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Kampf gegen den IS
Jitse Akse - Mörder oder Held?

Jitse Akse hat mehrere IS-Kämpfer getötet – auf eigene Faust. Nach Ansicht vieler niederländischer Landsleute verdient er deshalb mindestens eine Auszeichnung. Nicht aber nach Ansicht der Justiz: Die hat den ehemaligen Elitesoldaten in Arnhem festgenommen. Seitdem formiert sich vor allem in sozialen Netzwerken ein Sturm der Entrüstung. Der Kontakt zu den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, an deren Seite er in den Kampf gegen die Dschihadisten zog, sagt Akse, sei über Deutschland zustande gekommen.

Von Kathrin Baumhöfer | 18.01.2016
    Zwei Mitglieder der kurdischen YPG-Truppen blicken auf den Sonnenuntergang beim Grenzübergang Tel Abyad in Nord-Syrien.
    Jitse Akse hat sich nach eigenen Angaben kurdischen YPG-Kämpfern angeschlossen. (picture alliance / dpa / Sedat Suna)
    Wie viele Menschen er genau erschossen hat, will der 47-Jährige nicht sagen. Mehr als zwei seien es gewesen, sagt er dem "Leeuwaarder Courant" aus seiner Heimat Friesland. Und weiter? Lieber nicht: "Die Justiz liest mit." Der ehemalige Soldat ist vorsichtig geworden seit seiner Festnahme am vergangenen Mittwoch, obwohl er sich seit Freitag – unter Auflagen – wieder auf freiem Fuß befindet. Den Pass musste er abgeben, damit er nicht gleich wieder Richtung Irak oder Syrien reist. Außerdem hat er die Pflicht, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Auf seiner Facebook-Seite ist für Nicht-Eingeweihte wenig zu sehen: Das Titelbild zeigt die kurdische Flagge, die Sonne in der Mitte hat er durch ein Abzeichen mit der Aufschrift "The Dutch Falcon of Rojava" ersetzt. "Rojava" bezeichnet im Sprachgebrauch kurdischer Organisationen die Siedlungsgebiete im Norden Syriens.
    Vor Kurzem noch war das anders, denn Akse selbst hat durch seine Facebook-Einträge den Stein ins Rollen gebracht. Auf seiner Seite war von seinem Kampf gegen den IS zu lesen. Er habe sich der kurdischen YPG angeschlossen, hieß es dort. Außerdem gab er niederländischen Medien mehrere Interviews. Dem "Leeuwaarder Courant" erzählte Akse über die Tage in den kurdischen Gebieten im Norden Syriens: von der Hitze, die selbst nachts nicht nachließ, von der Einsamkeit, die durch Sprachprobleme verstärkt wurde, und vom Essen, das selten mehr als Brot, Reis und Bohnen war. In der "Volkskrant" sprach er über seine Beweggründe, im vergangenen Jahr "auf gut Glück" abzureisen.
    Kontakt zu kurdischen Kämpfern lief über Deutschland
    Die Belagerung der syrischen Stadt Kobane durch IS-Kämpfer sei der Anlass gewesen, der für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagt Akse. Über Facebook habe er dann Kontakt zu kurdischen Kämpfern gesucht – und über eine Frau aus Deutschland auch gefunden: "Ich sollte ihr meinen Lebenslauf schicken", sagt er dem Fernsehsender RTL. Danach sei alles ganz schnell gegangen.
    Die Gründe dafür legt der Lebenslauf des ehemaligen Elitesoldaten nahe: Mit 17 Jahren wurde Akse Mitglied des niederländischen Militärs – wie zuvor sein Vater und sein Onkel. Er diente in einer speziellen mobilen Einheit der Luftwaffe, dann als Angehöriger des niederländischen Kontingents der UNO-Schutztruppen im ehemaligen Jugoslawien. Bis 2003 war er bei der Marine in Den Helder beschäftigt, bis sein Job den dortigen Sparmaßnahmen zum Opfer fiel. Danach Sicherheitsdienst – und die Sehnsucht nach früher: "Mir fehlte der Kick."
    Unter den kurdischen Kämpfern fällt er wegen seiner Professionalität schnell auf. Einen Tag lang Schießübungen mit einer russischen Waffe, danach direkt an die Front, in den Kampf gegen die Islamisten. Akse ist erschüttert über die schlechte Ausstattung und beeindruckt vom Kampfeswillen der Kurden. Von seinen Mitstreitern bekommt er auch den Spitznamen, der heute seine Facebookseite schmückt.
    Auch in seiner Heimat hat er viele Bewunderer. Eine Online-Petition zu seiner Unterstützung zählt am dritten Tag ihres Bestehens bereits mehr als 50.000 Unterstützer. Die Facebook-Gruppe "Justice for Jitse" verzeichnet mehr als 20.000 "Gefällt mir"-Angaben. Auf Twitter macht das Schlagwort #justiceforjitse die Runde. Seine Unterstützer nennen ihn einen Helden, fordern ein Denkmal, wenigstens aber einen Orden.
    Manche nehmen auch Bezug auf eine Äußerung des niederländischen Premiers Mark Rutte, die ihrer Ansicht nach das Vorgehen des ehemaligen Soldaten deckt. Der hatte im November als Reaktion auf die Anschläge in Paris erklärt, die Niederlande befänden sich im Krieg gegen die Terrororganisation 'Islamischer Staat'.
    Die niederländische Justiz könnte den 47-Jährigen für Morde belangen, die er möglicherweise in Syrien begangen hat. Im Unterschied etwa zum System der USA liegt das Gewaltmonopol bei der dortigen Regierung, Ausnahmen gibt es selten, und wenn, dann in Fällen von Notwehr oder höherer Gewalt. Das niederländische Rechtssystem geht also davon aus, dass Bürger des Landes nicht einfach so an bewaffneten Kämpfen teilnehmen dürfen – und zwar auch dann, wenn das Land selbst sich an einem solchen Konflikt beteiligt.
    Dass es tatsächlich zu einem Urteil gegen Jitse Akse kommt, halten Strafrechtler allerdings für unwahrscheinlich: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verweisen mehrere Experten darauf, dass die – ohnehin auf Facebook und in einem TV-Interview getroffenen - Aussagen, er habe IS-Kämpfer getötet, zu allgemein formuliert seien. So sei nichts über die näheren Umstände der Geschehnisse bekannt. Die einzige Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, genügend Beweismaterial gegen Akse zu sammeln, sei ein Geständnis. Zudem seien Ermittlungen am Ort des mutmaßlichen Geschehens notwendig, fügt Akses Anwältin hinzu – und das sei im syrischen im Kriegsgebiet eher wenig wahrscheinlich.