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Kampf um Wiedergutmachung ohne Demütigung

Die Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung ist umfangreich dokumentiert und erforscht. 1996 wurde im Fischer Verlag die 19-bändige Max Horkheimer-Ausgabe mit 'Gesammelten Schriften’ abgeschlossen, die auch eine Auswahl des Briefwechsels mit Theodor Adorno enthielt. Nun ist das Adorno-Archiv am Zuge mit einer gesonderten, dafür aber vollständigen Ausgabe des Briefwechsels der beiden kritischen Theoretiker.

Von Rolf Wiggershaus |
    Von Mitte 1942 bis Mitte 1944 hatten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno gemeinsam jene "Philosophischen Fragmente" verfasst, die später unter dem Titel "Dialektik der Aufklärung" zu einem der berühmtesten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts wurden. Um ungestört arbeiten zu können, waren sie von New York nach Los Angeles umgezogen. Diese gemeinsame philosophische Arbeit an einer dialektischen Theorie des Zeitalters sollte fortgesetzt werden.

    Doch zunächst galt es, die Weiterexistenz des Instituts für Sozialforschung zu sichern, das auch im Exil einen respektablen Rückhalt bot, der bei einer bloßen Privatgelehrten-Kooperation gefehlt hätte. Tatsächlich kam es zur langfristigen Zusammenarbeit mit dem American Jewish Committee bei einem vom Institut entworfenen Projekt zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus. Auch dabei bewährte sich die Arbeitsgemeinschaft Horkheimer-Adorno. Horkheimer als Leiter der Forschungsabteilung musste den Winter 1945/46 in New York verbringen. Er verzweifelte dort gelegentlich angesichts der Schwierigkeit, gleichzeitig den Erwartungen des Komitees und den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, also sichtbare Aktivität und kurzfristige Ergebnisse mit langfristiger, theoretisch orientierter Arbeit zu kombinieren. In dieser Situation erfuhr er unermüdliche Hilfe und verständnisvolle Ermunterung durch Adorno, der ihn mit Projektentwürfen und Ideen geradezu überschüttete, während er sich an der Westküste gleichzeitig um dort durchzuführende Teilprojekte kümmerte.

    "Von meinen Projekt-Memoranden sollte unterdessen das Kinderprojekt […], der Plan der Antisemitenbilder und das Projekt über indirekte Propaganda in Ihrer Hand sein. Das über Subconscious Imagery of Antisemitism, das diesem Brief beiliegt, ist mein Lieblingskind […] Ich habe es etwas large budgetiert und wenn Ihnen der Plan gar zu groß erscheint, kann man ihn beschränken, etwa indem man einzelne Materialien wie die Women Serials, und den daran anschließenden Research, ausschließt […] Ich arbeite mit soviel Intensität wie Freude, und Sie erhalten weitere Projekte. Ich hoffe Sie guten Mutes und mit hoch über die Wogen des Lebens erhobenem Rüssel."

    Gemessen an der Situation der meisten anderen Emigranten waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen Max Horkheimers und seiner engsten Mitarbeiter eher günstig. Doch zeigt gerade der Briefwechsel jener Jahre: Reduktion des Institutsbetriebs und Weiterarbeit an der philosophischen Theorie blieben ein Sehnsuchtsmotiv zweier Philosophen im wissenschaftlichen Alltag und wissenschaftspolitischen Handgemenge. "The Authoritarian Personality" war unter wesentlicher Mitwirkung Adornos zustande gekommen und wurde zum berühmtesten Ergebnis des Antisemitismus-Projekts. Die Geschichte dieses Bandes ist auch die Geschichte eines mehrjährigen Kampfes um Textplazierungen und Verfasserangaben, um Anteile an Anerkennung und Reputation. Und die Geschichte der zögernden Rückkehr der inzwischen zu US-Bürgern gewordenen Drei an der Spitze des Instituts – Horkheimers, Adornos und Friedrich Pollocks – ist ebenfalls auch eine Geschichte des Kampfes um Wiedergutmachung ohne Demütigung. Wie einst bei der Flucht aus Deutschland verfuhr Horkheimer nun auch wieder bei der Rückkehr: Es sollte zunächst bloß eine Zweigstelle eingerichtet werden. Seinen alten Lehrstuhl hatte er unter der Bedingung wieder übernommen, dass er sich im Falle einer Erkrankung vertreten lassen könne. So kam als sein Stellvertreter im Wintersemester 1949/50 auch Adorno nach Frankfurt. Es galt, nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die beiden seien in Frankfurt auf die Professuren aus, die sie in den USA nicht bekommen könnten. Und so ermahnte Horkheimer den in seinen Augen zu ehrlich agierenden Adorno:

    "Lassen Sie mich nochmals meine Überzeugung aussprechen, dass angesichts der Charaktere, mit denen wir es dort zu tun haben, weitaus die beste Politik die der Zurückhaltung ist. […] Wir haben ja erreicht, was wir wollen, wenn durch die Tatsache Ihrer Anwesenheit der Vorwand, dass auf dem Lehrstuhl für Sozialphilosophie eine Vakanz eingetreten sei, unmöglich gemacht ist. Ihre Reise von Los Angeles zu diesem Zweck ist an sich schon ein so großer 'Liebesdienst’, dass man ihn durch Kühle und schwere Zugänglichkeit kompensieren muss, um nicht in ein ungünstiges Licht zu geraten. […] Da man dort nur Verachtung für den Amerikaner hegt, der sich ein deutsches Einkommen verschaffen muss, und wohl weiß, dass man mit einem durchschnittlichen Projekt hier in drei Monaten mehr verdient als drüben in zwei Jahren, so ist es ratsam, auf unsere Aktivität hier starken Nachdruck zu legen."

    Großes Geschick war auch auf dem Feld weltanschaulicher Lagerkämpfe erforderlich. 1933 war das Institut von der Universität in vorauseilendem Gehorsam verstoßen worden Nun erlebten seine Repräsentanten im Amerika der Verhöre wegen "unamerikanischen Verhaltens" und im geteilten Deutschland zwei Varianten des Kalten Krieges. Als die ostdeutsche Zeitschrift "Sinn und Form" einen Auszug aus der "Dialektik der Aufklärung" abdruckte, wurde gegen die Autoren in der Zeitschrift "Der Monat" – einem verdeckt von der CIA finanzierten Organ – ein schwerer Vorwurf erhoben: Damit werteten sie eine ostzonale Zeitschrift genauso auf wie einst nicht-nationalsozialistische Schriftsteller die Nazi-Zeitschrift "Das Reich". Solch ein denunziatorischer Vergleich war umso grotesker, als die Frankfurter Remigranten es ihrerseits tatsächlich mit gespenstischen Kontinuitäten zu tun hatten. Ende November 1949 berichtete Adorno Horkheimer:

    "Am Sonntag war ich offiziell zu einem Tee bei Klingelhöfer eingeladen, und er gab seiner Freude über die Entwicklung der Dinge Ausdruck und seiner Hoffnung, das neue Institut werde ein 'Schmuckkästchen’ werden. Auf die Probleme wurde nicht eingegangen, alles blieb allgemein, aber ungemein freundlich. Trotzdem meine ich, K. ist einer der Leute, die mit der allergrößten Vorsicht zu behandeln sind. […] Das ist wohl die finsterste Ecke hier."

    Damit hatte Adorno mehr recht, als er wissen konnte. Der Geschäftsführende Vorsitzende des Kuratoriums der Frankfurter Universität, Ministerialrat Klingelhöfer, hatte 1938 den Erlass unterschrieben, in dem das Kultusministerium die Verteilung der konfiszierten Bibliothek des Instituts anordnete. So wohldosiert im allgemeinen die Anmerkungen der Herausgeber sind – in manchen Fällen hätte man sich gezieltere, aufschlussreichere Informationen gewünscht, wie hier im Falle Klingelhöfers. Ein Blick in die einschlägige Sekundärliteratur hätte gereicht. Doch zu der muss sowieso greifen, wer Hintergründe und Zusammenhänge nicht kennt und mit dem Briefwechsel etwas Rechtes anfangen will.

    Rolf Wiggershaus besprach den dritten Band des Briefwechsels zwischen Horkheimer und Adorno aus den Jahren 45 – 49, erschienen bei Suhrkamp und dort herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz. 600 Seiten umfasst das Buch für 44.90 Euro.