Dienstag, 16. April 2024

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Kaltes Finnland

Es gibt wohl kein europäisches Volk, das in seinen kulturellen Exportprodukten so kontinuierlich das Klischee vom traurigen Leben bedient wie die Finnen. Allgemein kennt man die versoffenen Elendsgestalten der Kaurismäki-Filme, über die sich leicht lustig zu machen ist, und geht man weiter zurück, erklingen die depressiven Klänge des Symphonikers Sibelius aus dem 19. Jahrhundert. Welche Last, als Finne geboren zu sein, seufzt man vor lauter Empathie. Auch die dreißigjährige Autorin Tuuve Aro macht darin keine Ausnahme. Ihr vom "Informationszentrum für finnische Literatur" für die Übersetzungsförderung ausgewählter und damit kulturpolitisch geadelter Erzählungsband "Ärger mit der Heizung" setzt auf gleich zwei Signalworte: Ärger und Kälte. Gegen ersteres hilft der Alkohol, gegen letzteres die Sauna; beide kommen reichlich zum Einsatz. Im Finnland dieser Autorin gibt es alles, was man aus Kaurismäki-Filmen kennt – entwurzelte Gestalten, orientierungslose Subjekte, liebesunfähige Männer und Frauen –, und nichts, was mit den anderen Realitäten des Landes als High-Tech-Schmiede und PISA-Gewinnerin zu tun hätte. Dabei sind es fast ausnahmslos junge Menschen, die die Texte Aros bevölkern. Studenten und Job-Hopper, aber das, was Jugend gemeinhin auszeichnet – Kraft, Ambition, Ehrgeiz –, sucht man bei ihnen vergebens. Entweder haben sie Probleme mit sich, speziell mit ihrer Sexualität (meistens amorph und zwischen den Geschlechtern unentschieden) oder mit der gesamten Umwelt. Der Klappentext souffliert, sie seien auf der Suche nach dem "Kompaß im Chaos", und da lügt er nicht einmal, sondern unterschlägt nur ein Detail: Dass das Chaos nicht, wie das Buch suggeriert, aus gesellschaftlichen Umständen resultiert, sondern ausschließlich von den Figuren selbst erzeugt wird. Mutwillig zumal, da hülfe auch kein Kompass, selbst wenn man ihn besäße.

von Florian Felix Weyh | 22.04.2004
    Warum, fragt man sich verzweifelt – die Stimmung des Buches steckt an –, warum muss sich eine begabte Autorin so abgenutzter Stoffe bemächtigen? Tauschte man die Rekkus, Sinikkas, Kerttus, Anttis der Geschichten gegen hiesige Namen aus, würde hinter dem exotischen Lack rasch der europaweite Einheitsbrei einer sich selbst als "lost generation" stilisierenden Jugend sichtbar. Einer Jugend, für die Orientierungslosigkeit das ist, was Rebellion für ihre Vorfahren gewesen ist. Man rebelliert nicht mehr gegen als ungerecht empfundene Strukturen, sondern suhlt sich genüsslich darin, dass alle Strukturen abgeschafft sind. Natürlich stimmt das nicht, liefert aber den Grund, warum sich diese jungen Autoren so gern mit psychisch Depravierten beschäftigen. Nur in den Katakomben von Drogensucht, Depression, Psychose lässt sich jene Strukturlosigkeit behaupten, die man so gerne für sich selbst in Anspruch nähme, um nicht ins wahre Leben mit seinen Pflichten und Zwängen eintreten zu müssen.

    Nein, von dieser Autorin, die in ihren oftmals kurzen, nur zwei, drei Buchseiten umfassenden, mal fotorealistischen, mal verschwommen phantastischen Momentaufnahmen großes sprachlichen, ja poetisches Talent verrät, möchte man genau das Gegenteil bekommen: die Beschreibung von Normalität. Devianz ist öde und literarisch unergiebig, Elendsarien gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Ein Säufer aus Tuuve Aros Erzählungsband hätte auch schon vor hundert Jahren in Gorkis "Nachtasyl" auftreten können, die differenzierte Analyse einer modernen Mittelschichtsfamilie wäre dagegen eine echte Herausforderung. Aber als Botschafterin finnischer Tristesse lebt es sich vermutlich besser. Jeder Kulturbetrieb eines Landes bekommt, was er fördert. Respektive: Was er verdient.

    Tuuve Aro
    Ärger mit der Heizung
    Suhrkamp, 166 S., EUR 8,–