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Kampf gegen die eigene Ausbeutung

In Südafrika sorgen 3000 streikende Minenarbeiter täglich für Schlagzeilen. Sie kämpfen gegen ihre menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Vor drei Wochen eskalierte ihr Streik, die Polizei tötete 44 Menschen. Seither kämpfen die Bergwerker der Platinmine Lonmin umso entschlossener.

Von Dagmar Wittek | 01.09.2012
    Seit drei Wochen versammeln sie sich hier auf einem staubigen Acker am Rand einer der zig Wellblechhüttensiedlung von Marikana, rund 2 Stunden nordwestlich von Johannesburg. Plastiktüten fliegen durch die Luft, räudige Hunde suchen in Bergen an Müll nach Fressbarem, es riecht nach Kloake. Die Stimmung unter den Bergarbeitern ist aufgeheizt, gewaltbereit und wütend:

    "Schau dir das nur an. Hier leben wir: in Wellblechhütten. So kann es doch nicht bleiben. Wir sind schließlich diejenigen, die hart arbeiten und den Reichtum des Landes zu Tage fördern. Und dann schmücken sich die Unternehmen wie Lonmin in ihren schicken Broschüren mit tollen Sozialmaßnahmen, die Armut bekämpfen. Dabei leben wir immer noch in diesen Hütten. Südafrikas Wirtschaft ist von uns abhängig, wir arbeiten hart - aber wir können uns kein ordentliches Leben leisten, deshalb gehen wir auf die Barrikaden und schreien auf."

    Eine Arbeiterin, die unter Tage Belüftungsschächte baut und Entwässerungsrohre verlegt erklärt, sie komme hinten und vorne nicht über die Runden:

    "Wenn ich zum Supermarkt gehe, kaufe ich auf Pump und zahle in Raten ab. Ich habe ein Baby, das kostet Geld. Ich muss 6 Leute, die alle nicht arbeiten, von meinen 4000 Rand durchbringen: Meine Eltern, mich, mein Baby und meine zwei jüngeren Geschwister, für die ich auch Schulgebühren aufbringen muss. Es ist einfach zu wenig, es ist schlimm."

    400 Euro, das ist der Durchschnittslohn, den ungelernte Bergwerker nach Abzug von Steuer und minimaler Krankenversicherung nach Hause tragen.

    Zuhause, das ist für die meisten der 28 000 Minenarbeiter hier, eine windschiefe, selbstzusammengezimmerte Wellblechhütte von etwa 5 Quadratmetern - aufgestellt nur wenige Hundert Meter von den Schächten und Schmelzöfen der Platinmine von Marikana:

    "Wir haben nicht immer Wasser. Hier aus dem Hahn ist seit Wochen nichts mehr rausgekommen und Strom haben wir sowieso nicht. Wir zapfen die Leitung da oben an."

    Wasser holt der 33-jährige Mkhululeni mit Kanistern aus einem dreckigen Bachlauf. Er ist seit 3 Jahren hier und teilt eine Hütte mit seinem jüngeren Bruder, die er für 50 Euro mietet. Alles was er erübrigen kann schickt er nach Hause ins südafrikanische Ostkap, denn dort sind seine Frau, Mutter sowie 6 Kinder:

    "Meine Familie im Ostkap lebt in Rundhütten, ich würde ihnen gerne ein richtiges Haus bauen. Außerdem hätte ich gerne ein Auto."

    Der junge Mann hustet. Er ist dürr und offensichtlich nicht in guter gesundheitlicher Verfassung. Alkohol, Vergewaltigungen, Aids und Umweltverschmutzung sind Probleme, die mit dem Bergbau einhergehen, klagt Chris Molebatsi von der Nichtregierungsorganisation Marikana community development:

    "Viele Anwohner haben Atemwegerkrankungen von der Luftverschmutzung, dem vielen Staub, und dem erhöhten Schwefeldioxidwert in der Luft. In den Bächen ist Bilharziose. Das Farmland ist durch den Untertagebau minderwertiger und Farmer klagen, dass Lonmin sie isoliere, indem er mehr und mehr Äcker aufkauft und somit die Landwirtschaft langsam kaputt geht. Und zu all dem ist unser Grundwasser von der Mine verschmutzt. Das ist ein Problem."

    Im weltweit platinreichsten Gebiet leben 60 Prozent aller Familien in Armut. Das heißt die meisten leben von weniger als 1 Euro 30 am Tag. Zugleich fördern Südafrikas Minen Werte in Milliardenhöhe. 18 Prozent des Bruttosozialprodukts stammen aus dem Bergbau. Südafrika ist der weltweit größte Platinexporteur. Alle führenden Platinförderer wie Anglo Platinum, Impala Platinum, Lonmin und Xstrata sind hier vertreten, denn Geologen und Bergbauexperten zufolge sitzt Südafrika auf einem schier gigantischen Reichtum an Bodenschätzen. Gleichzeitig ist die Kluft zwischen arm und reich nirgendwo so groß und extrem wie im südafrikanischen Bergbau:

    "Die tun nicht genug. Wenn man sich ansieht, was die an Profiten machen und das mit dem corporate social responsibility Programm vergleicht, dann ist das nix. Sie machen Milliarden Umsätze und die Menschen vor Ort kriegen davon nichts ab."

    2011 verzeichnete Lonmin zwei Milliarden US Dollar Umsatz. Selbstverständlich hat jedes Bergbauunternehmen in Südafrika inzwischen soziale Programme. Und auch der Platinminenbetreiber Lonmin rühmt sich eine Schule gebaut zu haben, verschweigt aber, dass es sich lediglich um einige Klassenräume in einer bestehenden staatlichen Schule handelt und diese zudem laut Bench Marks Stiftung Asbest verseucht sind. Auch eine Essensausgabe für Schulkinder gibt es, sowie eine Klinik auf dem Betriebsgelände. Aber: das Wohnungs- und Hausbauprogramm wurde eingestellt und durch eine Behausungspauschale von etwas über 100 Euro ersetzt. Sozialarbeiter Molebatsi schimpft, die corporate social responsibility Programme der Konzerne seien nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Ein Problem sei, dass die Konzerne ihr soziales Engagement in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden auflegten, statt mit der einheimischen Bevölkerung in direkten Dialog zu treten, so Molebatsi:

    "Unsere Regierung hat versagt. Sie kümmert sich nicht um das Volk. Es gibt jede Menge Missmanagement und zugleich dominieren Konzerne und Großunternehmen unsere Wirtschaft. Die können doch machen was sie wollen. Es müsste bessere Kontrollmechanismen von Seiten der Regierung geben. Aber stattdessen kaufen unsere Politiker Anteile in den großen Bergbaufirmen. Das heißt die Leute, die den Wandel in der Gesellschaft bewirken sollen, machen gemeinsame Sache mit den Konzernen und verfolgen nur ihre eigenen Interessen."

    Einer der Großaktionäre von Lonmin ist Cyril Ramaphosa - einstiger Freiheitskämpfer im Kampf gegen das rassistische Apartheidregime und Generalsekretär der Bergarbeitergewerkschaft. Heute ist Ramaphosa Multi-Millionär und Teil der eng mit der ANC-Regierung verbandelten neuen schwarzen Elite.

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