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Kampf der Erinnerungen

Der spanische Dichter Federico García Lorca soll 1936 nicht aus politischen Gründen, sondern wegen Familienstreitigkeiten ermordet worden sein, behauptet ein spanischer Historiker. "FAZ"-Kulturkorrespondent Paul Ingendaay sieht darin den Versuch einer Reinwaschung der frühen Tage des faschistischen Franco-Regimes.

Paul Ingendaay im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 19.07.2011
    Stefan Koldehoff: Kriege produzieren Mythen. Und weil das Große, Grausame eines Krieges so ganz und gar unfassbar ist, konzentriert man sich gern auf die Details. Das ist beim Spanischen Bürgerkrieg nicht anders. Mit Paul Ingendaay, dem Kulturkorrespondenten der "FAZ" in Madrid, haben wir zum Beispiel schon über die Frage gesprochen, wo denn das berühmte Foto eines erschossenen Kämpfers von Robert Capa entstand und ob es nicht vielleicht doch eine Montage sein könnte. Nun geht es erneut um den ermordeten Dichter Federico García Lorca, der 1936 von Franco-Faschisten erschossen wurde. Ein Hobbyhistoriker - und das ist gar nicht despektierlich gemeint, denn gerade die lokalen Amateurforscher fördern oft Erstaunliches zutage -, ein Hobbyhistoriker also will neue Einzelheiten zum Tod des Poeten herausgefunden haben, dessen sterbliche Überreste ja immer noch nicht gefunden sind. - Herr Ingendaay: Was will er denn genau herausgefunden haben?

    Paul Ingendaay: Ja, Herr Koldehoff. Dieser Hobbyhistoriker, Miguel Caballero, bei Granada lebend und hervorgetreten durch mehrere Publikationen über García Lorca in der Vergangenheit schon, der hat in den Archiven gewühlt und ist einer Spur nachgegangen, die angeblich ein Rechter, ein Falangist in den 60er-Jahren gegeben habe, und er wartet auf mit Bildern der sechs Leute, die wirklich Lorca zur Todesstätte geführt haben sollen und auch abgedrückt haben sollen. Und das ist das eine, dass er die Bilder dieser Leute, also Militärs, Falangisten, zusammengewürfelte Schwadronen eigentlich, die das Töten besorgt haben in den ersten Tagen des Bürgerkriegs im Jahre '36, das ist das eine.

    Das andere sind die intellektuellen Urheber, wie es hier heißt, die Drahtzieher, und da sagt er, dass eigentlich es nicht politisch begründet gewesen sei, sondern alte Familienstreitigkeiten, die zurück ins 19. Jahrhundert reichen, alte Streitigkeiten und Neid und Missgunst hätten dazu geführt, dass Lorca sozusagen als Bauernopfer zu Tode gekommen sei.

    Koldehoff: Verharmlost man damit nicht den Mord an einem kritischen Denker, der zudem homosexuell war, was damals im faschistischen Spanien natürlich überhaupt nicht ging?

    Ingendaay: Ich glaube, dass da ein Teil dran ist an dem, was Sie mutmaßen, denn Lorcas Tod ist ja doch vielfältig interpretiert worden. Sowohl politisch, wie gesellschaftspolitisch, eben als Schwuler, wurde er ausdrücklich auch ermordet. Das heißt, die Schwulen haben einen Hass hervorgerufen in der jungen nationalistischen Bewegung, die wirklich belegt ist und die auch nicht abgestritten werden kann.

    Und das Dritte ist dann, wie hängen die Familiengeschichte und seine Rückkehr von Madrid nach Granada damit zusammen, dass er in die ersten Turbolenzen des frühen Bürgerkriegs dort geriet und dann eben auch erschossen wurde. Genau lässt sich das nicht mehr klären, weil hier sicherlich mehrere Faktoren eine Rolle spielen, aber wenn man einen Faktor begünstigt und privilegiert und sagt, die Linke habe Lorca bisher zu stark vereinnahmt, das sei doch eher gar nicht so politisch gemeint gewesen, wie der Autor behauptet, und aus Madrid habe es keinen Befehl zur Ermordung gegeben, dann ist das doch eher eine Reinwaschung der frühen Tage des Regimes und scheint mir eine klare politische Stoßrichtung zu haben.

    Koldehoff: Nun haben Sie gerade gesagt, Herr Caballero hat im Wesentlichen in Archiven recherchiert. Sind das denn neue Erkenntnisse, die er da vorträgt? Namen von Mitgliedern dieses Erschießungskommandos sind ja vorher durchaus schon bekannt gewesen.

    Ingendaay: Ja, das ist eben der Punkt. Eigentlich, ich habe vieles darüber gelesen und im Laufe der Jahre gehört, immer wieder auch neue Teiltheorien. Das heißt, die Namen kannte ich vorher. Das eine, was der Mann gemacht haben will, er sagt, er wisse jetzt den genauen Ort, den man vorher ja nicht genau gekannt hat, denn man hat ja gegraben, unlängst, und zwar vergeblich gegraben nach Lorcas Resten. Und so scheint mir aber, dass passend zum 75. Todestag des Dichters, der vorgestern war, jetzt eine neue Kleintheorie gezeigt wird.

    Was ich daran interessanter finde, ist eher, dass es einen Kampf der Erinnerungen gibt, wie das ein deutscher Historiker genannt hat. Kampf der Erinnerung heißt wirklich eine Reinterpretation des Bürgerkrieges und was wir davon zu halten haben anhand einer Symbolfigur wie Lorca. Wenn man den nämlich der Linken entreißt und seinem Hauptbiografen Ian Gibson, der klar auf der Seite der Linken steht, dann hat man schon mal einen kleinen, sage ich mal, eine politische Stoßrichtung gefunden, die etwas wegnimmt und auch das Regime besser aussehen lässt. Das scheint mir in diesen Tagen der Fall zu sein, bei der Veröffentlichung.

    Koldehoff: Nun hat Spanien im Moment ganz andere Probleme. Wie wird denn diese Debatte in der spanischen Öffentlichkeit aufgenommen? Wird sie überhaupt wahrgenommen?

    Ingendaay: Ja, sie ist wahrgenommen worden. Es ist erstaunlich bisher, dass ein, zwei große Blätter sich noch gar nicht geäußert haben, dass kleinere Blätter es aufnehmen. Was in diesen Fällen leider typisch ist, dass man den Autor zitiert, treu zitiert, wenn er seine Pressekonferenz gibt - das war vor Kurzem -, und dass man dann es einfach kommentarlos wiedergibt. Die historische Debatte müsste eigentlich jetzt kommen. Ian Gibson wird sich sicherlich äußern, aber das wird einfach wirklich ein Kampf um die Meinungsführerschaft oder, sagen wir, um die Deutungshoheit sein, wie das in solchen historischen Fällen üblich ist.

    Koldehoff: Und dann rufen wir wieder an. - Paul Ingendaay, vielen Dank nach Spanien.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.