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Kampf dem Kraftwerk

Mainz und Wiesbaden kämpfen gegen eine geplante gemeinsame Stadtwerkstochter. Der Streit um die Milliarden-Investition beschäftigt die Gerichte.

Von Anke Petermann |
    Ein Müllheizkraftwerk und ein modernes Gaskraftwerk recken ihre Schlote 40 Meter hoch in den Himmel. Rundherum ist ewige Baustelle auf der Ingelheimer Aue, der voll industrialisierten Rhein-Halbinsel zwischen Mainz und Wiesbaden. Straßen werden verlegt, Fundamente alter Gebäude zertrümmert. Von der Terrasse auf der sechsten Etage des Verwaltungsgebäudes lenkt KMW-Pressesprecher Michael Theurer den Blick nach unten auf eine Brache.

    "Das Kohle-Heizkraftwerk wird im Wesentlichen an dem Standort des früheren Kohlekraftwerks gebaut. Bis zum Jahr 2000 war ein Kohlekraftwerk in Betrieb, das sieht man ja hier unten, das alte Kohlekraftwerk wurde bis 2004 zurückgebaut, und an diesem Standort werden im Wesentlichen die großen Anlagen entstehen."

    Der Schornstein mit 150 und das Kesselhaus mit 110 Metern Höhe werden allerdings alles bisher Dagewesene übertreffen. Nicht mehr der Dom ist dann die Visitenkarte von Mainz, sorgen sich Gegner des Projekts, sondern ein überdimensioniertes Industriekraftwerk, das die Taunuskante überragt. Doch seit der ersten Teilgenehmigung und dem offiziellen Baubeginn im Mai ist noch nicht viel passiert.

    "Es gibt ja vom OVG die Aufforderung nach einem Baustopp, und was jetzt noch läuft sind vorbereitende Arbeiten. Wir haben aber zugesagt, dass wir keine Fakten schaffen; das heißt, mit dem Bau des Schornsteins direkt beginnen werden bis das Gericht seine Entscheidung getroffen hat."

    Mit dem vorläufigen Baustopp folgte das Oberverwaltungsgericht einem Eilantrag von Privatklägern, unterstützt vom "Bündnis kohlekraftwerksfreie Region Mainz-Wiesbaden". Die Bürgerinitiative "Kohlefreies Mainz" hat diese bunte Allianz begründet. Neben Parteien gehören ihm auch Rheingau-Winzer und Kirchen, Umweltverbände und Ärzte, die Städte Mainz, Wiesbaden, Eltville und der Rheingau-Taunus-Kreis an. Die Mainzer Bürgerinitiative bejubelt den aktuellen Baustopp als Erfolg des Bündnisses und will das Projekt so bald wie möglich endgültig beerdigen. "Wir gehen davon aus, dass das Kraftwerk juristisch nicht durchkommt", sagt Christoph Wirges als zweiter Vorsitzender.

    "Weil es zahlreiche Lücken in den Genehmigungsunterlagen gibt und weil sich die Rahmenbedingungen für Kraftwerksbauten dieser Art extrem verschärft haben. Das heißt, entweder wird es vor dem Verwaltungsgericht in Koblenz oder in Leipzig oder endgültig vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern."

    Drei Großdemonstrationen mit Tausenden von Menschen und der Ausgang der Mainzer Kommunalwahl im Juni geben dem Widerstand Auftrieb. Die SPD verlor, die Grünen fuhren einen grandiosen Erfolg ein. Dass die Genossen vor allem für ihre rückhaltlose Unterstützung fürs Kohlekraftwerk abgestraft wurden, räumen die meisten ein. Derzeit aber schweigt die SPD zum Thema. "Alle im Urlaub", so die lakonische Begründung des Fraktionsbüros. Die Christdemokraten, die dem Projekt Anfang 2007 noch mehrheitlich zustimmten, vollzogen derweil einen Meinungsschwenk, unter anderem, weil die Kosten für das Großkraftwerk mittlerweile um ein Drittel höher veranschlagt werden als ursprünglich von der KMW AG angekündigt. Gerd Schreiner, CDU-Landtagsabgeordneter und Stadtverordneter, stimmt in die Vorwürfe ein, die auch die Bürgerinitiative gegen die Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG erhebt.

    "Die Geschäftsleitung der KMW hat die Mitglieder des Mainzer Stadtrates bewusst falsch, lückenhaft und irreführend informiert, und zusätzlich haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Das heißt: Wir wurden über die wahren Kosten des Steinkohlekraftwerks getäuscht und haben auf falscher Grundlage entschieden, und gleichzeitig stellt sich die Wirtschaftlichkeit heute anders dar als noch vor drei Jahren. Deshalb hat die CDU sich mehrheitlich umentschieden. Die CDU als Anwalt der Bürger hat sich dafür entschieden, klüger zu werden."

    Größenwahnsinnig, mit viereinhalb Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr klimaschädigend und die Landschaft verschandelnd - so lassen sich die Bedenken des Bündnisses für eine kohlekraftwerksfreie Region auf den Punkt bringen. Dabei könnte doch die Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG doch einfach das moderne Gaskraftwerk über 2014 hinaus betreiben. Sie hat sich aber dagegen entschieden.

    "Weil es einfach keine wirtschaftlich sinnvollen Gas-Lieferverträge am Markt gibt","

    begründet KMW-Pressesprecher Theurer. Christoph Wirges von "Kohlefreies Mainz" widerspricht:

    ""Es ist einfach Propaganda zu sagen: 'Man bekommt kein Gas'. Man bekommt das Gas nicht zu so billigen Konditionen wie bisher - das stimmt. Aber auch der Brennstoffpreis für die Kohle steigt. Gaskraftwerke haben ja den Vorteil, dass sie flexibel rauf- und runtergefahren werden können, im Gegensatz zu den unflexiblen Grundlastkraftwerken, die mit Kohle oder Atom befeuert werden. Man kann in erneuerbare Energien gehen und kann die ausbauen und hat ein Gaskraftwerk, das man sparsam betreiben kann und was dann die Mittellast und die Spitzenlast bedient."

    Doch die Kraftwerke-Mainz-Wiesbaden AG will beim Strom offenbar in der Liga der vier großen Energiekonzerne mitspielen, und den betroffenen Städten ist es bislang nicht gelungen, das gemeinsame Tochterunternehmen der eigenen Stadtwerke zurückzupfeifen. Gerd Schreiner von der CDU:

    "Das ist ein großes Problem, dass die KMW macht, was sie will. Wir als Stadtrat können nicht länger zusehen, wie uns die Geschäftsleitung von den Stadtwerken wie von der KMW auf der Nase herumtanzt und prüfen deshalb eine Rekommunalisierung der Stadtwerke im ersten Schritt, mit dem Ziel, dass mit öffentlichem Geld getan wird, was die Öffentlichkeit will und nicht das, was irgendwelche Geschäftsführer wollen."

    Bürgschaften will der Stadtrat jedenfalls nicht locker machen. Und ohne, so glauben die Kraftwerksgegner, wird die KMW ohnehin keine Bank finden, mit der sie das Risiko-Projekt finanzieren kann.