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Kampf der Männlichkeit

"Ich fühlte mich fast ein wenig vergewaltigt von diesen Texten." Das sagt der Autor Philip Maroldt über den Schriftsteller Juan Carlos Onetti (1909 - 1994), dessen Romane sich vor allem durch eine eindringliche, substantivische Sprache mit starken, männlichen Akzenten auszeichnen.

Von Thomas David | 22.06.2010
    "Diese Frau ist eine Frau, auch wenn sie nicht so aussieht. Donnerstag ist Tochtertag, Samstag macht den Kopf frei für die große Sonntagsliebe, die bevorsteht. Die Liebe hat immer ein Gesicht, das groß und schön ist, das sie nicht verliert. In seinem Kopf hat die Liebe viele Sätze, einer schöner als der andre, das muss wahre Größe sein, dass man so etwas sagen kann, als Mann."

    Eine Frau und ein Mann – eine Frau namens Gracia und der schwere Mann mit dem "hängenden Witwergesicht", der sich Sonntags mit ihr trifft und Gracias zerbrechlichen Mädchenkörper fast unter sich begräbt. "Alles", sagt er, "absolut alles kann uns geschehen, und wir werden immer glücklich sein und uns lieben."

    In ihrer Kurzgeschichte "Das so gefürchtete Inferno" zitiert die 1983 geborene Autorin Gerhild Steinbuch den zentralen Satz aus Juan Carlos Onettis gleichnamiger, 1957 erschienener Erzählung und unterwirft ihn einer Betrachtung, die sich der männlichen Perspektive der Vorlage zunehmend widersetzt.

    "Die Liebe kommt, wenn man sie nicht erwartet, die Liebe kommt bloß, wenn man nichts erwartet. Die Frau, die er als seine auserwählt, oh du schöner Sonntag!, hat vorerst eine falsche Liebe im Gesicht, sie lächelt von einem Plakat, von der Mauer, die aussieht, wie’s in ihr aussieht, was keinem auffällt. Gut so."

    Steinbuchs Geschichte, in der der namenlose Mann die Schauspielerin Gracia zuerst auf einem Theaterplakat sieht, bevor er "ihren Bühnenkörper" allabendlich im Theater bewundert und sie schließlich kennenlernt, ist eine der drei Cover-Versionen, die der von Moritz Malsch und Katharina Deloglu im Verlag des jungen Berliner Literaturhauses Lettrétage herausgegebenen Bandes "Covering Onetti" neben Onettis Erzählung stellt und zusammen mit drei weiteren Erzählungen des uruguayischen Schriftstellers und ihren insgesamt elf Covergeschichten präsentiert. Nora Bossong lässt sich von "Dasein", Onettis melancholischer Story über einen Mann, der einen Privatdetektiv mit der Beschattung einer Frau beauftragt, von der er weiß, dass sie im Gefängnis sitzt, zu einer Variation über Sehnsucht und Selbsttäuschung inspirieren. Jörg Albrecht inszeniert den Selbstmord, jenen "exhibitionistischen Jux", zu dem ein Mann in Onettis 1986 veröffentlichter Erzählung "Montaigne" seine besten Freunde einlädt, vor den Webcams unserer digitalen Gegenwart.

    Gegenwart, ein Zoom ins Jetzt des 21. Jahrhunderts, das Update, mit dem Philip Maroldt in seiner Story "P" die Vorlage bis ins Berlin des Jahres 2010 transponiert: die Kurzgeschichten dieser zwischen 1966 und 1985 geborenen Generation deutschsprachiger Autoren – Martina Kieninger bis Luise Boege – zeugen schließlich auch von der ungebrochenen Aktualität des 1909 in Montevideo geborenen Onetti, der neben Borges als bedeutendster Klassiker der lateinamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gelten darf und im deutschen Sprachraum sechzehn Jahre nach seinem Tod dennoch in Vergessenheit zu geraten droht.

    "Autoren wie Gabriel García Márquez oder Carlos Fuentes, die sich in der literarischen Tradition Onettis sehen, bezeichnen seinen Bücher aufgrund der ihnen innewohnenden Innovationskraft als "Fundament der lateinamerikanischen Moderne"",

    so Thomas Klupp im Vorwort zu "Covering Onetti".

    "Onetti war der erste moderne spanischsprachige Romancier",

    führt Mario Vargas Llosa in seiner im vergangenen Jahr bei Suhrkamp erschienenen Huldigung aus:

    "Der Erste, der mit den mittlerweile ausgeschöpften Techniken des naturalistischen Realismus brach, mit dessen Sentimentalität, Manierismus und Schauerromantik, der Erste, der eine ganz eigene Sprache entwickelte, für die er den Leuten auf der Straße auf den Mund schaute, eine aktuelle und funktionale Sprache, die nicht die für die volkstümelnde Literatur so typische Kluft zwischen unmittelbarem Leben und einem schwülstigen, gestelzten Stil aufwies, sondern die für ihre Geschichten auf Avantgardetechniken wie den inneren Monolog, Ellipsen, Zeitsprünge zurückgriff."

    Nicht immer jedoch, so Philip Maroldt, sei eine ungeteilte Bewunderung für Onettis Werk Ausgangspunkt für die im Auftrag der Lettrétage entstandenen Texte gewesen.

    "Interessiert hat mich – ich würde erstmal sagen, ich spitze es ruhig mal zu und sage das, was mich abgestoßen hat, weil Onetti eben schon eine sehr kristalline Sprache hat. Er formuliert gern so substantivisch, das wird einem auch so reingehauen und sitzt dann perfekt, dieser Satz. Und das war manchmal was, was mir weniger absolut als absolutistisch vorkam, und ich fühlte mich fast ein wenig vergewaltigt von diesen Texten und hatte eben das Gefühl, das sie bei aller Ambivalenz der Weltsicht, die sie in sich tragen, mir trotzdem sowas aufoktroyieren, was auch immer das genau ist, und deshalb hatte ich erstmal das Bedürfnis gehabt, einen Gegen-Onetti zu schreiben. Das war eigentlich der Ansatz für mich, und das aufzubrechen und eine ganz andere Diktion auch zu finden."

    In "P" erzählt Maroldt Onettis Story "Das so gefürchtete Inferno" als Geschichte einer Selbstaufgabe, in deren Verlauf sich Maroldts von seiner Freundin verlassener Erzähler allmählich im Zustand der Lethargie einrichtet und zugleich in die historische Topografie seiner Heimatstadt Berlin verstrickt. Maroldt konterkariert den Jargon einer selbstquälerischen E-Mail, in der sich sein Protagonist detailreich eine Liebesszene zwischen seiner Exfreundin und ihrem neuen Geliebten ausmalt, mit der nüchternen Betrachtung der Berliner Flaktürme, die dieser nicht nur von Onettis Vorlage, sondern auch von Dantes "Inferno" inspirierter Story einen faszinierenden Schauplatz bieten – den Schauplatz, am Ende sogar, für die sich anbahnende Erlösung des Erzählers, mit der Maroldt den sich in Onettis Geschichte ankündigenden Selbstmord der Hauptfigur abwendet.

    "Also bei Onetti bringen sich ja ständig Menschen um, und das ging mir irgendwann ziemlich auf die Nerven. Die zweite Gegenposition war eigentlich die, dass ich mich gewehrt habe gegen ein Männlichkeitsbild, was eigentlich negativ ist, aber trotzdem so seltsam vor Virilität strotzt, und das fand ich komisch. Nichts desto trotz ist das alles so unglaublich männlich – man riecht immer so einen Männerschweiß, finde ich, und das ist einfach eine Welt, aus der ich nicht komme, und deshalb wollte ich eine ganz andere Welt erschaffen."

    "Bei Onetti ist es ja so, dass der Fokus ganz stark auf dem Mann steht, auch in der Sprache. Die Sprache ist sehr männlich, finde ich. Und der Unterschied bei mir ist eben, dass es aus der Perspektive der Frau funktioniert."

    Anders als bei Onetti ist die weibliche Hauptfigur in Gerhild Steinbuchs Geschichte nicht nur Abbild männlicher Phantasien. Anders als in Philip Maroldts Coverversion derselben Story existiert sie bei Steinbuch nicht nur in der Erinnerung und Imagination des Erzählers, sondern erlangt eine Präsenz, die das in Onettis Geschichte abgebildete Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern brutal entlarvt und die verführerische, von Onettis Protagonisten unreflektiert verwendete patriarchale Machtsprache Lügen straft. "Absolut alles kann uns geschehen, und wir werden immer glücklich sein und uns lieben": Worin besteht für Gerhild Steinbuch das "so gefürchtete Inferno", das Onetti im Titel seiner Erzählung benennt?

    "Für mich war es der andere Mensch. Was muss das für eine Person sein, zu der man so einen Satz sagt? Das was er zu ihr sagt, "wir werden immer glücklich sein, egal, was uns passiert". Da muss eine unheimliche Angst auch vor dem anderen dahinterstecken, wenn ich so einen Satz sagen muss und eine Reaktion haben will. Und die Angst muss vor etwas großem sein – und deshalb ist das Inferno für mich die andere Person."

    Moritz Malsch und Katharina Deloglu (Hrsg.): "Covering Onetti", Verlag Lettrétage 2009. 213 S., 19,50 Euro