Donnerstag, 25. April 2024

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Kampf gegen Fake News
"Zensur ist die falsche Maßnahme"

Wie soll mit Falschmeldungen im Internet umgegangen werden? Nicht mit Zensur, meint Linus Neumann vom Chaos Computer Club. Technische Einschränkungen seien die falsche Maßnahme, sagte er im DLF. Verbreiter von Lüge und Hetze würden so nur in ihrer Meinung bestärkt, dass die Medien die Menschen von der Wahrheit fernhielten.

Linus Neumann im Gespräch mit Beatrix Novy | 28.02.2017
    Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC).
    Man müsse den Menschen helfen, Fake News zu erkennen, so Linus Neumann im DLF. (pa/dpa/Heimken)
    Die großen Unternehmen wie Google oder Facebook würden sich auch Sperrungen sowieso nicht einlassen, es sei denn, sie würden juristisch gezwungen. Das würde aber ohnehin nur Verbreitern der Fake News, von Lügen und Hetze, Aufwind verleihen. "Denn Kern derer Botschaft ist ja, dass die Medien lügen, sich mit der Politik verschworen haben, wir alle in einer fürchterlichen Welt der Verschwörung leben und vor der Wahrheit ferngehalten werden mithilfe der Mainstream-Medien."
    Man könne den Menschen aber helfen, diese Fake News zu erkennen, den fruchtbaren Boden entziehen, auf den diese fielen. Das werde inzwischen bei Facebook versucht. "Einerseits dadurch, dass man einen Fake News-Verdacht melden kann." Dem Nutzer werde angezeigt, dass es sich bei einer Nachricht um eine Fake News handele und man werde gefragt, ob man diese zweifelhafte Nachricht wirklich verbreiten wollte. "Hier findet so ein erzieherischer Rahmen eher statt, als dass man jetzt hingeht und sagt 'Zensur, das darfst du überhaupt nicht.'"
    Redefreiheit in USA weiter gefasst als in Deutschland
    Dass große Internetunternehmen wie Google eher zögerlich mit dem Sperren von Fake News umgingen, hänge mit einer sehr langen amerikanischen Tradition des ersten Verfassungszusatzes zusammen. Danach werde die Meinungsfreiheit als Redefreiheit ausgelegt und die Grenzen dieser Redefreiheit seien sehr viel weiter gefasst, als die der Meinungsfreiheit. "Das heißt, so etwas wie eine Anstiftung zu einer Straftat oder der Bereich der Volksverhetzung, der ist dort weit weniger stark erfasst, als bei uns."
    Die Redefreiheit werde viel weiter gefasst und man habe viel mehr Freiheit, sich zu äußern, auch wenn die Äußerung selber prinzipiell schon sehr starke moralische oder rechtliche Grenzen in Deutschland überschreiten würde.

    Das Interview in voller Länge:
    Beatrix Novy: Diese Fake News, die gibt es, seit es Medien gibt, als Zeitungsente, Propaganda, Promibericht und so weiter. Aber weil für viele Nutzer das Internet eine ganz normale Nachrichtenquelle geworden ist, wundern sich viele auch nicht über abenteuerliche Stories, wie etwa die von den Softporno-Plakaten, mit denen die Bundesregierung Migranten wirbt. Dann heißt es statt "laut dpa" jetzt wörtlich "laut Internet", und es wird geteilt.
    Den kalkulierten Lügen sitzen manchmal auch Vertreter der richtigen Medien auf, wenn sie etwa Quellen zitieren, hinter denen ganz andere Leute stecken als gedacht. Immerhin geloben seit einiger Zeit große Internetunternehmen, etwas gegen gezielte Lügenverbreitung zu tun – Apple verspricht, geeignete Technologien zu entwickeln, auch Google tut etwas, jedenfalls berichtete kürzlich "Die Welt", Google habe das wegen seiner Hetz-Tendenzen berüchtigte Portal "Breitbart News" von der Suchliste genommen. Tatsächlich hatte Google ein anderes radikaleres Portal bestraft nicht wegen der Inhalte, sondern wegen technischer Tricks zur Umleitung von Besuchern auf Werbeseiten.
    Bereich der Volksverhetzung in den USA weniger stark erfasst
    Frage an Linus Neumann, Mitglied der "Netzpolitik"-Redaktion und des Chaos Computer Clubs: Das Sperren von Inhalten hätte ja so was wie Zensur bedeutet. Sind deshalb die großen Internetunternehmen, auch wenn sie Einsicht proklamieren, so sehr zögerlich, wirklich etwas gegen Lügen zu tun?
    Linus Neumann: Also das hängt zunächst einmal mit einer sehr langen amerikanischen Tradition des ersten Verfassungszusatzes zusammen, nach dem nämlich die Meinungsfreiheit gar als Redefreiheit ausgelegt wird und quasi die Grenzen dieser Redefreiheit sehr viel weiter gefasst sind als die der Meinungsfreiheit. Das heißt, so etwas wie eine Anstiftung zu einer Straftat oder der Bereich der Volksverhetzung, der ist da weit weniger stark erfasst als bei uns. Das heißt, die Redefreiheit wird weiter gefasst, und man hat sehr viel mehr Freiheit, sich zu äußern, auch, wenn die Äußerung selbst prinzipiell schon sehr starke moralische oder rechtliche Grenzen in Deutschland überschreiten würde.
    "Fake News den fruchtbaren Boden entziehen"
    Novy: Aber das propagandistische Lügen, das ja nun so zugenommen hat, ist schon ein Thema, gegen das auch vorgegangen werden sollte. Das leugnen ja die großen Unternehmen gar nicht. Die Frage ist natürlich auch, was können sie überhaupt technisch tun, um die Verbreitung schädlicher Lügen einzudämmen?
    Neumann: Eine reine Zensur ist auf jeden Fall eine falsche Maßnahme, werden diese Unternehmen nicht machen, es sei denn, sie sind juristisch gezwungen. Und ich glaube auch, dass sie damit ohnehin nur diesen Verbreitern von Fake News und Lügen und Hetze Aufwind verleihen würden. Denn Kern derer Botschaft ist ja, dass die Medien lügen, sich mit der Politik verschworen haben, wir alle in einer fürchterlichen Welt der Verschwörung leben und von der Wahrheit ferngehalten werden mit Hilfe der Mainstreammedien. Was man machen kann, ist natürlich den Menschen helfen, diese Fake News zu erkennen und quasi den fruchtbaren Boden zu entziehen, auf den diese fallen. Und das wird inzwischen bei Facebook versucht, einerseits dadurch, dass man solchen Fake News einen Fake News-Verdacht quasi melden kann. Dem Nutzer wird angezeigt, das, was hier jetzt gerade angegeben wird, das ist zweifelhaft, dass das überhaupt stimmt. Und wenn du das verbreiten möchtest, dann warnen wir dich noch mal extra und machen es dir schwieriger, diese Verbreitung durchzuführen. Während man normalerweise einfach nur sagt, okay, Like, weitergeben, Share, wird dann gesagt, möchtest du wirklich diese zweifelhafte Äußerung verbreiten. Das heißt, hier findet so ein erzieherischer Rahmen eher statt als dass man jetzt hingeht und sagt, Zensur, das darfst du überhaupt nicht.
    "Immer mehr Unternehmen setzen "Breitbart" auf ihre Blacklist"
    Novy: In den USA können auch die schlimmsten Hass verbreitenden Portale mit der Unterstützung durch die Industrie, nämlich durch Werbeeinnahmen rechnen. Gibt es auf dieser Seite nicht vielleicht auch Versuche, das ein bisschen zu minimieren und denen die Grundlage einfach zu entziehen.
    Neumann: Da gibt es natürlich sehr breite Bestrebungen, die einerseits auch auf Kritik stoßen. Immer mehr Unternehmen setzen beispielsweise "Breitbart" auf ihre Blacklist. Das heißt, ihre Werbeanzeigen werden von einem Werbenetzwerk frei über das Internet verteilt, aber sie widersprechen der Einblendung bei "Breitbart". Auch das wird jetzt als finanzielle Zensur angeprangert und bekämpft. Ich denke aber, dass das durchaus im Rahmen der freien Entscheidung eines Unternehmens liegt, wo es seinen Werbeetat ausgibt und wie es seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gestalten möchte.
    "Das Internet in der Erziehung viel zu lange verteufelt"
    Novy: Das Netz ist heute für junge Menschen, die ins Netz hineinwachsen, die wichtigste Nachrichtenquelle geworden. Das Monopol der Massenmedien, der ursprünglichen, ist ja längst passé. Das heißt, die wachsen mit Nachrichten, Meinungen, Kommentaren, Bildern bei Google und Facebook und Co auf. Was bedeutet das eigentlich?
    Neumann: Das ist absolut richtig. Und genau darauf hätten wir unsere Schüler und unsere Kinder seit mindestens zwei Jahrzehnten vorbereiten müssen. Die sind also jetzt einer Welt ausgesetzt, in der jedermann jede Behauptung in die Welt setzen kann. Wir haben viel zu lange in der Erziehung, in den Schulen das Internet als Informations- und als Nachrichtenquelle grundsätzlich verteufelt, statt den Kindern beizubringen, wie sie sich in diesem Wust an Informationen zurechtfinden. Dass wir das nicht getan haben, ist einer der Gründe, dass wir jetzt diese großen Probleme haben. Natürlich sind auch die Enttäuschungen in der Politik oder die Enttäuschungen von der Politik gravierend, die uns jetzt dazu geführt hat, dass Menschen auch sagen, wir wollen das auch gar nicht mehr glauben. Wir halten die Medien für Lügner, und wir sind sogar bereit, so etwas wie das Konzept von "alternativen Fakten" anzuerkennen, ohne dabei rot zu werden oder zu lachen.
    Novy: Dank an Linus Neumann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.