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Kampf gegen Tuberkulose in Indien
"Wir werden die Seuche beenden"

Tuberkulose tötet weltweit mehr Menschen als HIV. Die meisten Opfer leben in Indien, wo sich auch immer mehr Resistenzen entwickeln. Jetzt plant die Regierung den Gegenschlag. Mit Telemedizin, besseren Diagnosen und kreativen Ideen soll die Krankheit aus dem Land vertrieben werden. Kann das gelingen?

Von Claudia Doyle und Mathias Tertilt | 11.02.2018
    Eine Frau in einem Krankenhaus ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen
    Tuberkulosepatientin in Indien. Ein Krankenhaus in Howrah. (picture alliance / dpa / Denis Meyer )
    Das vergangene Jahr begann in Indien mit einer unerwarteten Ankündigung. Auf Youtube ist noch immer zu sehen, wie Gesundheitsminister Jagat Prakash Nadda Folgendes verspricht:
    "Die Regierung von Indien wird alles daran setzen, die Tuberkulose bis 2025 zu beenden."
    Was die Zuhörer hier mit verhaltenem Applaus würdigen, hätte Trommelwirbel verdient. Bisher haben indische Politiker es geradezu schulterzuckend akzeptiert, dass sich Tuberkulose durch ihre Gesellschaft frisst. Fast eine halbe Million Menschen tötete die Krankheit allein im letzten Jahr. Jetzt also die Kampfansage. Die Frage ist nur: Ist es bereits zu spät?
    Tuberkulose wütet seit Jahrzehnten unkontrolliert
    Howrah im Oktober 2017. Die indische Sonne brennt schon am frühen Morgen erbarmungslos vom Himmel. Trotzdem trägt Tobias Vogt dicke Socken in seinen Sandalen, langes Hemd und lange Hose. Es ist der einzig effektive Mückenschutz.
    "Wir fahren jetzt raus in die Ambulanzen der German Doctors. Da werden heute vielleicht so 250 Menschen auf uns warten. Da werden wir versuchen, für alle das Beste zu tun. Aber ich weiß gar nicht, ob wir das immer schaffen, alle Patienten zu sehen an diesem einen Tag dann."
    Sie schaffen es eigentlich nie. Aber jeden Morgen um halb acht laden sie wieder ihre Ausrüstung in die zwei weißen Kastenwagen. Vogt:
    "Wir haben viele Kisten mit Medikamenten und auch Verbandsmaterialien und Impfstoffen und so Verbrauchsmaterialien für die Ärzte halt."
    Tobias Vogt ist gebürtiger Westfale, arbeitet aber seit mehr als fünfzehn Jahren in den Slums der indischen Metropolregion Kalkutta. In dieser Zeit ist er zum Experten geworden für eine Seuche, die seit Jahrzehnten unkontrolliert in Indien wütet: die Tuberkulose.
    Jeder vierte Patient lebt in Indien
    Mycobacterium tuberculosis. Tötet weltweit mehr Menschen als jede andere Infektionskrankheit. In Indien ist die Lage besonders dramatisch. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass hier etwa 2,8 Millionen Patienten leben. Das ist jeder vierte Tuberkulose-Patient weltweit.
    Die offiziellen Zahlen sind nur Schätzungen. Wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, weiß keiner, auch weil das staatliche Gesundheitssystem nicht alle Erkrankten erreicht. Es handelt sich meist um die Ärmsten der Armen, die in erbärmlichen Wellblechhütten hausen. Deren Kinder nachmittags im Müll nach Essen suchen und abends im Schein der Straßenlaterne ihre Hausaufgaben erledigen.
    Nach mathematischen Ausbreitungsmodellen muss Indien vor allem die Ansteckung mit Tuberkulose von Mensch zu Mensch in den Griff bekommen. Diese 16-Jährige im indischen Howrah ist schon zum zweiten Mal in ihrem Leben erkrankt, diesmal mit einem multiresistenten Keim.
    Die Ansteckung von Mensch zu Mensch ist ein großes Problem. Diese 16-Jährige ist schon zum zweiten Mal an Tuberkulose erkrankt, diesmal mit einem multiresistenten Stamm. (picture alliance / dpa / Denis Meyer)
    Der WHO zufolge sind etwa 20 Prozent der Patienten mit Bakterien infiziert, die die Mediziner besonders fürchten: multiresistenten oder sogar totalresistenten Stämmen. Eine aktuelle Metaanalyse kommt sogar auf 40 Prozent resistente Fälle. Standardantibiotika sind dagegen machtlos.
    Vogts vielleicht wichtigstes Utensil: ein Stempelkissen
    Nach etwa einer Stunde Fahrt erreichen die German Doctors den Slum Santoshpur. Vor einer kleinen Baracke wartet bereits eine Traube von Menschen. Nicole Diederich, eine Ärztin im Ruhestand aus Bayern, ist seit vier Wochen ehrenamtlich dabei und kennt die Routine:
    "Da stellen sich jetzt die Frauen auf einer Seite auf, Männer auf der anderen Seite. Frauen mit Kindern vorne. Die ganzen Sachen aus dem Auto werden reingetragen, Medikamente, Decken, alles Mögliche."
    Während die Autos entladen werden, schnappt Tobias Vogt sich sein vielleicht wichtigstes Utensil: ein Stempelkissen. Diederich:
    "In der Zwischenzeit kommt Tobias dann raus, dann kriegen die Leute, die vielleicht schon seit 4 Uhr früh in der Schlange stehen, die kriegen einen Stempel, und dann gehen sie zur Anmeldung, zur Registration, und nur wer einen Stempel hat, kommt auch dran."
    Schwere Fälle bekommen ein rotes Basecap auf
    Nicole Diederich und ihre Kollegin suchen in der Schlange nach besonders schweren Fällen. Die bekommen ein rotes Basecap auf den Kopf und werden als erstes behandelt. Diederich:
    "Manche werden dann auch mit Karren angefahren, die liegen da nur noch. Oder jemand, der ganz schlecht atmet, kaum noch Luft kriegt, solche würde man gleich vorziehen."
    Heute sind zu viele Patienten gekommen. Nicht alle erhalten einen Stempel, die Aufregung ist groß. Eine zierliche Inderin schnappt sich ein Megafon, um über die Menge hinweg gehört zu werden.
    Sie erklärt, dass medizinische Notfälle, also zum Beispiel Schlaganfallpatienten, hier nicht versorgt werden können, sondern sich ans örtliche Krankenhaus wenden sollen. Diederich:
    "Aus gegebenem Anlass, da ist mal ein Patient in der Schlange hier verstorben, einfach umgefallen. Und das ist natürlich die Katastrophe, wenn einer hier stirbt."
    Privatarzt will 1000 Rupien pro Monat für Medikamente
    Inzwischen hat Tobias Vogt mit der Untersuchung der Patienten begonnen. Viel Zeit pro Patient hat er nicht. Eine Mutter hat ihren zwölfjährigen Sohn in die Sprechstunde gebracht. Tobias Vogt spricht inzwischen so gut Bengali, dass er die Krankengeschichte der Patienten versteht. Bei Details hilft ihm eine Übersetzerin.
    Vogt: "From his documents I understand that he had a TB in his life before, is that correct?"
    Der Junge leidet an Atemnot und hatte bereits einmal eine Tuberkulose. Seine Mutter hat einem Privatarzt 1000 Rupien pro Monat für die Medikamente gezahlt.
    Vogt: "On 13th of May a local doctor has started some TB treatment, is it correct?"
    Übersetzerin: "May, June, July, August, September, October, yes."
    Vogt: "You have taken it for three months? And then your boy was okay?"
    Doch drei Monate reichen nicht. Schon die kürzeste Therapie dauert ein halbes Jahr. Grund für den Therapieabbruch waren Geldprobleme.
    Vogt: "It became too expensive for you, after three months your money was off, and then you have stopped the treatment, is it correct?"
    Viele Patienten gehen zu Privatärzten
    Solche Geschichten hört Vogt immer wieder. Dabei sind die Medikamente in staatlichen Krankenhäusern kostenlos.
    "Das ist halt das Erstaunliche. Ihr Großvater, sein Großvater, hat seine TB-Therapie im staatlichen Krankenhaus eingenommen. Die Leute wissen also, wo sie das kostenlos bekommen können. Aber bei ihrem Enkel, ihrem Sohn, sind sie dann zum Privatarzt gegangen und haben sich da finanziell ausbluten lassen. Und dann haben sie eben nach drei Monaten abgebrochen, weil sie nicht mehr weiter wussten. Das passiert so häufig. Leute gehen in den Privatsektor, sie haben ihre Gründe dafür, und zahlen sich dann dumm und dämlich, und nach drei Monaten geht das Geld aus, dann wird das abgebrochen."
    Zwar gibt es seit Ende der 90er-Jahre ein nationales Tuberkuloseprogramm, das allen Indern eine kostenlose Behandlung und Versorgung gewährleisten soll. Doch die meisten besuchen keine öffentlichen Kliniken. Das weiß auch Mita Roy, eine indische Lungenfachärztin:
    "Wir haben viele Ärzte in den Slums oder ländlichen Gegenden, die keine gute Ausbildung haben. Aber sie sind günstig und haben immer ein offenes Ohr. Deshalb wenden sich viele Patienten an diese Ärzte und bekommen dann eine Behandlung, die nicht den Richtlinien entspricht."
    Wunderheiler sagt: "Setz deine Medikamente ab"
    Das fragmentierte indische Gesundheitssystem ist ein Grund dafür, weshalb so viele Tuberkulosefälle nicht diagnostiziert oder falsch behandelt werden.
    Überall im Land wiederholen sich die Patientengeschichten. Auch im fast zweitausend Kilometer von Kalkutta entfernten Mumbai. Der indische Tuberkulose-Spezialist Dr. Zarir Udwadia arbeitet in einer renommierten Privatklinik. Montags öffnet er seine Praxis auch für die arme Bevölkerung. Es ist die meistbesuchte Sprechstunde des gesamten Krankenhauses. An diesem Montag sitzt Udwadia ein junger Mann gegenüber:
    "Im Februar 2016 hat der Mann seine Tuberkulose-Behandlung begonnen, und anfangs ging es ihm damit sehr gut. Aber nach vier Monaten hat er eigenmächtig alle Medikamente abgesetzt. Er ist zu einem Wunderheiler gegangen. Der hat gesagt: 'Setz deine Medikamente ab, sie helfen nicht. Ich gebe dir etwas Besseres.' Dann hat er ihm heilige Asche, Wasser aus dem Ganges und etwas Gras gegeben und ihm dafür 45.000 Rupien berechnet. Das ist sicher mehr, als der Patient in einem Jahr verdient."
    Die fehlerhaften Diagnosen und erfolglosen Therapieversuche solcher Quacksalber führen dazu, dass es zu immer mehr resistenten Fällen kommt. Das macht die Behandlung langwieriger, belastender und teurer. Weil Erkrankte die Krankheit über die Luft übertragen können, sind sie in Indien stigmatisiert:
    "Die Patienten verstecken ihre Krankheit. Sie sind Lehrer oder Fahrer in einem überfüllten Bus."
    Bei Deepti Chavan half erst kein Antibiotikum
    Mittlerweile erreicht die Krankheit auch die Mittel- und Oberschicht. Zu der gehört Deepti Chavan. Ihr langanhaltender Husten wurde erst als Infekt, dann als Lungenentzündung diagnostiziert. Erst viel später stellte ihr Hausarzt eine Tuberkulose fest:
    "Immer wenn ich zur Untersuchung kam, gab der Arzt mir Medikamente und sagte: 'Nimm das und schau, was passiert.' Nach einer Woche hatte ich starke Nebenwirkungen und mein Zustand verschlechterte sich. Also stoppte er die Behandlung und verschrieb mir etwas anderes, und dann wieder etwas anderes. Das ging so für etwa ein Jahr."
    Die Standardantibiotika versagten. Das Bakterium hatte sich bereits einen Schutzpanzer aus Resistenzen zugelegt.
    "Mein Husten verschwand nicht, ich hatte abends hohes Fieber und war schwach. Ich musste mich übergeben und konnte nichts essen."
    TB-Medikamente haben schwere Nebenwirkungen, bis hin zu Depression und Selbstmordgedanken.
    "Es ging mir immer schlechter. Ich hatte es satt, so ein Leben zu leben. Ich konnte das Haus nicht verlassen, konnte meine Familie und Freunde nicht treffen. Mein Onkel hatte gerade ein Baby bekommen, aber ich durfte es nicht halten. Die Isolation, die setzt einem wirklich zu."
    Am Ende bleibt nur eine Lungen-OP
    Sobald Ärzte feststellen, dass die üblichen TB-Medikamente nicht anschlagen, können sie im Labor prüfen, welche Wirkstoffe den Erreger eines Patienten bekämpfen. Genau dieser Sensitivitätstest wurde bei Deepti Chavan viel zu spät durchgeführt:
    "Nach etwa einem Jahr hat unser Arzt den Test gemacht. Als er das Ergebnis hatte, schickte er mich aus dem Behandlungsraum und sagte meinen Eltern, dass ich eine Operation brauche. Meine Eltern waren geschockt. Wir hatten noch nie davon gehört, dass jemand wegen Tuberkulose operiert werden musste. Meine Mutter fing an zu weinen und hat auf dem Heimweg nicht mit mir gesprochen. Erst zu Hause hat sie mir gesagt, dass man mir einen Teil der Lunge entfernen muss. Da hat es alles angefangen."
    Weil die Medikamente nicht mehr anschlagen, greifen die Ärzte zum letzten Mittel: Sie entfernen Deepti Chavan die infizierten Teile der Lunge. Doch weil sie nicht gründlich genug vorgehen, bleiben Bakterien zurück. Deeptis Zustand verschlechtert sich weiter.
    "Wir haben viele Ärzte in Mumbai besucht und alle haben gesagt: Wir können dir nicht helfen, du wirst sterben, du hast vielleicht noch sechs Monate zu leben. Ein Arzt hat zu meinen Eltern gesagt: 'Sie sind doch verrückt, warum verschwenden sie so viel Zeit und Energie auf das Mädchen, geben Sie ihr etwas Gutes zu essen und lassen Sie sie in Frieden sterben.'"
    Erst 2002, also drei Jahre nach den ersten Symptomen, kommt die abgemagerte Deepti Chavan in Udwadias Sprechstunde.
    "Er ist so eine Stunde lang durch jedes einzelne meiner Röntgenbilder gegangen, was zuvor nie ein Arzt getan hatte. Vom ersten Röntgenbild bis hin zu jeder Verschreibung hat er uns gesagt, was falsch gelaufen ist."
    "Robert Koch würde sich im Grab umdrehen"
    Zum ersten Mal wird sie richtig behandelt. Nach insgesamt sechs Jahren, drei Lungenoperationen und mehr als 15.000 Pillen hat sie die Tuberkulose besiegt. Doch die Folgen spürt sie noch heute. Beim Treppensteigen kommt sie außer Aten, Sport treiben oder U-Bahnfahren sind zu anstrengend für sie. Zarir Udwadia wird wütend, wenn er nur daran denkt, was in seinem Land alles schiefläuft.
    "Robert Koch würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass wir eine einfache Krankheit, die wir vor 70 Jahren hätten ausrotten müssen, in einen fast unheilbaren Erreger verwandelt haben."
    Dieses Mädchen in einer Arztpraxis im indischen Howrah ist nach sechsmonatiger Therapie von der Tuberkulose geheilt. Viele Patienten in Indien brechen die Medikamenten-Einnahme vorzeitig ab, teils auf Anraten von Quacksalbern, teils aus Geldmangel. Ein Nebeneffekt: Nicht abgetötete Erreger entwickeln Antibiotika-Resistenzen.
    Viele Patienten brechen die Medikamenten-Einnahme ab. Ein Nebeneffekt: Nicht abgetötete Erreger bilden Resistenzen. Dieses Mädchen ist nach sechsmonatiger Therapie geheilt. (picture alliance / dpa / Denis Meyer)
    Es wäre einfach, den Schwarzen Peter den Patienten zuzuschieben: Selbst schuld, wer vom Arzt verordnete Therapien abbricht, so wie zehn Prozent aller Tuberkulose-Patienten in Indien. Tobias Vogt hat dazu inzwischen eine differenziertere Meinung:
    "In den ersten Jahren, da denkt man: Warum sind die Leute so blöd und nehmen ihre Tabletten nicht. Aber so ist es nicht. Irgendwann merkt man dann, die sind gar nicht nachlässig oder dumm. Die haben einfach so viel am Hals von Problemen, die eine viel höhere Priorität haben."
    Ein Patient wohnt auf einem Müllberg
    Um Tuberkulose zu besiegen, muss man deshalb an vielen Fronten kämpfen. Mehr Forschung, neue Medikamente, vielleicht sogar ein Impfstoff – das alles würde helfen. Aber zusätzlich muss man den Privatsektor besser einbinden und den Patienten dabei helfen, ihre Therapie durchzuhalten. Wie das gelingen könnte, lässt sich in Howrah beobachten.
    Nilima Malliek: "This is the situation, where the patients are coming from. You see, all garbage. Come!"
    Nach wenigen Schritten über staubigen Boden stapft die Sozialarbeiterin Nilima Malliek über die Müllhalde. Sie steigt über den verwesenden Körper eines Ferkels und hält sich ihren Sari vor den Mund, doch der Geruch von Exkrementen und fauligen Eiern ist durchdringend. Ein paar Meter weiter graben Dutzende Schweine im Gemenge aus Matsch und Abfall nach essbaren Resten, dazwischen wühlen auch Menschen nach nützlichen Dingen. Oben auf dem Müllberg stehen Bretterverschläge.
    Nilima Malliek: "This is the house of the patient, who is suffering from tuberculosis."
    Nilima Malliek schiebt eine Plastikplane zur Seite und tritt in das einzige, dunkle Zimmer, in dem ein Ventilator die stickige Luft durchknetet. Hier wohnt ein Tuberkulose-Patient mit seiner Frau und vier Kindern. Eigentlich wäre er im Krankenhaus besser aufgehoben, doch es gibt viel zu wenige Betten.
    "Ich sage dann: Hört nicht auf, die Medikamente zu nehmen"
    Malliek, eine zupackende Inderin, und zwei ihrer Mitarbeiter besuchen den Mann jede Woche. Sie fragen ihn, wie es ihm geht, und kontrollieren, ob er seine Medikamente genommen hat.
    "Now he is quite okay and taking medicine."
    Nilima Malliek ist zufrieden, dem Patienten geht es besser. Die Therapie schlägt an.
    "Eight months he is taking medicine. Now we also provide some food, because he is one of the earning member."
    Weil der Mann nicht mehr arbeiten kann, bringen die Sozialarbeiter auch Essen vorbei. Salma Bibi, die bereits seit 13 Jahren Patienten zu Hause betreut, erzählt aus ihrem Alltag:
    "Die Patienten leiden unter den Nebenwirkungen. Ihnen wird übel, sie bekommen Ausschlag oder Magenprobleme. Ich sage dann: Hört nicht auf, die Medikamente zu nehmen. Sie retten euer Leben!"
    Erreger überlebt am besten beim Menschen
    Mycobakterium tuberculosis hat als einzigen Wirt den Menschen. Im Abwasser von Kläranlagen, wo andere Bakterien unter hohem Evolutionsdruck neue Resistenzen ausbilden, überlebt es nicht allzu lang. Das bedeutet aber auch: Der Hotspot der Resistenzentwicklung befindet sich im Menschen. Damit nicht noch mehr extrem-resistente Erreger entstehen, muss der Staat dafür sorgen, dass jeder Patient, der einmal Antibiotika nimmt, seine Therapie konsequent beendet, bis auch das letzte Bakterium im Körper vernichtet ist.
    Wie schafft das ein Land wie Indien mit knapp zwei Millionen registrierten Tuberkulosepatienten und schätzungsweise einer Million weiterer unentdeckter Fälle?
    Sozialarbeiter, hier Fieldworker genannt, sollen dabei helfen. In Kalkutta werden sie von den German Doctors aus Spendengeldern bezahlt. Die Pulmologin Mita Roy hat das Projekt gemeinsam mit den Deutschen ins Leben gerufen. Sie ist der Meinung, dass ganz Indien vom Einsatz solcher Sozialarbeiter profitieren könnte:
    "Die Sozialarbeiter sind das Rückgrat des ganzen Projekts. Unser Ziel sollte sein, dass alle Patienten ihre Behandlung beenden. Aber heute ist es doch so: Wenn sie nach zwei Monaten nicht mehr ansteckend sind, dann verlieren wir sie aus den Augen. Das darf nicht sein. Wir müssen die Patienten bis zum Ende der Behandlung begleiten. Das ist extrem wichtig, um Tuberkulose in den Griff zu bekommen."
    German Doctors zahlen Privatärzten Ablösegeld
    Genauso müssen die Privatärzte eingebunden werden. Die German Doctors zahlen den Quacksalbern 400 Rupien, wenn sie Tuberkulose-Patienten an die Ärzte aus Deutschland überweisen. Das ist weniger Geld als sie ihren Patienten abzwacken. Auch hier kommen die Sozialarbeiter ins Spiel. Roy:
    "Unsere Sozialarbeiter arbeiten in der gleichen Nachbarschaft, in der sie aufgewachsen sind. Sie besuchen die Ärzte und motivieren sie, dass sie uns ihre Tuberkulose-Patienten schicken. Sie kennen auch die Patienten, das ist ein ganz wichtiges Netzwerk."
    Diese Tuberkulose-Kranke (r.) wird von einer Sozialarbeiterin zum Röntgentermin begleitet. Manche Ärzte setzen auf die engmaschige Begleitung von Patienten, um eine ordnungsgemäße Therapie sicherzustellen.
    Diese Tuberkulose-Kranke (r.) wird von einer Sozialarbeiterin zum Röntgentermin begleitet. Manche Ärzte setzen auf die engmaschige Patienten-Begleitung von Patienten, um ordnungsgemäße Therapie sicherzustellen. (picture alliance / dpa / Denis Meyer)
    In der Stadt Chennai erhalten Privatärzte vom Staat Geld, wenn sie Tuberkulose-Patienten korrekt behandeln und mit kostenlosen Medikamenten versorgen. 2017 fahndete man im ganzen Land nach Infizierten und fand in nur vier Wochen fast 17.000.
    Zur Zeit testet die indische Regierung mit verschiedenen Pilotprojekten, wie sie mehr Patienten erreichen kann. Die wichtigste Neuerung ist jedoch die Art und Weise, wie die Patienten seit November 2017 ihre Medikamente erhalten. Tobias Vogt erklärt seinen Kollegen von den German Doctors das neue System namens 99 Dots:
    "Es soll alles besser werden, es soll alles für die Patienten komfortabler werden, also einmal rundumerneuert. Es werden gerade die neuen Therapeutika ausgeliefert."
    Medikamenten-Einnahme wird vereinfacht
    Bisher erhielten Patienten ihre Medikamente jeden zweiten Tag in einem örtlichen Gesundheitszentrum. Unter dem wachen Blick der Mitarbeiter mussten sie die Pillen noch vor Ort schlucken. Ein erheblicher Aufwand. Die aktuellen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation sehen vor, dass die Medikamente sogar täglich verabreicht werden. Die gute Nachricht ist: Die Patienten müssen dafür nicht mehr ihr Haus verlassen. Vogt:
    "Man bekommt jetzt als Patient so ein Blister in die Hand. Da sind für 28 Tage die Medikamente drin vorgepackt. Es ist jetzt alles in einer Tablette drin. Ein Vorteil für die Patienten, auch wegen Resistenzentwicklung, dass die Leute nicht eins wegschmeißen und den Rest einnehmen. Und es ist halt nur noch eine am Tag."
    Bisher war das Problem, dass Patienten einzelne Pillen ignorierten, von denen sie wussten, dass sie mit stärkeren Nebenwirkungen verknüpft waren. Das ist nun nicht mehr möglich.
    Einnahme von fern überwacht – per Telefon
    Helfen soll außerdem die Telemedizin, erklärt Vogt:
    "Ein Patient, der hier morgens seine Tablette sich rausholt beim Öffnen dieses Türchens, für ihn erscheint hier eine Telefonnummer. Diese Telefonnummer muss der Patient anrufen. Das ist ein missed call, also der bezahlt da nichts für. Aber es wird im System aufgefangen, dass er sich diese Tablette da rausgeholt hat."
    Wenn der Patient bis mittags um 12 Uhr die Nummer nicht anruft, erhält er eine SMS, die ihn an die Medikamenteneinnahme erinnert. Zur gleichen Zeit werden die Mitarbeiter des lokalen Krankenhauses über den säumigen Patienten informiert. Natürlich ebenfalls per SMS.
    Eine Wochenration Medikamente gegen Tuberkulose in einer Blisterpackung, aufgenommen im St. Thomas Home im indischen Howrah bei Kalkutta
    Eine Wochenration Medikamente gegen Tuberkulose in einer Blisterpackung (picture alliance / dpa / Denis Meyer)
    "Abgefahrene Sache, wir sind uns nicht ganz sicher, ob das alles so funktioniert", sagt Vogt.
    Lungenärzte wie Mita Roy begrüßen die Entscheidung, sind aber ebenfalls skeptisch, was die Umsetzung angeht:
    "Wir Pulmologen haben uns immer schon für eine tägliche Behandlung ausgesprochen. Die ist einfach besser. Aber ich bin mir nicht sicher, wie es jetzt in der Realität aussieht, wenn die Patienten ihre Medikamente zu Hause einnehmen."
    Regierung will Sensitivitätstests für alle Patienten
    Bisher brechen etwa zehn Prozent aller Patienten in Indien ihre Tuberkulose-Therapie ab. Die Teleüberwachung soll diese Rate verringern. Ob das funktioniert, wird sich zeigen. Damit künftig alle Patienten von Anfang an die richtigen Medikamente erhalten, muss sich auch die Diagnose verbessern. Ein Mitarbeiter des Nationalen Tuberkulose-Kontrollprogramms, der seinen Namen nicht im Radio hören will, auch nicht im deutschen, erklärt die Pläne der Regierung:
    "Unser Ziel ist es, allen Patienten einen Sensitivitätstest anzubieten. Aber das wird nicht über Nacht passieren, das ist eine riesige Aufgabe.
    Bei herkömmlichen Tests werden die Bakterien in Petrischalen angezüchtet. Hier werden Antibiotika ausprobiert. Was wirkt, gegen welches ist das Bakterium resistent? Bis ein aussagekräftiges Ergebnis vorliegt, vergehen vier bis zwölf Wochen. Genetische Tests, wie der GeneXpert-Test, erkennen zumindest einige Resistenzen schon in zwei Stunden. Der Mitarbeiter des Nationalen Tuberkulose-Kontrollprogramms:
    "Bisher haben wir in Westbengalen 38 Maschinen und 38 weitere werden uns bald von der Regierung bereitgestellt."
    "Es mangelt an Geld"
    Auf diese 76 Maschinen kommen fast 200.000 Tuberkulosepatienten. Die Maschinen müssten sieben Monate lang ohne Pause durchrattern, um alle Patientenproben zu untersuchen. Zudem sind die Tests teuer. Wollte man wirklich jeden Patienten in Indien testen, dann würde das bereits ein Zehntel des gesamten Budgets für Tuberkulose verschlingen. Für den Lungenspezialisten Zarir Udwadia ist das fehlende Geld eines der größten Probleme:
    "Es mangelt an Geld. Nur ein Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts geben wir für das Gesundheitssystem aus. Reiche Länder neun oder zehn Prozent!"
    Immerhin wurde das Budget 2017 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt – von 280 auf 525 Millionen US-Dollar. Während bisher das meiste Geld aus dem Ausland kam, zahlt jetzt die indische Regierung den Löwenanteil.
    Trotzdem ist Zarir Udwadia pessimistisch. Ihn ärgert, dass Patienten mit besonders resistenter Tuberkulose nicht die neuesten Medikamente erhalten. Zwar werden die Wirkstoffe Delanamid und Bedaquilin schon seit Jahren von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. Doch die indische Regierung zögert, sie ihren Bürgern zu Verfügung zu stellen. Der Grund: Sie will unbedingt vermeiden, dass die neuen Waffen gleich wieder abstumpfen.
    Udwadia glaubt daher nicht, dass Tuberkulose bald aus Indien verschwinden wird:
    "Tuberkulose wird nicht ausgerottet, solange ich lebe, so viel ist sicher. Es wird noch mindestens 30 bis 40 Jahre dauern. Zurzeit wird es immer schlimmer. Jeder, der mit TB-Patienten arbeitet, wird das bestätigen. Sogar die Mitarbeiter der Regierung, die im Allgemeinen optimistischer sind."
    Derzeitiger Impfstoff ist fast 100 Jahre alt
    Tuberkulose kann sich auch deshalb so gut ausbreiten, weil der derzeitige BCG-Impfstopff schon fast 100 Jahre alt ist und kaum wirkt. Zurzeit findet in Indien eine Phase-drei-Studie statt, bei der ein modifizierter Impfstoff getestet wird. Wissenschaftler rechnen im besten Fall mit einem 60- bis 70-prozentigen Schutz. Von diesem neuen Impfstoff erwarten auch die staatlichen Stellen viel. Udwadia:
    "Der Impfstoff ist ein weiterer Baustein. Wir hoffen, dass es 2020 einen wirksamen Impfstoff gibt. Dadurch ließe sich die Rate an neuen Fällen viel schneller senken."
    Es ist ein Kampf, der sich auf vielen Ebenen geführt werden muss. Die Lungenärztin und Tuberkulose-Spezialistin Mita Roy sorgt sich vor allem um eine Sache:
    "Tuberkulose ist eine Krankheit für die es Medikamente gibt und wenn man die Patienten richtig behandelt, dann geht es ihnen wieder gut. Was mir Sorgen macht, sind die stetig steigenden Zahlen von multi- und extremresistenter Tuberkulose. Bei diesen Patienten ist die Prognose viel ungewisser. Das belastet mich."
    Ansteckung stärker eindämmen – aber wie?
    Wissenschaftler haben mit mathematischen Modellen berechnet, wie sich die resistenten Formen der Tuberkulose in nächsten Jahrzehnten in Indien ausbreiten werden. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Zwar verhindern bessere Behandlungsschemata, dass Menschen mit einfacher Tuberkulose im Laufe ihrer Therapie neue multiresistente Keime heranzüchten. Dafür wird die Zahl der Patienten steigen, die sich direkt mit resistenten Keimen infizieren.
    Die Wissenschaftler mahnen, dass vor allem die Ansteckung innerhalb der Bevölkerung stärker eingedämmt werden muss. Nur wie? Fragt man Regierungsmitarbeiter, ob sie es für realistisch halten, TB schon bis 2025 aus Indien zu verbannen, klingt das ungefähr so:
    "Seitdem Premierminister Modi das Jahr 2025 als neues Ziel gesetzt hat, arbeitet das ganze Land schneller. Aber wenn man mich als Wissenschaftler fragt, dann muss ich sagen: Nein, Tuberkulose kann nicht ausgerottet werden."
    Tuberkulose ist auch eine Krankheit der Armut
    Auch Tobias Vogt glaubt, dass Behandlungskonzepte allein das Problem nicht lösen werden. Denn die Tuberkulose ist auch eine Krankheit der Armut:
    Tuberkulose ist in Indien, wie einst in Deutschland, auch eine Krankheit der Armut, meint Tobias Vogt von den German Doctors
    Tuberkulose ist auch eine Krankheit der Armut, meint Tobias Vogt von den German Doctors (picture alliance / dpa / Denis Meyer)
    "Klar, das ist der alles entscheidende Faktor: die Armut der Menschen. Das ist so eng an die Krankheit gekoppelt. Das war aber auch in Deutschland so. In Deutschland wurde die TB weniger, noch bevor das erste Medikament auf den Markt kam. Einfach weil sich in der Nachkriegszeit die Lebensverhältnisse der Menschen besserten. Und so wird das auch hier sein, wenn sich mal die ökonomische Situation des Landes bessert und die Menschen etwas mehr Geld in der Tasche haben, Dann wird auch die TB in großen Schritten zurückgehen."
    Wie lange wird das dauern? Die Zeit drängt. Während Sie dieses Feature gehört haben, sind in Indien 20 Menschen an Tuberkulose gestorben.
    "Wir werden die Seuche beenden" – Indien kämpft gegen die Tuberkulose
    von Claudia Doyle und Mathias Tertilt
    Regie: Axel Scheibchen; Redaktion: Christiane Knoll
    Eine Produktion des Deutschlandfunks 2018
    Diese Recherche wurde mit einem Stipendium des European Journalism Centre (EJC) zum Thema "Globale Gesundheit" unterstützt. journalistenstipendien.org