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Kammerspiel mit Haushälterin

Zwei streitende jüdische Brüder im Rentenalter, die zusammen wohnen und nun um die Gunst der jungen hübschen und palästinensischen Haushälterin buhlen: Dem Plot des furiosen neuen Romans von Michael Bergmann ist anzumerken, dass der Autor auch Filmdrehbücher schreibt.

Von Christiane Wirtz | 15.08.2013
    Die Brüder Kleefeld sind in die Jahre gekommen. Der 77-jährige Moritz blickt auf eine Karriere als Psychologie-Professor zurück, der 75-jährige Alfred war als Dracula-Darsteller mäßig erfolgreich. Die beiden Söhne jüdischer Eltern leben in Frankfurt gemeinsam unter einem Dach und versuchen sich von der Schwere des Alters abzulenken – mit alltäglichem Streit und eingebildetem Leiden. Und hätte der Autor nicht Zamira geschickt, die junge, schöne und palästinensische Haushälterin – die Brüder Kleefeld hätten glatt den Rest ihres Lebens verpasst.

    "Ich habe mir bewusst diese Konstellation ausgesucht, weil sie ganz einfach konfliktbeladen ist. Ich hatte von Anfang an vor, eine Art Kammerspiel zu machen, mit wenigen Figuren, und das hat sich förmlich aufgedrängt."

    Zamira also betritt die Bühne und ändert kurzerhand die Namen der beiden Herren: Aus Alfred und Moritz Kleefeld werden – der Einfachheit halber – Herr Klee und Herr Feld. Getreu der jüdischen Tradition, dass sich mit dem Namen auch das Schicksal eines Menschen ändert, erwachen die Brüder zu neuem Leben. Statt sich selbst zu bemitleiden holen sie den Oldtimer aus der Garage, suchen noch einmal das Scheinwerferlicht und buhlen um die Gunst der jungen Haushälterin. Was Komplikationen in sich birgt. Denn der Nahost-Konflikt macht auch vor der Frankfurter Gründerzeit-Villa nicht halt.

    Als Moritz und Alfred in der folgenden Woche aus der Stadt nach Hause kamen, waren sie kaum imstande, die Haustür zu öffnen, denn der Flur war mit Möbeln zugestellt.
    "Zamira!", riefen sie.
    "Ja?", kam es aus dem Salon zurück.
    "Wir kommen hier nicht durch", sagte Moritz.
    "Versuchen Sie es", war die Antwort des Hausmädchens.
    (…)
    Als sie schließlich, zum Teil auf allen vieren, Tische und Stühle überwunden hatten und atemlos im Salon standen, erblickten sie Zamira, die gemütlich im Schneidersitz inmitten von diversen Sofakissen auf dem Teppich hockte (…) Die Brüder sahen sich ratlos an.
    "So geht es uns im Westjordanland jeden Tag", sagte Zamira.


    Die Perspektive der einen wie der anderen Seite ist wenig überraschend: Zamira warf in ihrer Jugend Steine auf israelische Soldaten, auf die verhassten Besatzer. Für die Brüder Kleefeld dagegen ist Israel nach endlosem Leiden und Holocaust das Ende der Diaspora. Diesen Konflikt löst der Autor auf der menschlichen Ebene. Die Sympathie zwischen den drei Protagonisten ist groß, so kommen sie bei einem Glas Tee auf den Sofakissen ins Gespräch.

    "Herr Klee und Herr Feld" ist der dritte Teil der Trilogie, die Michel Bergmann über jüdisches Leben in Deutschland geschrieben hat. Die ersten beiden Bände "Die Teilacher" und "Machloikes" nehmen ihren Ausgang in den Nachkriegsjahren der Bundesrepublik. Der letzte, jetzt vorgelegte Band spielt im Frankfurter Westend der Gegenwart – mit dem Bio-Bäcker an der nächsten Straßenecke.

    Michel Bergmann hat in allen drei Romanen eigene Erfahrungen verarbeitet, es steckt viel von ihm in den Figuren. Er selbst hat jüdische Eltern, seine Familie verdiente ihr Geld als "Teilacher", was so viel heißt wie "Handelsvertreter". So wie Herr Klee und Herr Feld hat auch der Autor seine Kindheit in Frankfurt verbracht, die Nachkriegsjahre haben ihn geprägt und auch er spürt, dass die Jahre vergehen. Was ein Grund dafür, dass er über sein eigenes Alter nur ungern spricht.

    "Das Thema Altwerden drängt sich förmlich auf. Also, ich kann mich noch gut an meine Mutter erinnern, die immer sagte, man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, alt zu werden, bevor man es nicht selbst wird oder ist. Und ich lasse einen meiner Brüder sagen: Man wird nicht alt, man ist plötzlich alt."

    Michel Bergmann hat viele Drehbücher geschrieben, was seinen Romanen sehr zugutekommt. Denn er überzeugt mit lebendigen Dialogen, in denen die Chuzpe und der Schalk der beiden Brüder zum Ausdruck kommen. Auch zeugt seine Erzählung von einer reichen, detaillierten Beobachtungsgabe. In vielen Passagen liest sich sein Buch als wäre es ein Film. Nicht von ungefähr: Denn alle drei Bände seiner Familien-Trilogie wollte der Autor zunächst als Drehbuch schreiben, fand aber keinen Produzenten.

    "So sind eigentlich meine drei Bücher, im Jüdischen sagt man aus Dafke entstanden, aus Trotz und Wut, dass niemand die wollte. Und ich habe immer zu meiner Frau gesagt, Du wirst sehen, eines Tages gibt es sie zwischen zwei Buchdeckeln und dann wird sich jeder dafür interessieren. Und genau das ist auch eingetreten."

    Tatsächlich interessiert sich nun der belgisch-jüdische Regisseur Sam Gabarski für den Stoff: Anfang 2014 beginnen die
    Dreharbeiten zu den ersten beiden Büchern.

    Der Roman "Herr Klee und Herr Feld" ist ein furioser Schluss der Trilogie. Kurz bevor der Vorhang fällt, führt Alfred Zamira noch einmal zu einem Konzert in der Frankfurter Oper aus. Gespielt wird ausgerechnet Richard Wagner. Und so bildet die Ouvertüre zu Tannhäuser zugleich die Ouvertüre zum allerletzten Akt der Teilachers.

    "Ausgerechnet zu diesem Rischeskopp musst du sie ausführen. Zu diesem Stück Dreck! Das ist Faschismus in Reinkultur. Wie kann dir etwas gefallen, das Hitler gefallen hat?"
    Alfred war fassungslos. (…)
    "Du bist nicht bei Trost! Was machst du für ein Theater! Meinst du, ich weiß nicht, um was es hier eigentlich geht?"
    Er zeigte auf Zamira, die unsicher in der Tür stand, während Moritz sich seinen Bademantel anzog.
    "Um sie geht es! Du bist eifersüchtig! Du hast wieder einmal gegen mich verloren und das bringt dich um den Verstand. Ja, wir haben einen schönen Abend verbracht, Zamira und ich. Und wir werden noch viele schöne Abende miteinander verbringen!"
    (…)
    "Dir geht es ja nur um das Mädchen, du eitler Pfau. Du kannst es nicht ertragen abzublitzen. Deshalb wendest du alle Tricks an und schreckst nicht einmal vor Wagner zurück. Das ist Verrat!"
    (…)
    "Du gehst mir dermaßen auf die Nerven, mit deiner Scheiß-Psychologie. Ja, gerade du kennst dich aus. Dein Leben lang hattest du diese frigide Person um dich, ein einziges Mal bist du fremd gegangen …"


    In einem großen Finale führt Michel Bergmann seinem Leser noch einmal die Motive seines Romans vor Augen: jüdisches Leben in Deutschland, die Unbarmherzigkeit des Alters, die lebenslange Eifersucht zwischen Brüdern und Wunden, die das Leben reißt und nie verheilen. Von dieser Tragik schreibt der Autor mit jüdischem Witz und menschlicher Wärme. Und so zeigt sich in "Herr Klee und Herr Feld" vor allem eines: Großzügigkeit. Eine Großzügigkeit, die Versöhnung – zumindest im Zwischenmenschlichen - möglich erscheinen lässt. Nicht zuletzt ist es die Versöhnung mit dem eigenen Leben und der wohlwollende Blick auf die Vergangenheit, die diesem Roman seine Prägung geben.


    Michel Bergmann: "Herr Klee und Herr Feld"
    Arche Verlag, 376 Seiten, 19,95 Euro.

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