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Kampf zwischen Käfer und Baum

Mit beeindruckenden Landschaften beitet das spärlich besiedelte Kanada Urlaubern aus Europa ein großes Naturerlebnis. Wegen seines Waldreichtums ist das Land auch der größte Holzexporteur der Erde. Seit einiger Zeit macht den Waldbesitzern ein kleiner Käfer zu schaffen: der "Mountain Pine Beetle".

Von Jens Tönnesmann | 18.04.2006
    "So, hier haben wir den Käfer. Der bohrt sich in die Rinde, gräbt dort seine Stollen und läuft dann am Baum hoch und runter und legt die Eier unter die Rinde."

    Professor John MacLean ist Käferexperte. Er steht in seinem Labor an der University of British Columbia zwischen Reagenzgläsern und Glaskästen, in denen unzählige Insekten auf kleine Nadeln gesteckt und mit Nummern versehen liegen. "The Bugs Den" – "Käfernest" steht an seiner Tür. An den Wänden hängen Poster von Käfern, in den Regalen stehen Bücher über Käfer. Ganz besonders interessiert sich MacLean für einen braunen, reiskorngroßen Käfer, der seit einiger Zeit große Flächen von Kanadas Wäldern bedroht: Der "Mountain Pine Beetle", zu deutsch""Bergkiefernkäfer", breitet sich in den Kiefernwäldern im Westen, in der Provinz British Columbia, rasant aus. Wo er hinkommt, verwandelt er die Bäume in rote, tote Gerippe:

    "Es ist ein Kampf zwischen Käfer und Baum. Wenn der Käfer angreift, tritt aus der Rinde Harz aus, das den Käfer aufhalten soll. Nach einiger Zeit ist kein Harz mehr übrig. Dann dringt der Käfer ein, gräbt Stollen, um seine Larven abzulegen und trägt außerdem Sporen des Bläuepilzes in den Stamm. Der Bläuepilz breitet sich sofort im Baum aus und stoppt den Wasserfluss, während die Larvengänge den Fluss der Nährstoffe unterbrechen. Beides zusammen tötet den Baum."

    Als größte Insekten-Epidemie in der Geschichte Kanadas hat sich der Käfer seit Mitte der 90er Jahre ausgebreitet und inzwischen sieben Millionen Hektar befallen, eine Fläche von der Größe Österreichs. Normalerweise werden die Käfer durch die Natur in Schach gehalten. Sie werden von Spechten gefressen oder erfrieren massenweise in kalten Wintern. Doch genau diese kalten Winter sind seit Jahren ausgeblieben:

    "Ist es der Klimawandel? Fehlen die kalten Winter, die den Käfer erfrieren würden? Wahrscheinlich. Deswegen wird sich der Käfer so lange weiter ausbreiten, bis er entweder erfriert oder keine Bäume mehr übrig sind. Und es sieht eher danach aus, als wären bald keine Bäume mehr übrig."

    Bisher sind etwa 40 Prozent der Kiefern befallen, in fünf Jahren dürften es nahezu 80 Prozent sein. Die Provinzregierung hat bereits Millionen Dollar in Projekte investiert, um etwa die Flugrichtungen der Käfer zu erforschen und sie in Pheromon-Fallen zu locken. Dabei geht es der Provinz aber keinesfalls nur darum, die Bäume zu retten, sondern vielmehr um die heimische Holzindustrie. Von der hänge in British Columbia jeder siebte Arbeitsplatz ab, sagt Ken Baker, der Geschäftsführer der provinzeigenen Firma, die das Holz in aller Welt vermarktet:

    "Das ist vielleicht das größte Waldmanagementproblem, das die Region trifft. Wir sind sehr abhängig von unseren Exporteinkommen aus dem Verkauf von Holzprodukten. Und drei Viertel der Holzindustrie sind im Landesinneren der Provinz, wo der Käfer enormen Schaden anrichtet."

    Erstaunlicherweise profitieren die Unternehmen in der käfergeplagten Zone bisher allerdings von dem Schädling. Sie dürfen nun größere Kiefernbestände abholzen, bevor die Käfer sie zerstören – und müssen dafür geringere Gebühren an den Staat zahlen. Jim Snetsinger, der Oberförster der Provinz, verteidigt dieses Vorgehen:

    "Wir haben jetzt die Gelegenheit, uns zu überlegen, wie wir die Zukunft unserer Wälder gestalten wollen. Wir haben die jährlichen Rodungszusagen ausgeweitet, und es gibt jetzt tatsächlich mehr Arbeitsplätze. Aber die Kommunen sind besorgt über die zukünftige Holzzufuhr. Überall, wo wir Bäume roden, pflanzen wir deswegen neue, gesunde und junge Bäume wieder an."

    Käferexperte John MacLean von der University of British Columbia ist trotzdem besorgt. Denn wenn die globale Erwärmung weiter zunimmt, besteht die Gefahr, dass der Käfer irgendwann die Rocky Mountains überquert und sich auch in der Provinz Alberta ausbreitet. Dort wachsen vor allem Strauchkiefern, die möglicherweise ein gefundenes Fressen für die Käfer wären:

    "Die große Sorge ist, dass der Käfer sich an den neuen Baum anpassen könnte. Und wenn er da Erfolg hat, dann könnte er sich über ganz Kanada ausbreiten."