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Kampf gegen resistente Bakterien
Kandidaten für neue Antibiotika

Der Bedarf an neuen Antibiotika ist groß. Forscher fanden antibakterielle Verbindungen, die selbst resistente Bakterien töten. Doch große Pharmaunternehmen, die klinische Studien hätten finanzieren können, sind weitgehend aus der Forschung ausgestiegen.

Von Brigitte Osterath | 20.11.2019
Viele bunte Pillen auf weißem Grund.
Bis die neuen Verbindungen zu Wirkstoffen oder sogar Meedikamenten werden, ist es noch ein weiter Weg (imago / Julia Pfeifer)
"Ich glaube, dass die Pharmaindustrie nicht für immer ausgestiegen ist. Wenn ein Pharmaunternehmen vielleicht überzeugt werden kann, dass die wirklich großen Hürden in der Entwicklung, die Risiken zumindest in der Präklinik überwunden sind, dann ist es vielleicht etwas, das wieder überzeugt, in die Entwicklung einzusteigen."
Stephan Sieber, Chemie-Professor an der Technischen Universität München, sucht nach Wirkstoffen, die Bakterien töten. Denn der Bedarf nach neuen Antibiotika ist groß – ganz besonders, nachdem große Pharmaunternehmen wie Sanofi und AstraZeneca weitgehend aus der Forschung ausgestiegen sind. Um mögliche Angriffsziele zu finden, sucht Stephan Sieber im Stoffwechsel von Bakterien nach lebenswichtigen Enzymen. Außerdem testet er eine große Zahl von Verbindungen darauf, ob sie antibakteriell wirken. Kürzlich verbuchte er einen Erfolg: Er screente Kinase-Inhibitoren, das sind Moleküle, die bestimmte Enzyme blockieren:
"Und da war eines dabei, das ist Sorafenib, das ist ein bekannter Kinase-Inhibitor, wird gegen Krebs verwendet. Den haben wir aber so abgewandelt, also mit sehr viel chemischer Synthese, dass wir eine neue Verbindung bekommen haben, die sehr viel potenter, sehr viel aktiver war und eben diese ausgezeichneten Eigenschaften dann eben mit aufgewiesen hat."
Resistente Bakterien im Doppelangriff bekämpfen
Die Verbindung tötete selbst resistente Bakterien wie MRSA sowie Persister, das sind Bakterien, die ihren Stoffwechsel heruntergefahren haben und einer Antibiotika-Therapie daher normalerweise entgehen. Inzwischen wissen die Forscher, dass die Verbindung mit dem kryptischen Namen Pk150 auf gleich zwei Proteine wirkt, die für Bakterien lebenswichtig sind:
"Und das macht es so schwierig für das Bakterium, simultan gleichzeitig in zwei Angriffszielen eine Resistenz zu entwickeln, also eine Mutation zu generieren, die dieses Angriffsziel insensitiv für das Antibiotikum macht. Es muss in beiden Stellen gleichzeitig passieren, das ist halt eben unwahrscheinlicher als nur in einem. Ich denke, das ist der Weg, den man gehen müsste, um Resistenzen zu verlangsamen."
Lebensgefährliche Darmerkrankungen durch Krankenhauskeim
Stephan Sieber will die antibakterielle Verbindung, die er entdeckt hat, nun präklinisch weiterentwickeln und hat dafür ein Projekt gestartet, das – wie er hofft – den Grundstein für ein Start-up-Unternehmen legen soll. Nach vielversprechenden Antibiotika-Kandidaten sucht auch Mohammad Seyedsayamdost, ein Biochemiker im US-amerikanischen Princeton:
"Wir haben mehrere antibakterielle Verbindungen gefunden, die besser sind als die derzeitigen Antibiotika. Eine davon tötet Clostridioides difficile, einen weitverbreiteten Keim, der vor allem Menschen infiziert, deren Darmflora gestört ist. Wir haben eine Verbindung, die fünfmal so wirkungsvoll ist wie das gängige Antibiotikum Metronidazol."
Clostridioides difficile ist einer der häufigsten Krankenhauskeime und kann lebensgefährliche Darmerkrankungen auslösen. Die Forscher fanden auch eine Verbindung, die gezielt Gram-negative Bakterien tötet – Bakterienarten, deren Zellmembran einen besonderen Aufbau hat und gegen die viele Antibiotika nicht wirken. Gefunden hat Seyedsayamdost beide Wirkstoff-Kandidaten, indem er harmlose Boden-Bakterien im Labor stresste:
"Bakterien wachsen und entwickeln sich in einer komplexen Umwelt, meist unter begrenztem Nährstoffangebot und mit vielen Nahrungskonkurrenten. Wenn sie im Labor als Monokultur mit reichlich Nährstoffen heranwachsen, haben sie keinen Grund, ihre Stoffwechselwege anzuwerfen, um sagen wir mal 20 verschiedene Antibiotika herzustellen. Sie stellen viele Moleküle, die sie herstellen können, normalerweise gar nicht her. Diese versteckten Stoffwechselwege wollen wir finden."
Die Forscher traktierten Lösungen von Bodenbakterien mit geringen Dosen bekannter Antibiotika – gering genug, um die Bakterien nicht umzubringen. Daraufhin begannen die Einzeller, alle möglichen Substanzen auszuschütten – darunter auch bisher unbekannte Antibiotika. Eine Art chemische Kriegsführung unter Bakterien also, die sich die Forscher zunutze machen:
Noch allerdings sind Seyedsayamdosts Verbindungen lediglich antibakteriell wirkende Substanzen. Bis sie Wirkstoffe werden oder sogar richtige Medikamente, ist es noch ein weiter Weg. Und für klinische Studien müssten früher oder später große Pharmafirmen mit an Bord kommen – denn ohne sie ist der Aufwand kaum finanzierbar.