Freitag, 19. April 2024

Archiv


Kampf ums Überleben

Jahrelang setzte Guinea-Bissau auf den Anbau von Cashew-Nüssen. Nun hat ein Preisverfall auf dem Weltmarkt dramatische Folgen für die Menschen an der afrikanischen Westküste.

Von Jochen Faget | 20.09.2006
    Schon seit vier Stunden steht Mariama Djassi in der Nachmittagshitze an der "canoa"' und zerstampft Cashew-Früchte mit einem Mörser aus Holz. Die "canoa" ist ein schief stehender, ausgehöhlter Baumstamm, in den die rotgelben Früchte gekippt werden. Der Saft läuft dann in einen Eimer ab. Cashew-Saft machen ist Frauensache, Cashew-Nüsse ernten auch. Das hat die 43-jährige, hagere Frau am Vormittag mit ihren neun Kindern getan. Vormittags ernten, nachmittags stampfen - so werden Mariama Djassi und die anderen Frauen noch etliche Tage verbringen. Bei dem Urwalddorf Nova Sintra gibt es viele Cashew-Plantagen.

    Den ölig-sauren Saft der Cashew-Früchte trinken die Familien. Die getrockneten Kerne, die Cashew-Nüsse, verkaufen sie an Händler aus der Hauptstadt Bissau. Vom Erlös der Nüsse kaufen sie Reis, das zum Überleben dringendst nötige Grundnahrungsmittel - in der Theorie zumindest, denn in diesem Jahr ist alles anders:

    "In jedem Haus hier im Dorf stapeln sich die Cashew-Säcke, aber niemand kann sie verkaufen","

    erklärt Salimá Zulmira Djaló, eine der Frauen.

    ""Die Preise sind viel zu niedrig. Darum wissen wir nicht mehr, wohin mit den Nüssen. Wir können das Schulgeld unserer Kinder nicht mehr bezahlen, haben nichts mehr zu essen für sie, außer Mangos."

    Die Lage ist mehr als dramatisch: 350 Franc CFA hatte die Regierung von Guinea-Bissau den Bauern für das Kilo Cashew-Nüsse versprochen, umgerechnet rund 50 Cent. Die Käufer, fast alle indische Großhändler, bieten jedoch nur um die 20 Cent. Das ist nicht genug, um Reis bis zur nächsten Ernte zu kaufen, die Bewohner von Nova Sintra sind verzweifelt:

    "Wie soll das in Zukunft weitergehen?",

    fragt der Dorflehrer Asumané Touré.

    "Niemand will uns einen fairen Preis für Cashew bezahlen. Dabei ist das unsere Lebensgrundlage. Normalerweise tauschen wir die Nüsse gegen Reis. Und ohne Reis müssen wir hungern."

    Die Landbevölkerung Guinea-Bissaus muss jetzt für die Fehler ihrer Politiker bezahlen: Denn die hatten jahrelang auf Cashew-Anbau gesetzt. Überall im Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, entstanden Monokulturen. Die Reisfelder im fruchtbaren Süden wurden vernachlässigt, wertvoller Urwald brandgerodet. Guinea-Bissau wurde zum sechstgrößten Cashew-Produzenten. Verarbeitet jedoch werden die Nüsse ausschließlich in Indien, in dem Staat an der afrikanischen Westküste gibt es nicht einmal eine Cashew-Verpackungsanlage. Das ging gut, solange die Preise stiegen. Jetzt aber fallen sie. Und niemand weiß, was werden soll.

    Der Preis von 50 Cent steht, verkündet die Regierung beharrlich, schließlich habe sie ihn vor mehr als einem halben Jahr so festgesetzt. Für diesen Preis kaufen wir nicht, antworten die Großhändler, während sich in den Lagerhallen der Hauptstadt Bissau die nicht verkauften Cashew-Säcke stapeln, immer mehr Lastwagen aus der Provinz ihre Ladungen nicht los werden. Und in Bercolom, einem Nachbardorf von Nova Sintra, klagt diese Frau verzweifelt:

    "Seit vier Tagen habe ich nichts gegessen, trinke ich nur warmes Wasser. Ich bin schwanger, gestern bin ich ohnmächtig geworden, und da mussten sie mich ins Krankenhaus bringen. Ich erinnere mich an nichts, ich weiß nur, dass der Hunger uns alle umbringt."

    Mariama Djassi zerstampft derweil noch immer die Cashew-Früchte hinter ihrer Hütte. Vor dem Eingang trocknen die am Morgen geernteten Nüsse, die wohl niemand kaufen wird, zumindest nicht für 50 Cent das Kilo. Darum macht Mariama sich Sorgen um die Zukunft:

    "Da hat uns die Regierung jahrelang gesagt, pflanzt Caju, pflanzt Caju, pflanzt Caju. Damit verdient ihr gutes Geld. Und wir haben gepflanzt, haben hart gearbeitet. Jetzt bekommen wir kein Geld für die Nüsse. Das Leben wird immer schwerer, hätten wir Mangos angebaut, hätten wir wenigstens etwas zu essen. Ich sehe schon: Wenn wir überleben wollen, müssen wir in Zukunft etwas anderes produzieren."