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Kammermusik von Mozart und von Dohnányi

Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely zu neuen Aufnahmen aus dem weiten Feld der Kammermusik. Seien Sie herzlich willkommen. Zwei neue CDs möchte ich Ihnen heute ans Herz legen. In beiden Fällen handelt es sich wirklich um rundum erfreuliche Neuerscheinungen. Zum einen sind bei dem Kölner Label aulos die beiden Klavierquintette von Ernst von Dohnányi herausgekommen. Eingespielt wurden sie vom Fine Arts Quartet zusammen mit dem ungarischen Pianisten Peter Frankl, und zwar im Hans-Rosbaud-Studio des SWR in Baden-Baden, also an wahrhaft traditionsreichem Ort. Die andere CD entstand in Tokio - wie das Leben halt so spielt. Dort nahm im April 2002 das Wiener Artis-Quartett für das Label Orfeo Auszüge aus Mozarts Oper "Don Giovanni" auf, Arrangements des Mozart-Zeitgenosse Johann Nepomuk Went für Streichquartett. Davon wird gleich die Rede sein.

Von Norbert Ely |
    Zunächst soll es um den fulminanten Ernst von Dohnányi gehen, einen Komponisten, der in den letzten Jahren wieder entdeckt wird. Dohnányi, der 1960 in den USA starb, war kein Moderner, weswegen sein umfangreiches Oeuvre in den vergangenen Jahrzehnten nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat. Die beiden Klavierquintette, die das Fine Arts Quartet zusammen mit Peter Frankl aufnahm, stammen aus relativ früher Zeit. Das erste in c-moll, op. 1 schrieb Ernst von Dohnányi 1895 in seinem zweiten Studienjahr an der Budapester Akademie. Das zweite Quintett es-moll, op. 26 entstand bereits in Berlin, wo Dohnányi als gefeierter Pianist und Komponist ab 1905 an der Musikhochschule lehrte. Und während er in seinem Opus 1 noch deutlich seine Verehrung für Johannes Brahms zeigt, bricht er im zweiten Quintett zu neuen Harmonien auf, wenn auch innerhalb des tradierten harmonischen Kanons. Von der Kühnheit des viel späteren dritten Streichquartetts ist das 2. Klavierquintett noch um einiges entfernt.

    Und dennoch fesselt gerade dieses Werk ungemein. Es ist dreisätzig angelegt, mit einem dunkel verhangenen Moderato als Finale. Dem kommt der gesättigte Wohlklang des Fine Arts Quartet zugute, und der Pianist Peter Frankl, einer der herausragenden Virtuosen aus alter ungarischer Schule, bringt noch im Pianissimo einen fürwahr großen Ton ins Spiel. Er hat Recht: bei Dohnányi muss der Flügel etwas von einer Kathedrale haben. In der Mitte dieses Quintetts steht ein Intermezzo, wobei die Bezeichnung sowohl den Schumannschen als auch den Brahms’schen Sprachgebrauch anklingen lässt. Das heißt: für 5 einfallsreiche Minuten ist alles nicht ganz so streng gemeint, nicht ganz so polyphon dicht und harmonisch konsequent wie in den Ecksätzen.

    * Musikbeispiel: Ernst von Dohnányi - 2. Satz aus dem Klavierquintett Nr. 2 es-moll, op.26

    Soviel zu Peter Frankl, zum Fine Arts Quartet und zu den beiden Klavierquintetten von Ernst von Dohnányi, die auf einer "aulos"-CD zu hören sind. Nun zum "Don Giovanni" des Artis-Quartetts. Johann Nepomuk Went, der bis 1801 lebte, schrieb eine Bearbeitung in der Dramaturgie der weiland beliebten Harmoniemusiken, indes nicht für Bläseroktett, sprich: für die Regimentsmusik, sondern für den vierstimmigen Streichersatz. Geht das überhaupt? Und wie! Die Aufnahme ist eine Offenbarung, was nicht nur damit zu tun hat, dass das Artis-Quartett eine Wiener Institution ist und dass seine Mitglieder natürlich den "Giovanni" mehr als einmal in der Staatsoper gehört haben dürften.

    In der Quartettfassung geht das dramma giocoso um den burlador los wie eines der Sieben letzten Worte unseres Erlösers von Haydn. Die vier machen Ernst, und zwar zum Teil ganz ohne Vibrato; es ist zum Gänsehautkriegen:

    * Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart (bearb.: Johann Nepomuk Went) - Ouvertüre (Ausschnitt) aus: "Don Giovanni" - Fassung für Streichquartett

    Natürlich kann man da den ganzen Bläsersatz vermissen. Gerade die authentische Aufführungspraxis und deren Derivate haben uns gelehrt, wie konstituierend der charakteristische Bläserklang im sinfonischen Apparat Mozarts ist. Anderseits ist es dem Bearbeiter Went gelungen, einen Quartettsatz auszuarbeiten, der ungleich dramatischer und spannungsreicher ist als zum Beispiel die relativ harmlose Quartettbesetzung, die es im Fall des einen oder anderen Mozartschen Klavierkonzerts ad libitum gibt.

    Die Bearbeitung folgt, wie gesagt, der Dramaturgie der Harmoniemusiken. Es gibt eine Abfolge der Arien und Ensembles. Und da zeigt sich, zu welch sprechender Artikulation die vier Musiker des Artis-Quartetts in der Lage sind. Die Nonchalance, mit der sie durch die Registerarie schlendern, ist einfach nur köstlich. Und da, wo in Dresden zum Beispiel ein großer Flötist wie Eckart Haupt tonleiterabwärts Hohn und Spott zu blasen pflegte, spielt Peter Schumayer ein kaum weniger höhnisches Detaché - Leporello als ein ganz Abgefeimter.

    Aber hören Sie doch ganz einfach mal "Là ci darem la mano", fein verteilt auf Bariton und Sopran! Da könnte man glatt Lust bekommen, Adornos charmantestes Stück Prosa, seine Huldigung an Zerline, noch einmal zu lesen.

    * Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart (bearb.: Johann Nepomuk Went) - Nr. 7 Duettino. "Là ci darem la mano" aus: "Don Giovanni" - Fassung für Streichquartett

    So geht das fort mit dem Wiener Artis-Quartett und Mozarts "Don Giovanni" im Quartett-Arrangement des Johann Nepomuk Went. Ob die vier beim Rondo der Donna Anna "Non mi dir, bell’ idol mio" noch die unvergessene Wiener Sopranistin Ljuba Welitsch im Ohr hatten? Die wurde bei den Koloraturen dann allerdings doch ein bisschen langsamer - Primarius Peter Schumayer hat selbstverständlich da keine Not. Das Finale ist eine Höllenfahrt a quattro - erneut geschärft im Klang, dramatisch packend bis an die Grenze dessen, was ein Streichquartett im klassischen harmonischen Rahmen leisten kann. Alles in allem: ein seltener Glücksfall, um nicht zu sagen, una cosa rara!

    * Musikbeispiel: Wolfgang Amadeus Mozart (bearb.: Johann Nepomuk Went) - Nr. 24 Finale aus: "Don Giovanni" - Fassung für Streichquartett

    Ernst von Dohnányi: Die Klavierquintette
    Peter Frankl, Klavier
    Fine Arts Quartet
    Label: aulos MUSIKADO
    Labelcode: LC 09081
    Bestell-Nr.: AUL 66146

    W.A. Mozart: "Don Giovanni" - Fassung für Streichquartett
    Artis-Quartett
    Label: ORFEO
    Labelcode: LC 8175
    Bestell-Nr.: C 664061 A