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Kampf gegen El Kaida

Im Herbst 2006 wurde eine Inszenierung von Mozarts Oper "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin noch aus Angst vor islamistischen Anschlägen abgesetzt, nun haben Jérémie Rhorer und Ivo van Hove das Stück über der Menschen Verhältnis zu den Göttern an der Opéra La Monnaie neu gedeutet - und wieder politisch.

Von Christoph Schmitz |
    Da sitzt Ilia, die Tochter des besiegten Herrschers von Troja, auf Kreta fest, als Gefangene mit vielen anderen Trojanern. Lichtdurchflutet ist die Szenerie, ein kurzes Durchatmen in einer krisendurchschüttelten Welt. Und wie Ilia das Schicksal an die Insel spülte, so war auch Sophie Karthäuser für die Rolle der Ilia eigentlich gar nicht vorgesehen. Wenige Tage vor der Premiere gestern sprang sie für die erkrankte Ingela Bohlin ein und spielte und sang ihre Partie mit einer Natürlichkeit, Anmut und Emotionalität, als hätte sie nie etwas anderes im Leben gemacht. Ihr leichter, klarer und dennoch warum pulsierender Sopran verbreitete einen unvergleichlichen Zauber, der hier für einen Moment vergessen lässt, dass der König von Kreta, Idomeneo, seinen Sohn Idamante, den Ilia so liebt, dem wütenden Neptun als Menschenopfer darbringen will. Ilia dichtet Gefühl und Natur zusammen.

    Die Belgierin Sophie Karthäuser als Ilia ist nicht der einzige Glücksfall des Abends. Die schwedische Mezzosopranistin Malena Ernman verkörperte den Prinzen von Kreta, Idamante. Idamante liebt Ilia, die Tochter des toten Priamos. Ihre gegenseitige Zuneigung will er zum Anlass nehmen, die einst verfeindeten Völker zu einem gemeinsamen Frieden zu führen, obwohl der Hass noch allen in den Knochen steckt. Aber Idamante hat die Gabe der Empathie, und Malena Ernman gestaltete diesen ebenso einfühlsamen wie willensstarken Charakter mit einer verführerischen androgynen Aura. Idamantes Schwäche wird bei ihr wahrhaftig, seine Stärke menschlich, auch im Zorn.

    Und wenn Malena Ernman und Sophie Karthäuser als Idamante und Ilia im Duett noch zusammenfinden, dann kann Mozart nicht schöner klingen.

    Dieser mit den Sängerinnen gelungene Mozartabend in Brüssel wird schließlich noch durch einige Nebenrollen abgerundet, vor allem von einer sehr intensiven, fast unheimlichen Elektra, die Ilia den Geliebten ausspannen will und auf das Vorrecht der Sieger pocht. Wenn die Bulgarin Alexandrina Pendatchanska als Elektra nicht vom Orchester überspült wurde, kam ihr dynamischer Gestaltungsreichtum wunderbar zur Geltung, wie hier am Schluss, wenn alle ihre Ambitionen zunichtegemacht sind.

    Der Dirigent der Premiere, der Franzose Jérémie Rhorer, hat die Vielfalt der Partitur sehr luzide herausgearbeitet. Mozart hatte mit seinem "Idomeneo" in der Nachfolge Glucks sämtliche Operntraditionen seiner Zeit miteinander verschmolzen. Das Echo der italienischen und französischen Nationalstile ließ Jérémie Rhorer nachklingen, ohne zu analytisch zu werden. Nur hatte er bei der Premiere nicht so viel Glück mit dem Orchester, das nicht in bester Form war. Aber das passiert. Und Gregory Kunde war als Idomeneo vollkommen koloraturuntauglich. Unzufrieden dagegen ließ einen die Inszenierung von Ivo Van Hove zurück. Er zerrte die alte Geschichte in die Gegenwart eines westlichen Staates, der sich im Krieg gegen den Terror von Al-Qaida befindet. Die trojanischen Gefangenen haben Säcke über dem Kopf. Wenn das Meeresungeheuer die Insel verwüstet, gibt es bei Van Hove einen Terroranschlag (was hier einmal passt). Aber die Reibungen sind an vielen anderen Stellen so groß, dass das Konstrukt im Kern unlogisch wirkt. Wem sollte ein Präsident heute seinen Sohn opfern? Warum sollte sich heute die Freundin eines belgischen Ministerpräsidentensohnes mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft jagen wollen? Und schließlich überreizt Van Hove das Thema der Medien-Demokratie, wenn er dauernd jeden alles in die Kamera singen lässt. Dabei ist der Gesang selbst schon stark genug.