Archiv


Kampf gegen Demokratieabbau

Die Liquidierung des tschetschenischen Rebellenchefs Schamil Bassajew kam dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wenige Tage vor dem G8-Gipfel in St. Petersburg zupass: So konnte er einmal mehr auf die Bedrohung durch den tschetschenischen Terror aufmerksam machen. Doch mit dem Kampf gegen den Terror gingen ein massiver Demokratieabbau und eine schleichende Erosion der Bürgerrechte einher, klagen Menschenrechtsorganisationen. Eine von ihnen heißt "Bürgerlicher Beistand" und wird geleitet von Svetlana Gannuschkina. Irina Samveli hat sie getroffen.

    Hinter ihren dicken Brillengläsern wirken ihre Augen doppelt groß. Aufmerksam mustert sie ihre Gesprächspartner und wie durch eine Lupe blickt sie auch auf die Rechtssituation in Russland. Svetlana Gannuschkina ist Mitte 50. Ihre Kleidung ist schlicht: ein grauer Rock, eine Bluse im strengen Stil, so wie es sich zum offiziellen Besuch gehört. Äußerlichkeiten bedeuten ihr nichts. Seit über 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Menschenrechten. Sie ist zu Gast an der Freien Universität Berlin, eine viel gefragte Persönlichkeit.

    Svetlana Gannuschkina ist davon überzeugt, dass Russland während des G8-Gipfeltreffens alles daran setzen wird, das Thema Menschenrechte auszuklammern. Daher fordert sie den Westen auf, Russland darauf anzusprechen.

    "Vom Westen erwarten wir, dass er den Werten, die er über Jahrhunderte hinweg geschaffen hat, treu bleibt. Leider sehen wir im Moment einen Rücktritt von diesen Werten. Wir erwarten von den Politikern der G8 und des Westens, dass sie zu den Ereignissen in Russland, und vor allem in Tschetschenien, eine klare und deutliche Stellung beziehen."

    Svetlana Gannuschkina ist die Leiterin der Menschenrechtsorganisation "Bürgerlicher Beistand", die den Kriegsflüchtlingen hilft. Ihrer Meinung zufolge finden die größten Menschenrechtsverstöße nach wie vor in Tschetschenien statt.

    "Wenn das Fernsehen über Tschetschenien berichtet, wird zum Beispiel eine Hauptstraße gezeigt, und man sieht nichts als renovierte Häuser. Aber wenn sie selbst nach Tschetschenien fahren und dort stehen, in die Höfe schauen, so erkennen sie, dass nur die Fassaden dieser Häuser restauriert worden sind, wie patjomkinsche Dörfer. Dabei sehen viele Orte schrecklich aus, liegen in Ruinen und sind voller Menschenknochen. Es gibt weiterhin hohe Gefahr für Leib und Leben."

    Russland ist 1996 Mitglied des Europarats geworden - ohne jedoch die Standards dieser Organisation schon zu erfüllen. Durch die Aufnahme erhofften sich die Europäischen Politiker seinerzeit eine Beschleunigung der Demokratisierung und Etablierung der Menschenrechte im Lande.

    Nach zwei Jahren ratifizierte Russland die Europäische Menschenrechtskonvention, und verschaffte den russischen Bürgern damit das Recht, sich direkt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. Wenn Russland in wenigen Tagen die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrieländer in St. Petersburg zu Gast hat, hat es bereits seit Monatsbeginn den Vorsitz des Europarates inne.

    Nach Ansicht der meisten Menschenrechtler wird damit der Bock zum Gärtner gemacht. Sie hören nicht auf, auf die Mängel der russischen Demokratie aufmerksam zu machen.

    "Vielleicht waren wir tatsächlich einmal auf dem Weg zur Demokratie, aber wir sind davon abgewichen, und bewegen uns in eine andere Richtung, wenn nicht gar zurück."

    So die Menschenrechtlerin Gannuschkina. Das Problem mit den tschetschenischen Flüchtlingen sei immer noch nicht gelöst, ganz zu schweigen von der Todesstrafe, die schon längst aus dem Gesetz gestrichen sein müsste. Zudem gäbe es weder ein unabhängiges Gerichtssystem noch wirklich freie Medien. Wie die Presse, haben auch die Nichtregierungsorganisationen mit immer größeren Einschränkungen zu kämpfen, seitdem das neue Gesetz über die NGOs in Kraft getreten ist.

    "Es ist ein abscheuliches Gesetz, das nicht verbessert werden kann. Das Gesetz schafft für uns schlimme Bedingungen. Wir werden tonnenweise Papier ausfüllen müssen, was uns von unserer wesentlichen Arbeit ablenken wird. Was aber noch schlimmer ist, ist dass sich kleine Organisationen auflösen werden, weil sie es sich nicht leisten können, einen Rechtsanwalt mit dem Ausfüllen der vielen Papiere zu beauftragen."