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Kampf der Generationen

Rund 50 Bundestagsabgeordnete aus vier Parteien, fast alle unter 40 Jahre alt, wollen einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen und die so genannte Generationengerechtigkeit als Staatsziel aufnehmen. Hinter dem harmlos klingenden Begriff verbirgt sich ein handfester Streit über die Verteilung der Lasten zwischen Alt und Jung.

Von Philipp Krohn | 03.08.2005
    Auf dem Titel der Bild-Zeitung sah der Satz besonders schlimm aus: "Alte gebt den Löffel ab!" Neben den üblichen großen Lettern des Artikels war lächelnd ein Politiker Mitte 20 zu sehen: Jan Dittrich, bis dahin Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Ein junger Politiker wollte sich selbst zum Anwalt seiner Generation machen. Es gebe überdurchschnittlich viele Sozialhilfe-Empfänger im Jugendalter - und das zeige, die Alten lebten auf Kosten der Jungen, behauptete er. Viele brachte er damit gegen sich auf. Wie diese ältere Frau:

    " Der, der das gesagt hat, darf niemals alt werden. Oder er muss alt werden und darf nichts haben, dann weiß er, was alt sein heißt."

    Nicht zum ersten Mal hat sich ein Jungpolitiker auf seine Generation berufen und dabei unbeliebt gemacht. Schon im Sommer 2003 gerät Philipp Mißfelder von der Jungen Union ins Rampenlicht. Er wirft der Politik "Generationenverrat" vor. Wütend macht viele vor allem sein Vorschlag, Menschen über 85 eine Hüftoperation zu verweigern. So will er die Solidargemeinschaft entlasten. Schließlich seien die Leute früher auch auf Krücken gelaufen. Drohanrufe aufgebrachter Menschen sind die Folge. Politiker aller Parteien greifen den Nachwuchsmann harsch an.

    Die Diskussion über Generationengerechtigkeit geht seither munter weiter: In Kneipen und auf Straßen, in U-Bahnen und Cafés ereifern sich die Menschen lautstark darüber. In den Regalen der Buchhandlungen provozieren Titel wie "Die gierige Generation" oder "Der Kampf der Generationen". Viele Ältere haben inzwischen den Eindruck, die Jungen wollten ihnen etwas wegnehmen. Nun haben einige Bundestagsabgeordnete vor, die Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern. Das stößt nicht nur auf Verständnis:

    " Der Wohlstand, der jetzt hier von diesen jungen Politikern so verteidigt wird, ist ja von den Alten erarbeitet worden. Und die haben ja richtig die Überstunden gemacht und in der Regel, was war das - ich kann mich noch erinnern, ich bin jetzt 54 - noch eine 48-Stunden-Woche gehabt. Hier, ihr jungen Bundestagsabgeordneten: 48 Stunden. Jetzt habt ihr 38,5 und kommt mit der ganzen Arbeitsverteilung, mit der Knete nicht mehr zurecht. Also wer die Leistungen erbracht hat, der hat auch einen Anspruch, die Versicherung dann auszuschöpfen. Der hat ja auch gut eingezahlt."

    Daniel Bahr ist einer von vier Jung-Parlamentariern, die vor einigen Jahren einen Plan gefasst haben: Sie wollen die Generationengerechtigkeit als Staatsziel im Grundgesetz aufnehmen. Schon mit 19 Jahren wundert er sich. Auf seinem ersten Gehaltszettel sah er die hohen Sozialabgaben. Und er ärgerte sich, dass ihm selbst in der Zukunft nur wenig Leistungen zustehen werden. Mit 25 zieht er für die FDP in den Bundestag ein. Der Bundeshaushalt wird eines seiner Fachgebiete. Er sieht die hohen Schulden und denkt daran, dass die Jungen sie einmal zurückzahlen müssen - mit den Zinsen. Die Lasten sind ungleich verteilt zwischen Alt und Jung. Trotzdem will Bahr nicht spalten.

    " Was Philipp Mißfelder von der Jungen Union und Jan Dittrich von den Jungen Liberalen mit ihren Äußerungen gemacht haben, das war sowohl ein Denk- als auch ein Stilfehler. Ich möchte eben nicht, dass wir als Lösungskonzept fordern, den Alten soll etwas weggenommen werden. "Löffel abgeben" ist ein salopper Spruch, der bedeutet, sie sollen ihr Leben nicht mehr leben können. Eine künstliche Hüfte nicht mehr zur Verfügung stellen, bedeutet, ein menschenunwürdiges Leben - an Krücken gehen - zu vollziehen. Mir geht es darum, dass wir Politik Handschellen anlegen, dass Politik weiß, sie kann nicht mehr auf Kosten künftiger Generationen entscheiden."

    Gemeinsam mit 50 Bundestagsabgeordneten will Daniel Bahr einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Sie kommen aus vier Parteien und sind fast alle unter 40. Eigentlich sollte das noch in diesem Jahr passieren. Wegen der Neuwahlpläne haben sie ihr Vorhaben aber verschoben.

    Zwei Artikel des Grundgesetzes haben die Abgeordneten im Auge: Einen neuen Artikel 20b - dort wollen sie die Generationengerechtigkeit als Staatsziel aufnehmen. Und einen neuen Absatz des Artikels 109 - dort geht es um die Finanzen. In den Artikeln würde stehen, der Staat habe die Interessen künftiger Generationen zu schützen. Zwei Drittel der Abgeordneten müssen Bahr und seine Kollegen für sich gewinnen. Und hört man auf der Straße genau hin, verstehen Ältere durchaus die Jungen. Nur solle die Diskussion nicht so aufgeregt sein, sagen einige.

    " Wenn sich die Jugend und das Alter gegenseitig Brocken an den Kopf schmeißen, löst das das Problem ja nicht. Verstehen kann ich das, weil die jungen Leute, die merken ja, die müssen viel bezahlen. Und die wissen, dass sie von dem, was sie zahlen, nicht den Gegenwert herausbekommen. Der alten Generation - im Durchschnitt - geht's ja relativ gut. Nur, da kann ja weder die Jugend was dafür noch das Alter. Ich kann ja nichts dafür, dass ich relativ gute Rente kriege."

    Seit knapp 15 Jahren geistert der Begriff Generationengerechtigkeit in der Öffentlichkeit herum. So positiv er klingen mag, er drückt auch aus, dass die Lebensbedingungen für Alt und Jung unterschiedlich sind: Auf dem Arbeitsmarkt haben die Jungen nicht die gleichen Aussichten wie ihre Vorgänger. Vor allem geht es um eine Frage: wie behandelt der Sozialstaat die verschiedenen Altersgruppen? Ziel soll es sein, dass alle Gruppen gleich behandelt werden, fordern die Jungen.

    Der Freiburger Volkswirt Bernd Raffelhüschen errechnet seit Jahren so genannte Generationenbilanzen. Darin erkennt er, wie Junge und Alte vom Sozialstaat versorgt und belastet werden.

    " Die Generationenbilanz ist nichts anderes als eine Statistik. Die Statistik misst eigentlich, wie weit man weg ist vom Zustand der Nachhaltigkeit. Das ist, wenn alle gleichbehandelt sind, wenn das so weiter laufen kann wie bisher. Und in dem Zustand sind wir nicht. Wir können nicht bei so vielen Rentnern, Kranken, Pflegebedürftigen im Jahr 2030 mit den heutigen Beitragssätzen das heutige Beitragsniveau aufrecht erhalten. Dazu fehlen sowohl die Beitragszahler als auch sind da zu viele Rentner, Kranke, Pflegebedürftige im Jahr 2030. Also müssen wir was ändern."

    Raffelhüschen hat das Instrument der Generationenbilanzen entwickelt. Damit vergleicht er: was müssten zukünftige Generationen bezahlen, wenn sie später die gleichen Leistungen wollten wie heutige Empfänger - in Rente, Pflege oder Gesundheitsversorgung. Sie müssten deutlich mehr zahlen.

    " Na, der Hintergrund ist immer der Gleiche, nämlich schlichtweg ein demografischer. Also das sind nicht die Dinge, die jetzt heute und morgen und übermorgen passieren, sondern die Dinge, die in zehn, in fünfzehn, in zwanzig oder dreißig Jahren passieren. Die Demografie führt dazu, dass die ganz Jungen heute viel zahlen und ganz wenig bekommen und dass die heute Alten doch einigermaßen rentierlich herauskommen. Diejenigen, die so lauwarm gestellt werden - die Mittelalten - das sind diejenigen, die das Malheur eigentlich angestellt haben. Denn das sind diejenigen, die die Kinder nicht bekommen haben, die wir heute gebraucht hätten, um die soziale Schieflage oder die Chancengleichheit zwischen den Generationen weiter fortzutragen."

    Raffelhüschen erklärt das mit der demografischen Entwicklung: In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre gab es den so genannten Pillenknick. Die Geburtenrate sank damals sehr stark. Wer davor geboren wurde, tritt in den kommenden Jahren ins Rentenalter. Dann gibt es also weniger Beitragszahler, die die Bedürftigen versorgen.

    Das ist ein Problem, weil die soziale Sicherung über eine Umlage funktioniert. Die jetzt Erwerbstätigen zahlen in die Kassen ein. Und daraus werden die Älteren versorgt. Wer heute einzahlt, erhält das Recht, morgen etwas ausgezahlt zu bekommen. Damit das gelingt, müssen aber genug Jüngere da sein, die einzahlen. Dieses Umlagesystem reagiert sehr sensibel, wenn die Bevölkerungszahl schwankt. Schwierig wird es, wenn bald weniger Junge mehr Ältere versorgen müssen - die auch noch länger leben als die Menschen früher. Die Ungleichbehandlung sei unabsichtlich entstanden, wie ein Student betont:

    " Also gut, man kann natürlich argumentieren, dass die Alten zu wenig Kinder in die Welt gesetzt haben. Deswegen haben wir unter anderem das Problem, dass weniger Leute mehr für die Rentner erwirtschaften müssen. Aber das ist natürlich schwierig, das den Rentnern anzulasten. Man kann ja jetzt nicht sagen, ihr bekommt alle weniger, weil ihr insgesamt weniger Kinder bekommen habt."

    Ökonom Raffelhüschen korrigiert diesen Eindruck. Die jetzt Älteren hätten für genug Nachwuchs gesorgt. Ganz anders aber die jetzt 30- bis 50-Jährigen. Dennoch will Raffelhüschen diese Generation nicht pauschal verurteilen. Beispielsweise fordert er, der Staat solle Familien stärker unterstützen als bisher. Jungen Erwachsenen könnte es so leichter fallen, sich für Nachwuchs zu entscheiden. Die jetzt 30- bis 50-Jährigen müssten allerdings eines lernen: sie könnten später nicht wo viel Rente bekommen wie ihre Eltern, meint Raffelhüschen.

    FDP-Nachwuchsmann Daniel Bahr hat schon genau datiert, wann die Krise richtig losgehen wird:

    " Ab dem Jahre 2020 wird es für uns kritisch, weil dann die Baby-Boomer-Generation - also die geburtenstarken Jahrgänge von während der Zeit nach dem Krieg bis Mitte der Sechziger Jahre anfangen, in die Rente zu gehen. Und das wird bis zum Jahr 2050 andauern. Dann sind die großen Probleme, wo wir also unheimlich steigende Zahlen von Älteren haben und wenig junge Nachkommen in Arbeit, weshalb unsere sozialen Sicherungssysteme dann so nicht mehr finanzierbar sind."

    Daniel Bahr und seine Kollegen werden in ihren Plänen auch von einigen älteren Abgeordneten unterstützt. Der SPD-Politiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker ist Mitte Sechzig. Er teilt mit den Jungen das Ziel, die Lasten gerechter zu verteilen.

    " Ich sehe das Thema Generationengerechtigkeit nicht als ein Privileg der Jungen an. Und ich finde das eigentlich ein ganz gutes Symbol, dass das ein generationenübergreifender Antrag wird - dadurch dass ich da mitmache und vielleicht noch andere. Ich möchte ja, dass man Generationengerechtigkeit stärkt, damit der latente Konflikt zwischen Jungen und Alten sich nicht aufheizt."

    Damit wird der Antrag von Daniel Bahr und seinen Altersgenossen fraktions- und sogar generationsübergreifend sein. Doch von den Jungen sind nicht alle auf der Seite der Initiatoren.

    In Florian Pronold hat Bahr einen Widersacher. Und der ist auch erst 32 Jahre alt.

    " Meine Feststellung ist, wenn ich mir den Bereich Rente anschaue - ich komme aus Niederbayern, dort ist Altersarmut sehr groß, es gibt sehr viele arme Rentnerinnen vor allem, und es gibt auch wenige reiche Rentner - , wenn ich an die Universität schaue, dann stelle ich fest, dass dort sehr wenige Jüngere sind, die aus armen Schichten, aus Arbeiterschichten studieren und viele aus dem Mittelstand oder drüber kommen. Also bei beiden Generationen, bei Jung und Alt, gibt es Ungerechtigkeit. Das ist keine Ungerechtigkeit, die sich zwischen den Generationen bewegt."

    Pronold meint, die geplanten Grundgesetzänderungen führten zu einem schlanken Staat: Einem Staat, der sich aus der Versorgung zurückziehe und sie privaten Versicherungsunternehmen überlasse. Pronold ist dagegen, dass die Bürger künftig sämtliche Risiken selber tragen müssen. Dabei ist es für viele Junge inzwischen fast schon selbstverständlich, sich selber um die Altersvorsorge zu kümmern.

    " Ja, meine Schalterbeamtin bei der Deutschen Bank belabert mich schon die ganze Zeit, dass ich mich um meine Altersvorsorge kümmern soll."

    Pronolds SPD-Kollege Ernst-Ulrich von Weizsäcker steht auch in dieser Frage auf der Seite Daniel Bahrs. Er ist sicher: die umlagefinanzierte Rente ist durch den demografischen Wandel in die Krise geraten. Deshalb will er sie durch eine Kapitaldeckung ergänzen.

    " Eine Kapitaldeckung heißt, dass man Geld auf die hohe Kante legt. Das kann privatwirtschaftlich gemacht werden, das kann staatlich gemacht werden. Das ist alles möglich. Ich verstehe sehr gut, wenn Freunde wie Florian Pronold Besorgnis haben vor dem gigantischen Privatisierungstrend, der unsere Welt erfasst hat. Demgegenüber kann man sagen, das alte Bismarcksche Rentensystem war selbstverständlich kapitalgedeckt - aber staatlich. Die Behauptung, wegen Kapitaldeckung müsse das ganze System privatisiert werden, ist absolut albern."

    Daniel Bahr und die anderen Initiatoren sehen das auch so: Wie die Politiker die Rente der Zukunft gestalten werden, sei noch offen - nur müssten sie dabei mehr an die künftigen Generationen denken.

    Und dasselbe müsse insbesondere für die Haushaltspolitiker gelten. Schuldenmachen soll schwerer werden - Bahr und seinen Mitstreitern reicht die EU-Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht. Viele junge Leute sehen den Schuldenberg als Sünde der Vergangenheit, wie dieser Student:

    " Verschuldungspolitik ist da ganz sicher ein Problem. Also diese Siebziger-Jahre-Politik find ich auch von meinem Studium her - aus der Wirtschaftswissenschaft - etwas zweifelhaft. Aber das war das, was man damals im Prinzip für richtig gehalten hat. Und es war damals auch nicht Ziel der Aktion, zukünftige Generationen zu schädigen."

    Der FDP-Politiker Daniel Bahr erlebt immer wieder, was die Schulden bedeuten. Er denkt darüber nach, welche Politik für die zukünftigen Generationen gut sein könnte. Aber meist ist für so eine Politik nicht genug Geld da.

    " Immer wenn Sie sich beschäftigt haben mit Haushalt, also mit finanzwirksamen Dingen. Wenn wir zum Beispiel versucht haben, mehr Geld für Bildung locker zu machen und wir zugleich festgestellt haben: Wir haben zu wenig Geld, wir machen im Gegenteil sogar immer mehr Schulden. Und das bedeutet, dass wir durch immer mehr Zinszahlungen für diese Schulden, dann wieder in der Folgewirkung weniger Geld haben, um sie für Bildung auszugeben. Das ist ein Teufelskreis. Und das hat mich motiviert zu versuchen, aus diesem Teufelskreis herauszukommen."

    Auch der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen sieht die Staatsverschuldung sehr kritisch. Er findet, sie verstärke die Generationen-Ungerechtigkeit noch.

    " Jede Form von Defizit ist schädlich für zukünftige Generationen, denn jede Form von Defizit heißt, dass ich eine Hypothek zu Lasten künftiger Generationen aufbaue."

    Und im Staatsdefizit seien verdeckte Schulden gar nicht erfasst. Das sind die Schulden, die erst in der Zukunft entstehen, wenn die dann Älteren das einfordern, was sie mal in die Kassen eingezahlt haben. Der FDP-Abgeordnete Bahr kritisiert, dass alle Parteien früher zu großzügig mit Geld umgegangen sind. Deshalb sei jetzt und morgen zu wenig da, um die Gesellschaft zu gestalten.

    " In den fünfziger Jahren wurden im gesamten Bundeshaushalt 20 Prozent ausgegeben für vorhandene Schulden und Sozialpolitik. Und heute geben wir für Zinsen für vorhandene Schulden und soziale Maßnahmen gut 60 Prozent des Bundeshaushaltes aus. Das heißt, es bleibt immer weniger Spielraum für Bildungsgausgaben, Investitionen in Infrastruktur und andere Bereiche. Und da aus dieser Schere müssen wir eigentlich herauskommen."

    Ernst-Ulrich von Weizsäcker ergänzt, demokratische Staaten neigten grundsätzlich dazu, Schulden zu machen. Politiker würden dazu verführt, zukünftige Generationen zu vergessen. Denn gewählt werden sie von heutigen Wählern - und die freuen sich, wenn der Staat seine Leistungen ausbaut. Auch dies ein Grund, die Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern.

    " Es besteht immer eine gewisse Gefahr in der Demokratie, dass vor den Wahlen Sachen versprochen werden, die später dem Staat teuer zu stehen kommen. Jeder umwirbt gerne konsumierende Schichten: alte und junge. Und es kann sein, dass aus dieser Mechanik der demokratischen Wahl eine Benachteiligung zukünftiger Generationen entsteht. Das ist kein deutsches Phänomen, sondern das ist überall auf der Welt so, wo man Demokratie hat. Da hat man eine gewisse Tendenz, die heutigen Wähler sehr zu honorieren und zu umwerben und die Wähler in 50 Jahren eher zu ignorieren."

    Kritiker des Vorhabens um den SPD-Abgeordneten Florian Pronold widersprechen dieser Sicht. Einige Staaten hätten ihre Finanzen saniert, gerade indem sie hohe Schulden gemacht hätten. Die USA, Großbritannien oder die Niederlande hatten Anfang der neunziger Jahre hohe Defizite eingefahren: Viel höher als das, was beim Stabilitätspakt gilt. Gerade dadurch hätten sie dann aber wieder Haushaltsüberschüsse hinbekommen. Pronold meint, dass eine Grundgesetzänderung die Politiker entmachtet.


    " Und wenn man es nun ins Grundgesetz schreibt und vor allem in den Artikel 109 der Finanzverfassung, dann bedeutet das, dass Richter darüber entscheiden, was Generationengerechtigkeit bedeutet - wenn der Staat verschuldet ist, darf er denn dann noch Investitionen machen in Bildung, in Forschung, die auch wichtig wären für die zukünftigen Generationen. Aber gleichzeitig bedeutet ja immer auch eine Verschuldung Lasten im Sinne von Zinsen, die die nächsten Generationen auch tragen müssen. Und deswegen würde ein Begriff Generationengerechtigkeit gerade in der Finanzverfassung halt bedeuten, dass Richter darüber entscheiden, was Politik machen darf und was nicht. Und das halte ich für verkehrt."

    Das sieht auch der Münchner Staatsrechtler Rupert Scholz so. Er saß lange Jahre für die CDU im Bundestag und war auch ein Jahr lang Verteidigungsminister. Der Rechtsexperte lehnt es ab, politische Konflikte in der Verfassung zu regeln. Es sei Aufgabe des Parlaments, solche Auseinandersetzungen zu lösen. Allzu oft stehle sich die Politik heute aus dieser Verantwortung.

    " Es gibt eine Tendenz dazu, immer wenn man glaubt, eine politische Notwendigkeit erkannt zu haben, meint man immer, es müsse in die Verfassung hinein geschrieben werden. Wenn eine Verfassung aber zu konkret politisch wird, also überfrachtet wird mit politischen Zielen - dann ist eine Verfassung keine Verfassung mehr. Dann ist sie keine Rahmenordnung mehr, dann ist sie - einmal etwas salopp formuliert: ein Regierungsprogramm. Eine Verfassung, die aber ein Regierungsprogramm darstellt, bedeutet zum einen Entmündigung des Parlaments, und die Verfassung würde zu momentan werden. Eine Verfassung, die zu situationsbezogen ist, die veraltet sehr schnell."

    Scholz befürchtet, dass die Politiker zu viel Macht an das Verfassungsgericht abgeben würden.

    " Eine Verfassung ist eine Rahmenordnung, die die Grundwerte eines Gemeinwesens festlegt: Demokratie, Grundrechte der Bürger, auch soziale Gerechtigkeit. Aber wenn man jetzt ein Politikziel generationengerechter Politik in die Verfassung hineinschriebe, würde man die Verfassung überfordern. Die Verfassung kann keine konkreten Antworten geben, die kann nur der Gesetzgeber geben."

    Daniel Bahr hält mit seinen Kollegen trotz der Kritik an seinem Ziel fest. Verfassungsrichter sollten ruhig Konfliktfälle entscheiden. Für den FDP-Nachwuchsmann zählt nur eines: Die Politiker sollten gezwungen werden, sich stärker an Generationengerechtigkeit zu orientieren. Da ist er sich mit seinen jungen Kollegen einig. Mehr Gemeinsamkeiten aber sieht er nicht.

    " Ich glaube nicht, dass es gelingt, dass junge Abgeordnete aus allen Fraktionen ein gemeinsames Rentenmodell vorstellen oder einen gemeinsamen Bundeshaushalt aufstellen, sondern es geht nur darum, dass wir sagen, die Politik muss verpflichtet werden, generationengerechter, nachhaltiger zu arbeiten, zu entscheiden und zu denken. Wir sagen nur, wenn wir so weiter leben, dass wir über Schulden Politik machen wollen, dann werden wir uns auch diesen Sozialstaat nicht mehr leisten - egal, ob es dann ein liberaler Sozialstaat, ein grüner Sozialstaat, ein sozialdemokratischer Sozialstaat oder ein konservativer Sozialstaat ist."
    Daniel Bahr, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen
    Daniel Bahr, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (Deutscher Bundestag)
    Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz (CDU)
    Rupert Scholz, Staatsrechtler (Deutscher Bundestag)