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Kampf dem Ärztepfusch

In deutschen Krankenhäusern kommt es jedes Jahr zu knapp zwei Millionen "vermeidbaren unerwünschten Behandlungsergebnissen": Das "Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten" soll nun die Zahl der Behandlungsfehler eindämmen.

Von Mirko Smiljanic | 02.10.2012
    Eigentlich war es keine allzu beunruhigende Diagnose, die Sandra Stenzinger aus Grettstadt bei Schweinfurt vor zwei Jahren von ihrem Arzt hörte: Sie leide an Epicondylitis humeri lateralis vulgo, an einem Tennisarm. Das Problem war die stümperhafte Therapie.

    "Also, ich bin 2010 an einem Tennisarm operiert worden. Zwei Mal, der Arzt hat da Fehler gemacht, hat Nerven durchtrennt."

    Vergleichbares erlebte Ewald Kraus aus Erlangen, als sein Sohn sich die Schulter auskugelte:

    "Mein Sohn ist als 14-Jähriger vom Reck gestürzt, hat sich die Schulter luxiert. Das ist dann mehrfach passiert, als 17-Jähriger ist er dann operiert worden und bei der Operation wurden Schrauben in die Schulterpfanne eingebracht. Und zwei dieser drei Schrauben ragten in den Gelenkspalt. Und da hat sich der Oberarmkopf abgerieben."

    Durchtrennte Nerven nach einer OP, Schrauben, die den Oberarmkopf beschädigen: Zwei Fälle von fast zwei Millionen, wie sie jedes Jahr in deutschen Kliniken und Praxen vorkommen. Seit mehr als 20 Jahren planen Gesundheits- und Justizminister ein Gesetz, das die Zahl der Behandlungsfehler eindämmen soll. Mittlerweile gibt es immerhin das "Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten" schon als Entwurf, der vor wenigen Tagen im Bundestag debattiert wurde. Es beinhaltet drei zentrale Punkte. Erstens den sogenannten "Behandlungsvertrag". In ihm werden alle bisher verstreuten gesetzlichen Regelungen zusammengefasst und in ein einheitliches Gesetz gegossen, das Teil des BGB, des Bürgerlichen Gesetzbuches, wird.

    "Man hat dann eine Stelle, wo man nachlesen kann zum Beispiel, wie sieht es aus mit Einsichts-, mit Kopierrechten meiner Akte, welche Rechte habe ich da, wie muss mich der Arzt aufklären. All dies wird im sogenannten Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt."

    Sagt Wolfgang Zöller, Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Der zweite Punkt beschäftigt sich mit der Möglichkeit, Behandlungsfehler anonym zu melden. Dies gilt nicht nur für offensichtlichen Pfusch, das Gesetz erlaubt auch, Beinahebehandlungsfehler weiterzuleiten.

    "Der dritte Bereich ist, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen künftig verpflichtet werden, bei Verdacht auf Behandlungsfehler den Versicherten zu helfen."

    Das klingt klar und übersichtlich, birgt für die Opposition aber auch Kritikpunkte. Das Gesetz sei nichts weiter als eine Zusammenfassung ohnehin geltender Verordnungen, beklagen SPD, Grüne und Linke. Man vermisse unter anderem einen Härtefallfonds, aus dem die Ansprüche von Behandlungsopfern zeitnah reguliert werden. Der Härtefallfonds scheitert an der unklaren Finanzierung und an "reduzierter präventiver Wirkung". Die Regierung befürchtet, Ärzte lassen es an Sorgfalt fehlen, wenn sie wissen, dass bei Pfusch ein Härtefallfonds für den Schaden aufkommt. Hardy Müller, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit Bonn, kann das nicht nachvollziehen.

    "Wir glauben, dass man die Ärzte da unterschätzt. Die sind durchaus motiviert, keine Behandlungsfehler zu machen."
    Von der Regierung abgelehnt wird zudem die Beweislastumkehr. Bisher muss der Patient den Behandlungsfehler nachweisen. Eine Beweislastumkehr wird es nur bei groben Verstößen geben, andernfalls – befürchtet Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr – würden "amerikanische Verhältnisse" ins deutsche Gesundheitswesen einziehen:

    "In denen der Arzt bei der Behandlung als Erstes danach schaut, was sind die Risiken und was bedeutet das für mich finanziell. Nein, wir wollen, dass weiterhin der Behandler, der Arzt, die Ärztin alles Mögliche tut, im Sinne des Patienten das Beste zu erreichen."

    Was grundsätzlich für alle medizinischen Bereiche gilt. Leider nur – das ist der nächste Kritikpunkt – werden im vorliegenden Gesetzesentwurf nicht alle Bereiche behandelt.

    "Wir hatten eine Debatte im Frühjahr, die ist leider nicht aufgenommen worden, die Sicherheit von Medizinprodukten zu erhöhen. Da fehlt es an Kontrolle am Markt, an Zulassungsverfahren, aber auch an einem Register und einem Patientenverzeichnis."

    Bemängelt die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Carola Reimann. Die für das Gesetz zuständigen Minister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Daniel Bahr verteidigten den Gesetzesentwurf vehement, während die Opposition heftige Kritik übte. In seiner jetzigen Form, sagte SPD-Gesundheitsexpertin Marlies Volkmer, sei das Gesetz "ein Placebo."