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Kampf der Kulturen

Vor zwölf Jahren hat der amerikanische Historiker Samuel Huntington die These vom "Kampf der Kulturen" geprägt. Seitdem ist sie längst hinterfragt, mancher meint, ad absurdum geführt. Der Schriftsteller Ilija Trojanow und der indische Kulturkritiker Ranjit Hoskoté haben jetzt einen Gegenentwurf formuliert. In eine ähnliche Richtung weisen auch die anderen beiden Neuerscheinungen, die Thilo Kößler vorstellt.

11.02.2008
    Es hilft nichts - an der These Huntingtons wird sich reiben müssen, wer ihr widersprechen möchte. Da ist das Autorenpaar Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté. Der eine ein Schrift-steller, dessen Eltern aus Bulgarien flohen und ihn in Afrika großzogen. Der andere Kulturkritiker aus Indien. Beide zusammen haben ihre ureigenen Erfahrungen im Umgang mit dem Fremden.

    "Kampfabsage" ist der programmatische Titel ihres Buches, und ihre zentrale These ist bereits dem Untertitel zu entnehmen: "Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen", heißt es da. Zitat:

    "Zivilisationen sind erstaunliche Mischformen: Sie waren nie reine, in sich geschlossene Einheiten. Historisch gesehen entwickelten sie sich durch Austausch und Synthese, durch die Begegnung verschiedener Rassen, Religionen und Philosophien. Haltbarer als die These vom Kampf der Kulturen ist die Sichtweise, dass die Fronten quer durch unsere Gesellschaften und nicht zwischen Kulturkreisen und Nationalstaaten verlaufen."

    Tatsächlich gibt es im irakischen Bürgerkrieg keinen Konflikt zwischen Christen und Muslimen - die Gräben verlaufen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft, zwischen Schiiten und Sunniten, ohne dass dieser Konflikt originär religiöse Wurzeln hätte. Er hat vor allem politische und gesellschaftliche Ursachen. Zwar sei der historische Prozess des Zusammenfließens von Kulturen stets ein Faktor des gesellschaftlichen Fortschritts gewesen. Und doch war er nie von Harmonie und konfliktfreier Verständigung geprägt. Voraussetzung für den Zusammenfluss von Kulturen sind die Mobilität von Menschen, Ideen und Gütern und die Existenz kultureller Schnittstellen wie das Mittelmeer oder Treffpunkte wie Andalusien: Die muslimische Herrschaft in El Andalus nach der islamischen Expansion zwischen dem achten und dem elften Jahrhundert sind für die Autoren das Paradebeispiel für die Friedfertigkeit des Islam und das tolerante Miteinander der Kulturen. Dabei verschweigen sie, dass die islamischen Eroberer niemals Zweifel darüber aufkommen ließen, wer Herr und wer Knecht im europäischen Haus des Islam war: Juden und Christen hatten lediglich den Status von Dhimmis, von Schutzbefohlenen also. Die arabische Blütezeit hatte ihre unbestrittenen Verdienste - und doch war El Andalus nicht nur ein Hort der Gelehrsamkeit und des Respekts vor dem griechisch-römischen Erbe.

    Ebenso wenig zählen heute die Gedanken aufklärerischer Freigeister wie Ibn Rushd und Al Kindi. Was heute den Diskurs bestimmt, ist das Credo terroristischer Vordenker wie Osama bin Laden. Über deren Hintergründe und Motive erfährt man bei Trojanow und Hoskoté jedoch nicht viel. Hier bleiben die Autoren ihren Lesern allzu viele Antworten schuldig.

    Anders Amartya Sen. Der gebürtige Inder, Harvard-Professor und Nobelpreisträger für Ökonomie konstatiert in seinem Buch "Die Identitätsfalle" eine gefährliche Politisierung der Religionen. Sei es bei den amerikanischen Evangelikalen, sei es bei den jüdischen Extremisten oder bei den militanten Mitgliedern der Hindutva-Bewegung oder eben in der islamischen Welt: Die Konfrontation im Namen des Islam habe rapide zugenommen, schreibt Sen und liefert eine brillante Analyse des Weltbilds militanter Islamisten – die conclusio:

    "Wer sein Leben dafür hingibt, den Westen zu schwächen und markante Gebäude, die im Westen von praktischer oder symbolischer Bedeutung sind, in die Luft zu sprengen, ist in einer Weise vom Westen besessen, dass alle sonstigen Prioritäten verdrängt werden."

    An den Feindbildern hat der Westen seinen Anteil, betont Sen. Er beteilige sich aktiv daran, individuelle Rechte und Freiheiten in anderen Ländern zu untergraben, sei es in Nahost oder in Afrika. So habe der Terror der Al Qaida seine inhumane Entsprechung in Abu Ghraib: Auch hier gehe es um das Bewusstsein einer überlegenen Identität.

    Was folgt daraus? Sen, der als Elfjähriger verfolgte, wie ein aufgebrachter Hindu-Mob in seinem Heimatdorf einen Muslim auf dem Weg zur Arbeit totschlug, will einen Weg aus der Identitätsfalle weisen. Für ihn ist sie die Wurzel allen Übels im Umgang der Kulturen. Sein Buch ist eine Streitschrift gegen die Fixierung des Menschen auf eine einzige Identität – zumeist seine religiös verstandene Kultur. Pointiert formuliert er: Identität kann töten.

    "Unser gemeinsames Menschsein wird brutal in Frage gestellt, wenn man die vielfältigen Teilungen in der Welt auf ein einziges, angeblich dominierendes Klassifikationsschema reduziert, sei es der Religion, der Gemeinschaft, der Kultur, der Nation, der Zivilisation – ein Schema, dem in Sachen Krieg und Frieden jeweils einzigartige Wirkung zugeschrieben wird. Die Aufteilung der Welt nach einem einzigen Kriterium stiftet weit mehr Unfrieden als das Universum der pluralen und mannigfaltigen Kategorien."

    Aus der Feststellung, dass Menschen nicht nur auf eine, sondern auf vielfache Weise verschieden sind und sich eben nicht nur auf eine Identität reduzieren lassen, zieht Sen diesen Schluss:

    "Die Chancen auf Frieden in der heutigen Welt könnten sehr wohl davon abhängen, dass wir die Pluralität unserer Zugehörigkeiten erkennen und anerkennen und dass wir als gemeinsame Bewohner einer großen Welt von der Vernunft Gebrauch machen, statt uns gegenseitig unverrückbar in enge Schubladen zu stecken. Vor allem müssen wir klar erkennen, wie wichtig die Freiheit ist, die wir bei der Bestimmung unserer Prioritäten haben können."

    Bleibt Kwame Anthony Appiah. "Denkt daran, dass ihr Bürger der Welt seid" – diese letzten Worte des Vaters wurden ihm und seinen Geschwistern als kosmopolitisches Vermächtnis mit auf den Weg gegeben. Ein kosmopolitisches Leben führte die Familie in Afrika. Der Vater war Mitglied der königlichen Familie des Asante-Volkes und Unabhängigkeitspolitiker in Ghana, die Mutter eine englische Kinderbuchautorin.

    Um den Begriff des Kosmopolitismus gruppiert der Philosophie-Professor aus Ghana, der heute an der Universität Princeton unterrichtet, alle seine Gedanken über den Umgang mit den kulturellen Verwerfungen. Er begreift ihn nicht als Lösung, sondern als Herausforderung:

    "Im Begriff des Kosmopolitismus sind zwei Stränge miteinander verwoben. Der eine ist der Gedanke, dass wir Pflichten gegenüber anderen Menschen haben, die über die Blutsverwandtschaft und selbst über die eher formalen Bande einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft hinausgehen. Der zweite Strang ist die Vorstellung, dass wir nicht nur den Wert menschlichen Lebens schlechthin, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müssen. Der Kosmopolit weiß: Die Menschen sind verschieden, und wir können aus diesen Unterschieden viel lernen."

    Dieser kosmopolitischen Idee haftet etwas Idealistisches an. Bei so vielen Gräben, die spätestens mit dem 11. September aufgerissen wurden, fällt es schwer, Brücken zu schlagen. Appiah plädiert für den Diskurs, für das Gespräch zwischen den Kulturen.

    "Nicht Prinzipien, sondern praktische Handlungen befähigen uns, in Frieden zusammenzuleben. Gespräche über die Grenzen der nationalen, religiösen oder sonstigen Identität hinweg beginnen mit jenem fantasievollen Sich-Einlassen, das wir erleben, wenn wir einen Roman lesen oder einen Film ansehen oder ein Kunstwerk betrachten, das von einem anderen Standort aus als unserem eigenen zu uns spricht. Deshalb benutze ich den Ausdruck ‚Gespräch’ nicht nur im buchstäblichen Sinn von Konversation, sondern auch als Metapher für das Bemühen, sich auf die Erfahrungen und Ideen anderer Menschen einzulassen."

    Nicht einem Maximalismus umfassender Aufklärung redet Appiah das Wort, sondern einem Minimalismus der alltäglichen Begegnung. Man müsse sich nicht immer einig sein, meint der Philosoph aus Princeton. Die Erwartung an einen umfassenden Konsens im Wertedisput hält er für völlig überzogen. Wie in einem Steinbruch klopft der Denker das argumentative Geröll, das dem interkulturellen Dialog im Wege liegt, so lange klein, bis es sich einigermaßen beschwerdefrei damit klarkommen lässt. Die großen Schlagworte werden auf ein alltagstaugliches Format gebracht. Kulturelle Differenzen und Wertediskurs? Ja doch, aber nicht nur und nicht immer und nicht überall.

    Allerdings muss auch Appiah eingestehen, dass es Menschen gibt, die den anderen dominieren, beherrschen und im Zweifel vernichten wollen. Wenn kein Argument mehr weiterhilft und die Bereitschaft zum Gespräch ins Leere geht, tut sich auch der Kosmopolit schwer. "Gespräche, die über Grenzen hinweg geführt werden, können ein Genuss oder eine Qual sein", schreibt Appiah. Aber eines seien sie ganz gewiss: unvermeidlich.

    Das könnte vermutlich auch Samuel Huntington unterschreiben. Der umstrittene Historiker, der längst von seiner Formel vom Kampf der Kulturen abgerückt ist, formulierte ähnlich schlicht: Die Zivilisationen müssen lernen, miteinander zu leben.


    Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté: Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen
    Karl Blessing Verlag, München
    240 Seiten, 17,95 Euro

    Amartya Sen: Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt
    C.H. Beck, München
    200 Seiten, 19,90 Euro

    Kwame Anthony Appiah: Der Kosmopolit
    C.H. Beck, München
    222 Seiten, 19,90 Euro