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Kamera läuft!

Berlin, da denkt im Moment jeder an Film. Am vergangenen Donnerstag wurden die 62. Internationalen Filmfestspiele eröffnet: Insgesamt werden 395 Filme gezeigt. Heute feiert aber auch das traditionsreiche Studio Babelsberg sein 100-jähriges Jubiläum. Ein Spaziergang durch die Filmstadt Berlin, durch Berliner Filmgeschichte und Filmgeschichten.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 12.02.2012
    Die Geschichte des deutschen Films begann hier im Stadtteil Prenzlauer Berg, gleich neben der Hochbahn. In einem Dachgeschoss filmten die Brüder Skladanowsky ihre ersten Szenen, Autos an der Straßenkreuzung, Turnübungen und ein Boxer, später kam sogar ein boxendes Känguru dazu. Die lebenden Bilder belustigten noch im Varieté, im Berliner Wintergarten, Kino war Kintopp, ein großer Spaß.

    Heute ist Kino Kunst, Kultur, Kommerz und Starrummel. 395 Filme werden insgesamt auf der Berlinale gezeigt, die am Potsdamer Platz überall präsent ist. Die Kinos sind überfüllt und auch die kleinen und großen Gaststätten, das eng bebaute Areal platzt aus allen Nähten. Mitten auf der Potsdamer Straße, liegt auf 320 Meter Länge der "Boulevard der Stars". Eine Imitation des "Walk of Fame" in Hollywood. Aus polierter Bronze bestehende Sterne für die großen Namen des deutschen Films von Max Skladanowsky bis Romy Schneider, aber auch Lebende haben schon ihre Sterne, wie Schauspieler Götz George oder Regisseur Wim Wenders. Heute bedarf es einiger Fantasie, um sich vorzustellen, dass Wim Wenders hier 1987 seinen Film "Der Himmel über Berlin" drehte. In der ehemaligen innenstädtischen Brache zwischen Mauer und Philharmonie schickte er den greisen Schauspieler Curt Bois auf die Suche nach der Vergangenheit:

    "Also das kann er hier nicht sein, der Potsdamer Platz... Man trifft keinen, den man fragen kann. Ach, das war ein belebter Platz. Straßenbahnen, Omnibusse mit Pferden und zwei Autos, meines und das vom Schokoladen-Hahmann."

    Auf märkischem Sand ist nach Mauerfall und Wiedervereinigung der Potsdamer Platz gewachsen und mittendrin steht das neunstöckige Filmhaus mit dem Museum, einer Filmschule und zwei Kinosälen. Der Filmhistoriker Peter Mänz ist, ist Ausstellungsleiter im Museum für Film und Fernsehen:

    "Ja, wir sind ja hier an dem Ort, also an dem Potsdamer Platz, der als Kulisse diente in 'Der Himmel über Berlin', das war 1987, da stand die Mauer, Kurt Bois ist über das leere Feld gelaufen, hat die Ruine vom Anhalter Bahnhof gesehen und sich erinnert, und wir haben Kurt Bois auch eine Vitrine und Wenders natürlich auch in unserer Ausstellung gewidmet."

    Auf zwei Stockwerken wird hier mit Requisiten, Filmplakaten und Film und Tonausschnitten eine kompakte Geschichte des deutschen Films erzählt.

    "Ja, also die ständige Ausstellung des Museums für Film und Fernsehen bietet in der Tat einen Gang durch die deutsche Filmgeschichte von den Anfängen im Jahr 1895, da haben die Brüder Skladanowsky hier in Berlin im Wintergarten ihre ersten Filme projiziert bis heute, also bis ins 21. Jahrhundert, es gibt immer wieder Ausblicke nach Hollywood, da ist Marlene Dietrich gesetzt als internationaler Star. Sie spielt eine große Rolle, war auch wichtig für die deutsche Gemeinde in Hollywood. Aber das Thema Kinos und Kinogeschichte findet sich natürlich auch in der ständigen Ausstellung."

    "Wenn ich sonntags in mein Kino geh und im Film die feinen Leute seh', denk' ich immer wieder: Könnt' ich mal, ach könnt' ich mal genauso glücklich sein! Alle Tage Sekt und Kaviar, und ein Auto und ein Schloß sogar!

    Auch die großen Filmpaläste im Stadtbild Berlins erzählen von der Filmgeschichte. Das älteste Kino, das Movimiento in Kreuzberg wurde 1907 eröffnet. In den dreißiger Jahren gab es über 400 Kinos. Heute noch 95 Gebäude mit 270 Sälen. Aber trotz des umfangreichen Multiplex Mainstream finden sich immer wieder einige Perlen:

    Seit 20 Jahren widmet sich das Kino des deutschen historischen Museum im barocken Zeughaus "Unter den Linden" der Filmgeschichte und den Filmgeschichten. Für den Leiter Jörg Frieß ist die Arbeit mit Stummfilm selbstverständlich.

    "Ich denke schon, dass eine Besonderheit unserer Programmarbeit selbstverständlich darin besteht, dass wir ganz selbstverständlich auch Stummfilme vorführen und auch präsentieren, dass wir ganz selbstverständlich, wenn wir thematische Retrospektiven machen, thematische Filmreihen immer auch schauen, was hat die Stummfilmgeschichte in dem Bereich geleistet, was steht da heute noch zur Verfügung und das dann auch gar nicht als besonderes "event" auszustellen, sondern sozusagen ganz selbstverständlich mit zu programmieren, natürlich mit einer Live-Begleitung am Flügel, aber nicht unbedingt mit einem großen Sinfonieorchester bei einem Eintritt von 38 Euro 50, sondern nach wie vor für fünf Euro wie für die anderen Veranstaltungen auch."

    Durch die Musik wird der Stummfilm zum Tonfilm. Ein Film wie Fritz Langs "Spione" aus dem Jahre 1928 ist bringt selbst einen routinierten Pianisten wie Stefan von Bothmer an die Grenze seiner Belastungsfähigkeit

    "Also ich mach das jetzt seit 13 Jahren und den Film habe ich jetzt schon öfter gesehen. Ich glauben, das Anstrengende ist, sich in die Tiefen des Films immer hinab zu begeben. Manchmal habe ich richtig Angst vor einer Aufführung, dass ich da, also jetzt geht das zweieinhalb Stunden durch alle Seelenqualen noch einmal durch muss. Aber ich denke, wenn man das macht, dann wird das auch belohnt durch eine besondere Authentizität."

    Film ist sichtbar, Filmgeschichte nicht immer. Schon seit Jahren führt die Videobustour unter ihrem Leiter Arne Krasting zu den Drehorten bekannter Klassiker und Unterhaltungsfilme. Filmausschnitten werden dabei der Realität gegenübergestellt. Die Suche nach den Drehorten wird oft zu einer Suche nach der verlorenen Stadt, sagt Geschäftsführer Arne Krasting.

    "Da kann der Film manchmal helfen indem er eben Gebäude zeigt, Orte zeigt, die eben durch die Teilung zerstört Krieg zerstört wurden, durch die Teilung zerstört wurden. Schönes Beispiel sind eben diese Klassiker: 'Emil und die Detektive', oder 'Berlin Alexanderplatz', wo man eben am Schloss vorbei fährt, wo man am Alexanderplatz ist, wo gerade während der Dreharbeiten eine riesige Baustelle war, da wurde der 'Weltstadtplatz Alexanderplatz' gebaut, das war damals ein Riesenprojekt und der arme Heinrich George steht im Film dann dort an einem Bauzaun an einer riesigen Baustelle und dass ist etwas, dass natürlich auch hilft, die Geschichte der Stadt zu verstehen."

    Und während man durch die Busfenster auf die realsozialistischen Kulisse des Alexanderplatzes schaut, läuft auf den Monitoren im Bus der kleine Ausschnitt aus Phil Jutzis Verfilmung von Döblins Roman, der kleine Filmausschnitt vom täglichen Kampf des Hausierers Franz Biberkopfs aus dem Jahre 1932.

    "Meine Herrschaften, kommen sie doch näher, damit ich meine Stimme schonen kann. Ich habe sie ja nicht versichert, mit fehlt ja noch die erste Rate einer Anzahlung. Kaufen Sie doch meinen kleinen Apparat, fertig präpariert. Sie sparen Zeit, sie sparen Jeld, sie sparen beides: Zeit und Geld."

    Zwei Stunden lang steuert der Bus bekannte und ganz unscheinbare Orte im Zentrum Berlins an: Orte an denen Klassiker der Filmgeschichte aber auch neuere Produktionen, wie "Good by Lenin" oder "Das leben der Anderen" entstanden.

    "Einer der wichtigsten Filme der Tour ist "Die Legende von Paul und Paula", der DEFA Klassiker, spielt überwiegend in Friedrichshain. Interessant ist, dass sich dieses Viertel während der Dreharbeiten völlig verändert hat. Altbauten wurden abgerissen, Plattenbauten wurden errichtet und symbolisch ist in dem Film die Paula, die wohnt in einem Altbau und der Paul in einem Plattenbau und das ist ein Symbol, dass sich immer durchzieht und diese Sprengungen, diese Neubauten und insofern bildet der Film auch sehr schön die soziale Realität des Viertes und ganz Berlins ab. Und außerdem ist es eine Straße, wo man auch wieder ist und sich fragt: Was machen wir hier und dann tritt Paul für uns aus einem dieser Plattenbauten hinaus und dann die wunderbare Musik der Puhdys."

    "Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt das er zu früh geht."

    Im Zentrum Berlins, wurde und wird die Stadt zur Kulisse für zahllose Filme aus aller Herren Länder. Die großen Traumfabriken lagen vor der Stadt im märkischen Sand. Woltersdorf und Babelsberg.

    Vor hundert Jahren gründete die Produktionsfirma der Schauspielerin Asta Nielson die späteren UFA und dann DEFA Filmstudios. Direkt hinter der Stadtgrenze am S-Bahnhof Griebnitzsee, vormals Ufa Stadt.

    "Dieser Bahnhof hieß früher wirklich 'Ufa Stadt' Also das war ein Bahnhof, da kamen jeden Morgen aus Berlin, das ist ja nicht so wahnsinnig weit, hunderte von Leuten, ob das jetzt die Sekretärinnen waren, die Skriptgirls waren, oder einfach Leute, die hofften, sie würden da eben am Morgen einen Job bekommen als Statisten und auch bekommen haben. Also es zog jeden Morgen ein Strom von diesem Bahnhof eben aus, hin zum Studio eben in der großen Hoffnung das große Glück dann eben auch zu machen. Kann man auch nachlaufen, diesen Weg und da wird man vielleicht auch noch etwas spüren vom Gesit eines einstmals ja sehr bedeutenden Studios."

    Der Filmjournalist Knut Elstermann arbeitet seit Jahren auf dem Studiogelände, im Gebäude des RBB.

    "Mich persönlich berührt immer ganz besonders, wenn ich auf Arbeit geh zu meinem Sender, dann lauf ich ja durch die beiden Wachhäuschen, die beiden Torhäuschen, die gelben, das war das Haupttor früher für das Gelände. Da ist eben Heinz Rühmann durchgeritten, da gibt's sogar Aufnahmen davon."

    Als erste Produktion wurde im Februar 1912 "Der Totentanz" unter der Regie von Urban Gad mit Asta Nielsen in der Hauptrolle gedreht.

    "Das sind Dinge, die immer noch zu greifen sind in Babelsberg, die man immer noch sehen kann, manche eben sehr schön, sehr pfleglich restauriert wurden, auch dieses wichtige Gebäude, dass ja heute dem Rundfunk Berlin Brandenburg gehört, also diese Kunstblumenfabrik, das ist so ein Backsteingebäude mit Zinnen richtig, Efeu bewachsen, das war tatsächlich eine Fabrik für Kunstblumen und die wurde dann gekauft von Asta Nielsen und ihrer Firma der Deutschen Bioskop und daraus wurde dann eben das erste Studio, da gab es ein Glasgebäude, das hinten ran gebaut wurde und das finde ich immer so schön symbolisch, das war eine Fabrik für Kunstprodukte, für unechte Blumen und es wurde später das erste wichtige Haus in Babelsberg für eine Kunst, die davon lebt etwas vorzugaukeln, etwas vorzumachen."

    1921 von der UFA übernommen erlebten die Studios eine Hochphase, Murnau und Lang drehten hier Klassiker des deutschen Kinos. 1930 entdeckte Regisseur Josef von Sternberg die unbekannte Schauspielerin Marlene Dietrich für seinen Film "Der Blaue Engel":

    "Nimm dich in Acht vor blonden Frauen, die haben so etwas Gewisses..."

    Ab 1933 wurde Babelsberg zunehmend Zentrum für Propaganda- und Unterhaltungsfilme des NS Regimes. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag das Studio in der sowjetischen Besatzungszone und gehörte ab 1949 zur DDR. 1946 wurde die DEFA gegründet, die bis 1990 rund 1500 Spiel- und Fernsehfilme in Babelsberg produzierte. Nach dem Mauerfall wurden die Studios privatisiert.

    Die mächtigen Gebäude kündigen noch von der einstigen Größe, das Tonkreuz und die Halle, die nach der Schauspielerin Marlene Dietrich benannt wurde, obwohl sie hier nur einmal gespielt hat:

    "Wenn man an der großen Halle vorbeikommt, so der heutigen Marlene Dietrich Halle, dann sieht man schon einmal, was für ein gewaltiges Bauwerk das , und das für diesen frühen Zeitpunkt der Filmgeschichte, da kann man sich schon vorstellen, dass Marlene da eben rein gegangen ist und sich irgendwann auf diese Tonne gesetzt hat. Man braucht ein wenig Fantasie, aber man kann die durchaus mobilisieren."

    Vieles hat sich geändert, die Traumfabrik ist längst ein Bündel hoch spezialisierter Dienstleistungen. Aber es wird gedreht, von Roman Polanskis Der Ghostwriter bis hin zu Quentin Tarantinos "Inglourious Bastards" 2009 und Roland Emmerichs "Anonymus" 2011.

    "Ich denke mal, was durchaus noch da ist und was auch lebendig ist, ist so diese alte gut erhaltene deutsche Handwerkertradition. Also das spiegelt sich ja auch in Filmen, die ganz aktuelle Produktionen sind immer wieder. Die berühmte Berliner Straße, die da steht, die so originalgetreu ist, dass man wirklich manchmal denkt, da könnten wirklich auch noch Berliner hinter diesen Kulissen auch noch wohnen. Die ist ja zu sehen, die ist da und die ist auch noch ein Ausdruck eben für diese ganz besondere Tradition und ich denke, die zieht ja auch Leute an. Also es kommen ja Leute nach Babelsberg, weil dieser Mythos da ist und diesen Mythos haben Menschen gemacht, den haben Menschen geschaffen mit ihren ganz besonderen kunsthandwerklichen Fähigkeiten."

    Immer wieder stößt man auf Spuren von Film und Filmgeschichte: eine überlebensgroße Figur von Hans Albers als Baron Münchhausen auf der Kanonenkugel, alte Plakate, Scheinwerfer, kleine Gleise für Kamerafahrten, achtlos an die Wand gestellt. Hier werden immer noch Illusionen hergestellt, die den Alltag vergessen machen sollen, aber nur bis zur letzten Abblende, wie es schon 1930 Kurt Tucholsky wusste:

    "Es wird nach einem happy End
    im Film jewöhnlich abjeblendt.
    Man sieht bloß noch in ihre Lippen
    den Helden seinen Schnurrbart stippen –
    da hat sie nu den Schentelmen.

    Na, un denn –?

    Denn jehn die beeden brav ins Bett.
    Na ja ... diß is ja auch janz nett.
    A manchmal möcht man doch jern wissn:

    Wat tun se, wenn se sich nich kissn?
    Die könn ja doch nich imma penn ... !

    Na, un denn –?

    Denn säuselt im Kamin der Wind.
    Denn kricht det junge Paar 'n Kind.
    Denn kocht sie Milch. Die Milch looft üba.
    Denn macht er Krach. Denn weent sie drüba.
    Denn wolln sich beede jänzlich trenn ...

    Na, un denn –?

    Denn is det Kind nich uffn Damm.
    Denn bleihm die beeden doch zesamm.
    Denn quäln se sich noch manche Jahre.
    Er will noch wat mit blonde Haare:
    vorn doof und hinten minorenn ...

    Na, un denn –?

    Denn sind se alt.
    Der Sohn haut ab.
    Der Olle macht nu ooch bald schlapp.
    Vajessen Kuß und Schnurrbartzeit –
    Ach, Menschenskind, wie liecht det weit!

    Wie der noch scharf uff Muttern war,
    det is schon beinah nich mehr wahr!
    Der olle Mann denkt so zurück:
    wat hat er nu von seinen Jlück?
    Die Ehe war zum jrößten Teile
    vabrühte Milch un Langeweile.

    Und darum wird beim happy end
    im Film jewöhnlich abjeblendt."