

    Seynsche: Kann man denn sagen, dass dann generell die Felsstürze abnehmen werden, je wärmer das Klima wird?

    Gruner: Das kann man so sagen. Nach meinen Beobachtungen und meinen Messungen ist es so, dass eben in kalten Zeiten wie zum Beispiel in den Jahren zwischen 1950 und 1980 und im vorletzten Jahrhundert, als wir die kleine Eiszeit in den Alpen hatten, sehr viele Ereignisse hatten, die auf diese beschriebenen Vorgänge in den Spalten und Klüften zurückzuführen sind.