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Kamishibai
Renaissance des japanischen Erzähltheaters

Das japanische Papiertheater Kamishibai gehört für viele Japaner fest zu ihrer Kultur. Vor allem bei Kindern war es im 20. Jahrhunderts sehr beliebt - bis zur Einführung des Fernsehers. Heute ist das Mini-Theater aber wieder angesagt - zum Beispiel beim "Japan-Tag" in Düsseldorf.

Von Simone Wienstroer |
    "Also, es gab alle Arten von Genres. Es gab Horrorgeschichten, Science Fiction, Heldengeschichten. Natürlich gab es Samurai-Geschichten, Ninja. Es gab sogar Western. Alles. Also, Frankenstein hab ich auch gesehen als Kamishibai."
    Und tatsächlich stammt auch die Figur des weltweit ersten gezeichneten Superhelden ursprünglich aus dem Kamishibai: Golden Bat - komplett ausgestattet mit wehendem Umhang und übernatürlichen Kräften.
    "Und Golden Bat stürzte sich auf Kai-Tank. Bapam! Kai-Tank wird von dem unverwüstlichen Golden Bat einfach in Eisenspäne zerlegt."
    Ab 1931 - noch vor Superman - kämpft er in Hunderten von live vorgetragenen Folgen für die Armen und Schwachen. Einen hohen Wiedererkennungswert hat vor allem sein berühmt-berüchtigtes Gelächter.
    "Genau in diesem Moment tauchte plötzlich Golden Bat, der Freund der Gerechtigkeit auf: huohohoho - hörte man sein Lachen in den Schweizer Alpen widerhallen."
    Handgemachte Kunst
    "Kamishibai, kamishibai ga hajimaru yo!" - Wenn japanische Kinder den vertrauten Ruf und das Klappern von Holzstäben hörten, wussten sie, dass es gleich etwas zu sehen gab: Kamishibai, zu deutsch: Papiertheater. Von einem Erzähler wurden hier nämlich mittels einer kleinen Holzbühne und handgemalter Bildkarten Geschichten vorgetragen. Comicartig, mit jeder Menge lautmalerischer Elemente.
    Ihr Geld verdienten die Vorführer - oft arbeitslos gewordene Stummfilm-Kommentatoren - mit dem Verkauf von Süßigkeiten und Reiscräckern.
    "Und das Tolle war: Das waren Serien - die ja auch ein hohes Suchtpotenzial in sich bergen. Und es war tatsächlich so, dass 25 Prozent der Achtjährigen in den 30er-Jahren, also ein Viertel sahen täglich zweimal Kamishibai. Das war wirklich wie Fernsehen."
    Julia Kuhlmann-Edagawa hat lange Zeit in Japan gelebt und sich intensiv mit der Erzählkunst des Kamishibai beschäftigt. Mitgebracht hat sie originale Bildkarten aus den 50er-Jahren - darunter auch den japanischen Superhelden.
    "Golden Bat, Ogon Batto' ist eine der beliebtesten Figuren des Kamishibai. Und mich hat das am Anfang sehr erstaunt, weil wir sehen hier so einen etwas goldfarbigen, aber eher braunen Skelettkopf mit einem sehr mangelhaften Gebiss, einem weißen Kragen. Also sieht so'n bisschen musketierhaft aus, im roten Mantel. Ist traditionell bewaffnet mit einem Säbel. Und er kann natürlich fliegen."
    Renaissance des Mini-Theaters
    Der böse Gegenspieler ist Nazo, ein Wissenschaftler aus Nazi-Deutschland mit Fledermausmaske.
    "Masae, wo ist das Geheimnis des Vernichtungsstrahlers? Verrat es mir. Wenn du es mir nicht sagst, lass ich dich töten."
    Im Japan des 20. Jahrhunderts verschwanden mit dem Aufkommen des Fernsehens - das man übrigens "Elektro-Kamishibai" nannte - die Erzählkünstler allmählich von den Straßen. In den vergangenen Jahren erfährt das Mini-Theater allerdings eine erstaunliche Renaissance, auch in Europa. Und nicht nur als pädagogisches Lehrmaterial in den Schulen.