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Kampf für die Meinungsfreiheit

Fünf Jahre sind vergangen, als in Belgrad aufgebrachte Massen demonstrierten und den ehemaligen kommunistischen Staatspräsidenten der Republik Jugoslawien, Slobodan Milosevic, aus dem Amt fegten. Seitdem ist der Weg Serbiens hin zur Demokratie holprig: Der erste Präsident nach dem Umstruz, Zoran Djindic, wurde Opfer eines Mordanschlages. In der derzeitigen Minderheitsregierung sitzen auch Vertreter der Sozialistischen Partei, der Beobachter nachsagen, nach wie vor mit dem Milosevic-Clan verbandelt zu sein. Presse- und Meinungsfreiheit sind zwar gesetzlich garantiert. Doch Journalisten stoßen dann an die Grenzen dieser verbrieften Rechte, wenn sie unangenehme Fragen stellen. Dann kann es brenzlig werden, wie das Beispiel des unabhängingen privaten Fernsehsenders B92 in Belgrad zeigt.

Von Thomas Wagner | 26.11.2005
    Hauptnachrichtenzeit bei B92, dem privaten und uanbhängigen Fernsehsender aus Belgrad.

    Der zukünftige Status des Kosovo ist wieder mal beherrschendes Thema. B92 - das ist zwar ein privater Fernsehsender. Doch die 300 Mitarbeiter des Medienunternehmens, das neben einem Hörfunkprogramm auch noch eine Fernsehproduktion umfasst, halten selbst die meisten Anteile an dem Unternehmen. Viele von ihnen sind engagierte Journalisten, die den Finger in offene Wunden legen. Und damit sind sie bei der Regierung in Belgrad in Ungnade gefallen.

    " Der Minister hat uns übelst beschimpft. Wir seien alle krank, geistig umnachtet, hat er gesagt, und das sogar auch noch auf einer Pressekonferenz. Für unser ganzes Team von B92 solle man, sagt der Minister, eine geschlossene Anstalt einrichten, irgendwo in den serbischen Bergen, wo wir kein Unheil mehr anrichten können. Wir seien doch die letzten Idioten. "

    Ana Velkovic, Reporterin bei B92, erinnert sich nur zu gut an jene Schimpftiraden, die sie über sich ergehen lassen musste, als sie eine Pressekonferenz des serbischen Ministers für Kapitalanlagen, Velimir Ilic, besuchte. Die Frage, die sie dort stellte, war dem Minister nicht eben angenehm. Ob es richtig sei, dass Ilic höchstselbst Einfluss genommen habe, damit der Haftbefehl gegen Milosevic-Sohn Marko aufgehoben wird? Markoo Milosevic war tatsächlich erst wegen Morddrohungen und Mordversuch per internationalem Haftbefehl gesucht worden. Dann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, stellten die zuständigen Gerichte in Belgrad das Verfahren gegen ihn ein. B92 Journalisten wollen herausbekommen haben, dass Minister Ilic dabei seine Hände im Spiel gehabt haben soll. Die Nachfrage bei ihm brachte nichts als wüste Beschimpfungen ein - und sogar eine Morddrohung gegen den Direktor von B92. Das ist kein Einzelfall. Ana Veljkovic:

    " Denken Sie an unsere Berichterstattung über die Kriegsverbrechen im Bosnien- und im Kosovo-Krieg. B92 ist der einzige Sender, der regelmäßig aufdeckt, was die Serben an Gräueltaten begangen haben - und das als serbischer Sender. Und das Ergebnis? Wir bekommen regelmäßig Bombendrohungen. Offenbar hat irgendjemand Probleme damit, dass so etwas ans Tageslicht kommt. "

    Zuweilen kann es für Journalisten in Serbien noch brenzliger werden:

    " Da geht es um die beiden Journalisten Slavko Curuvia und Milan Pantic. Sie wurden skrupellos ermordet, damals, vor fünf Jahren. Bis heute ist deswegen niemand verhaftet worden. Deshalb, glaube ich, kann man doch nicht von Medien- und Meinungsfreiheit reden. "

    Regierungs- und Behördenvertreter weigern sich häufig, zu kritischen Journalistenfragen Stellung zu beziehen. Man bekomme sie gar nicht erst ans Telefon, wenn es um unangenehme Themen gehe, sagt Anja Velkjkovic. Sie besucht deshalb häufig Pressekonferenzen zu ganz banalen Themen, um ihre unbequemen Fragen zu stellen. Doch auch dort hagelt es statt Antworten Schimpftiraden, wie das jüngste Beispiel belegt, das der Sender sogar gefilmt hat. Freilich muss auch Anja Velkjovic zugeben: In Sachen Meinungsfreiheit habe sich seit der Milosevic-Ära enorm viel verbessert. Nur klaffen zwischen der gesetzlichen garantierten Medienfreiheit und den Alltagserfahrungen, die die Journalisten machen, Welten. Dazwischen stehen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Meinungsfreiheit auszulegen ist. Zu viel davon ist ungesund, glaubt Milovan Bozinovic, ehemaliger serbischer Botschafter in Berlin und nun Sprecher des Außenministeriums von Serbien-Montenegro:

    " Wir haben eine Verschmutzung der öffentlichen Sphäre. Und wir haben sehr viel Missbrauch der Pressefreiheit, Anschuldigungen und so weiter, auch Verleumdungen. Und wichtige Prozesse für die serbische Gesellschaft, wie zum Beispiel die Abklärung des Falles Djindic und so weiter, sind belastet und vielleicht absichtlich verlangsamt durch die Ansammlung solcher ausgedachten Wahrheiten und so weiter."

    Im Gespräch ist derzeit ein neues serbisches Mediengesetz. Das beinhaltet unter anderem eine Verschärfung der Lizenzbedingungen vor allem für private Radio- und Fernsehsender. Lokale Behörden sollen zukünftig über eine Lizenzverlängerung, aber auch über einen möglichen Lizenzentzug entscheiden. Das Team von B92 ficht das nicht an, ebenso wenig wie alle Drohungen der vergangenen Monate und Jahre. Ana Veljkovic:

    " B92 lässt sich nicht einschüchtern. Wir stellen unsere unbequemen Fragen weiter. Und wenn man uns die Antworten verweigert - wir bleiben weiter am Ball. "