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Kampf gegen den Artenschwund
Globale Wissenslücken erschweren den Erhalt der Biodiversität

Um die Artenvielfalt auf der Erde erhalten zu können, müssen die Forscher noch viel mehr über den Zustand der Ökosysteme wissen. Das gelte besonders für die Tropen, sagte Professor Henrique Pereira von der Universität Halle im DLF. Denn gerade dort wandelten sich die Ökosysteme am schnellsten.

Henrique Pereira im Gespräch mit Ralf Krauter | 06.07.2016
    Regenwald im "Serra dos Orgaos"-National Park in Brasilien
    Brasilien konnte Abholzung des Regenwalds verlangsamen. (imago / Mint pictures)
    Ralf Krauter: GEO-BON, das ist der Name einer internationale Organisation mit Hauptsitz in Deutschland, die sich zum Ziel gesetzt hat, weltweit Daten zu sammeln, die verraten, wie es um die Biodiversität auf unserem Planeten bestellt ist. Bei einer Konferenz, bei der GEO-BON in dieser Woche nach Leipzig geladen hat, diskutieren Experten gerade darüber, welche Daten wirklich Aufschluss über den Zustand der Ökosysteme geben und wie man am besten an die rankommt. Mit dem Vorsitzenden von GEO-BON, dem Portugiesen Professor Henrique Pereira von der Universität Halle, habe ich vorhin telefoniert und ihn gefragt, wie groß sind die Wissenslücken bei der globalen Artenvielfalt?
    Henrique Pereira: Wir wissen eine Menge darüber, wo die Biodiversität am größten ist, aber wir wissen wenig darüber, wie sie sich verändert. Besonders über die Biodiversitäts-Hotspots in den Tropen, brauchen wir mehr Informationen, denn dort wandeln sich die Ökosysteme am schnellsten. Das Abholzen von Regenwäldern, die Einwanderung exotischer Arten, die Verschmutzung der Umwelt - viele der Regionen, wo diese Faktoren die Ökosysteme belasten, befinden sich in den Tropen, wo die Artenvielfalt besonders groß ist. Und wir wissen sehr wenig darüber, wie Arten und Populationen von Tieren und Pflanzen aktuell auf diese Veränderungen reagieren.
    Krauter: Warum ist es so wichtig, diese Wissenslücken zu schließen? Braucht man dieses Wissen, um die Ziele der UN-Konvention zum Erhalt der Biodiversität zu erreichen?
    Pereira: Genau. Nachdem die für 2010 angestrebten Ziele der UN-Biodiversitäts-Konvention verfehlt worden sind, wurden für 2020 neue Zielvorgaben gemacht. Die Unterzeichner der Konvention verpflichten sich unter anderem, den Artenschwund bis 2020 zu stoppen. Dieses Ziel wird aber nur zu erreichen sein, wenn wir Informationen darüber bekommen, wie genau sich die Artenvielfalt in den globalen Biodiversitäts-Hotspots verändert und wie wir sie effektiv schützen können.
    Krauter: Will heißen: Nur wenn man genau weiß, was vor sich geht, kann man Schutzmaßnahmen ergreifen, die wirklich was bringen?
    Pereira: Ja, ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Kollege der University of Maryland hat hier auf der Konferenz in seinem Vortrag gezeigt, welche Fortschritte Brasilien in den vergangenen 15 Jahren erzielt hat. Wegen illegaler Abholzung hatte Brasilien nach der Jahrtausendwende einen rasanten Verlust an tropischem Regenwald zu verzeichnen – mit dramatischen Folgen für die biologische Vielfalt im Amazonasgebiet. Doch eine Kombination von Satellitendaten, die den Behörden verraten, wo gerade Bäume gefällt werden, und schnellen Polizeitrupps, die strafbare Aktivitäten sofort stoppen, hat den Kahlschlags in Brasiliens Regenwäldern merklich verlangsamt. Der Zugang zu Echtzeit-Informationen, die aktuelle Veränderungen sichtbar machen, war der Schlüssel zum Erfolg.
    Krauter: Satellitendaten helfen, rasch einen Überblick zu bekommen, wo gerade Regenwald gerodet wird. Aber woher weiß man, wie es um die Biodiversität in einer Region bestellt ist? Gibt’s bestimmte Tiere oder Pflanzen, die da Aufschluss geben?
    Pereira: Um die Artenvielfalt zu erfassen, schauen wir uns spezielle Indikatoren an, die sogenannten "Essentiellen Biodiversitätsvariablen". Das sind die Messwerte, die wir überwachen müssen, um die Artenvielfalt zu schützen. Im Fall der Ozeane zum Beispiel, haben sich die Fachleute darauf geeinigt, dass es sinnvoll ist, die Populationen der großen Raubtiere zu überwachen, die ganz oben in der Nahrungskette stehen, also Wale und Haifische etwa. Wenn deren Population in einem bestimmten Meeresgebiet schrumpft, ist das ein Indiz, dass es dort Probleme mit Überfischung gibt oder mit der Wasserverschmutzung. Wenn man das weiß, kann man gezielte Maßnahmen ergreifen, um diese Probleme in den Griff zu bekommen.
    Krauter: Gibt es solche Monitoring-Programme schon? Oder starten die jetzt erst?
    Pereira: Einige laufen schon. Und um einen umfassenden Überblick über die globale Artenvielfalt zu bekommen, nutzen wir natürlich alle verfügbaren Daten der bereits laufenden Monitoring-Programme. Wir bräuchten aber dringend mehr davon. Wie gesagt: Gerade dort, wo sich die Umwelt am schnellsten verändert, haben wir am wenigsten Informationen. Und Satellitendaten allein helfen leider oft nicht weiter. Meist braucht es zusätzliche Messungen am Boden. Wir brauchen mehr Wissenschaftler und forschende Bürger, die ihre Umgebung beobachten und sich für den Artenschutz engagieren.
    Krauter: Wie schwer ist es, dieses ‚Bodenpersonal‘ in Entwicklungsländern zu rekrutieren?
    Pereira: Die Arbeit in Entwicklungsländern birgt spezifische Herausforderungen. Aber selbst in den Industrienationen, etwa in Europa, haben längst noch nicht alle Länder gut funktionierende Netzwerke zur Überwachung der Artenvielfalt. In Entwicklungsländern ist es besonders schwierig, Citizen-Science-Projekte durchzuführen, bei denen tausende Beobachter berichten, wie sich die Biodiversität in ihrem Umfeld verändert. Forschende Bürger sind in Entwicklungsländern immer noch viel seltener als in Industriestaaten. Das erweist sich als Hürde bei der Ausweitung der Beobachtungsprogramme. Wir haben zwar große Fortschritte bei der Ausbildung von Wissenschaftlern gemacht, die Zahl der Taxonomen und Ökologen in Entwicklungsländern ist stark gewachsen. Doch wir haben noch einen weiten Weg vor uns, um das Interesse der breiten Bevölkerung zu wecken und ihr Bewusstsein für die Problematik des Artenschwundes zu schärfen.
    Krauter: Wie gut ist Deutschland aufgestellt, beim Bestreben, Biodiversitätsforscher mit immer besseren Daten zu versorgen?
    Pereira: Deutschland hat wichtige Fortschritte gemacht und auf diesem Gebiet sogar eine Führungsrolle übernommen. Seit zwei Jahren ist Deutschland Sitz des von der UNO ins Leben gerufenen Weltbiodiversitätsrates, der das vorhandene Wissen bündelt und für Entscheider in aller Welt bereitstellt. Deutschland ist auch Sitz von GEO-BON, der internationalen Organisation, die Daten zur globalen Biodiversität sammelt und zusammenführt und deren Hauptsitz am Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv in Leipzig angesiedelt ist. Außerdem gibt es zahlreiche Aktivitäten, um alle für den Artenschutz relevanten Informationen aus nationalen Museen und Forschungsinstituten in einer einzigen Datenbank zu bündeln. Deutschland spielt eine führende Rolle in diesem Bereich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.