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"Kampf des Negers und der Hunde" von Bernard-Marie Koltès an der Berliner Volksbühne

Bernard-Marie Koltès, der 1989 mit 41 Jahren an Aids gestorbene französische Dramatiker, der auch ein Reisender war, kommt der Volksbühne mit ihrem Anti-Globalisierungs-Unterstützungs-Programm gerade recht. Seine Stücke, so heißt es, kündigten seismographisch eine sich durch Terror und Globalisierung abrupt verändernde Welt an. Für Koltès stand bereits 1983 fest: "Afrika ist überall." Koltès' "Kampf des Negers und der Hunde" soll jetzt also als Vorläufer von Michael Moores "Stupid White Men" gelesen werden, und zwar in einer Inszenierung durch Dimiter Gotscheff. Er war schon bei Benno Besson und Heiner Müller Assistent, ist jetzt aber mit seiner ersten Nach-Wende-Arbeit an der Volksbühne zu sehen.



    Koltès schrieb mit dem "Kampf des Negers und der Hunde" Anfang der 80er Jahre ein Stück über die Angst des weißen Mannes. Über dessen Angst vor der diffusen Bedrohung durch Menschen und Situationen in einem fremden Erdteil, hinter der die größere vor den Bedingungen einer undurchschaubaren und unbeeinflussbaren Arbeitssituation steckt. In der Binnenschau von vier Personen, die ihre Identitäten auf einer stillgelegten Baustelle in Westafrika suchen, verbergen sich bereits die Konflikte einer globalisierten Welt. Als der Regisseur Dimiter Gotscheff das Stück 1988 in Köln inszenierte, sah er in der Figur des Negers noch ein Sehnsuchtsobjekt der Weißen und inszenierte eine realistisch-magische Geschichte vom Kampf der Kolonisatoren gegen den unverbildeten, geheimnisvollen Afrikaner. Seine neue Inszenierung an der Berliner Volksbühne untersucht die Bilder, die wir uns vom Fremden machen, und sie betrachtet die Zerstörungen, die die Globalisierung an einem Kontinent und in den Menschen anrichtet.

    Koltès schrieb ein psychologisch-realistisches Stück, das von Patrice Chéreaus Inszenierung an, mit der dieser 1983 sein Theater in Nanterre eröffnete, vor allem als ein atmosphärisch-ideologischer Thriller über die Bühnen ging. Gotscheff dagegen versucht nicht Realität zu imitieren, sondern unsere Vorstellungen von Figuren und Situationen als vom Theater gemachte auszustellen. Zwar zirpen die Grillen zu Beginn, doch auf die bis auf den schneeweißen Bühnengrund aufgerissene, leere Bühne rieseln während der gesamten Aufführung bunte Papierfetzen. So wird die Exotik des Sujets nur mehr zitiert, und der Darsteller des Negers Aboury ist ein Weißer, der sich mit einer Shownummer einführt. Der famose Schauspieler Samuel Finzi tritt dazu an eines drei an der Bühnenrampe stehenden Mikrofone, die während der gesamten Aufführung dazu dienen, die Monologe der Figuren als Ansprachen ans Publikum zu schicken, und erzählt die Geschichte von der Kälte, die nur durch das gegenseitige Wärmen der Brüder verscheucht werden könne. Diese Parabel aus der Mitte des Stückes wird hier an den Anfang gesetzt, weil sie mit coolem Hi- und Hallo-Gehabe, mit schriller Gestikulation und anschließendem afrikanischem Gesang zugleich Theaterpose wie Begründung für das Anliegen des Negers ist, den Leichnam eines getöteten Bruders von den Weißen heraus zu fordern. Die Figuren in dieser Inszenierung sind gemachte und gedachte: der weiße Darsteller zieht sich für die Rolle des Negers seine schwarze Perücke auf der Bühne an und färbt sich später auch das Gesicht schwarz, der in sich zerrissene weiße Ingenieur Horn (der grüblerisch aggressive Wolfram Koch) zieht sich zur Begrüßung seiner aus Paris kommenden Frau ein Baströckchen an und tanzt mit ihr durch die Landschaft, und der unentwegt Kaugummi kauende Milan Peschel gibt den zweiten, grob direkten Weißen mit so viel lässiger Gemeinheit, dass diese Figurenleerstelle des Stückes plötzlich ungemein plastisch wird. Gotscheff inszeniert reines Schauspielertheater aus dem Geiste der Worte: es gibt kaum Handlung, keine Aktion, keine szenisch weiter ausgeführten Haltungen. Sondern vor allem isolierte, ausgestellte Monologe. Wodurch jede Figur ihre eigene, wenn auch unklare, suchende Individualität bekommt. Selbst die sonst so blasse Rolle der aus Paris kommenden Léone, sonst nur Projektionsfläche der Männer, bekommt hier in der nervös-überreizten Darstellung der virtuosen Almut Zilcher ein kräftiges Eigenleben. Manchmal laufen die Darsteller auf einem Mittelsteg quer durch den Zuschauerraum, meist aber gehen sie das Publikum monologisch frontal an.

    Die Aufführung verlangt den hellwachen Zuschauer. Weil Afrika nur eine Metapher ist, und weil ihre Sinnlichkeit im sprachlichen Detail liegt. Und weil die schon im Titel zitierte Schwarz-Weiß-Zeichnung (der Neger ist der Weiße, also der Gute, und die wirklichen Weißen sind die bösen, die Hunde) zwar nicht gänzlich aufgegeben, aber doch vor allem in ihren Bedingungen untersucht wird. Und weil die komplexen Monologe, in denen sich zerrissene Identitäten offenbaren, nicht in eine bei Koltès eigentlich beschriebene spannende und bedrohliche Situation des gegenseitigen Belauerns eingebettet sind. Die Rudimente der Krimihandlung in dieser Inszenierung erkennt nur der, der das Stück kennt. Gotscheff kürzt und ändert viel an Koltès Stück: selbst am Schluss, der beim Autor mit der Erschießung des einen schuldigen Weißen endet. In der Volksbühne tritt ein weißer Chor auf (das Ensemble der Volksbühnenjugend) und sucht den Neger mit brüllendem "Hau ab" aus seiner eigenen Region endgültig zu vertreiben. So hat eine faszinierende Inszenierung über das, was Menschen aneinander anrichten und was Menschen mit der Globalisierung passiert, ihren analytisch einleuchtenden Schluss gefunden.