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Kampfansage an die Mutter aller Krebszellen

Medizin. - Der Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, reiste Ende vergangener Woche nach Kanada, um gemeinsam mit dem Premierminister der Provinz Ontario, Dalton McGuinty, ein Bündnis einzugehen. Labors beider Länder sollen gemeinsam ein noch wenig beleuchtetes Feld auf dem Gebiet der Onkologie erforschen: Krebsstammzellen, aus denen immer wieder neue Tumore entspringen können. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet über die Forschung im Gespräch mit Uli Blumenthal.

    Uli Blumenthal: Herr Winkelheide, Sie waren in den vergangenen zwei Wochen für Forschung aktuell in Kanada un den USA unterwegs. Wie kam es denn zu der Kooperation zwischen Kalifornien und Ontario?

    Martin Winkelheide: In Kanada sind die Grundlagen gelegt worden für dieses Konzept der Krebs-Stammzellen. Thomas Hudson, der Präsident des Krebsforschungszentrums Ontario in Toronto sagte mir, man habe nach starken Verbündeten gesucht und sie eben in Kalifornien gefunden:

    "Die meisten, genau gesagt 70 Prozent aller Labore, die Krebsstammzellen erforschen, sind in Kalifornien und in Kanada angesiedelt. Diese Wissenschaftler schließen sich jetzt zu einem Forschungsverbund zusammen. Ein Ziel ist, gemeinsam Standards zu entwickeln."

    Winkelheide: Er hätte Partner natürlich auch finden können etwa in Boston an der Ostküste der USA, aber man hat eigentlich auf die stark wachsende Stammzellforschung in Kalifornien gesetzt. Das Startkapital für diesen Forschungsverbund kommt aus Kanada, beträgt 30 Millionen kanadische Dollar. Das Ganze ist aber erweiterungsfähig und Thomas Hudson erzählte mir auch, dass man offen sei für andere Kooperationen, etwa aus Europa.

    Blumenthal: Was steckt nun wissenschaftlich hinter diesem Krebsstammzellen-Konzept?

    Winkelheide: Man weiß, dass in vielen Tumoren so genannte Krebsstammzellen enthalten sind. Das sind wenige Zellen, also eine Zelle auf 100 Krebszellen, oder eine auf 1000 Krebszellen. Während man früher gedacht hat, alle Krebszellen sind gleich und es kommt darauf an, möglichst viele Krebszellen abzutöten oder dazu zu bringen, dass sie Selbstmord begehen, merkt man jetzt immer mehr, dass die Krebsstammzellen wahrscheinlich die entscheidenden Zellen eines Tumors sind, denn aus ihnen kann ein Tumor sich komplett neu entwickeln.

    Blumenthal: Das heißt also, Stammzellen, aus denen sich alle Tumorformen bilden können?

    Winkelheide: Der Name ist ein bisschen missverständlich. Man sagt zwar, Krebsstammzellen, aber man weiß nicht, woraus entwickeln sich diese Krebsstammzellen. Sind das immer die normalen Stammzellen, die wir kennen und die wir in unserem Körper auch brauchen, um Gewebe zu regenerieren und zu erneuern, oder können auch andere Zellen zu Krebsstammzellen werden. Das ist ein großes Fragezeichen. Man weiß für einige wenige Tumore, dass es nicht unbedingt normale Körperstammzellen sein müssen, aus denen Krebszellen werden. Was man weiß, ist, dass sich Zellen genetisch verändern müssen, dass sie reprogrammiert werden und dass dann aus ihnen eine Krebsstammzelle wird. Diese Krebsstammzelle hat eben die Eigenschaft, dass sie sich vermehren kann, dass sie unsterblich ist und dass aus ihr ein ganzer Tumor werden kann.

    Blumenthal: Was heißt das jetzt so bei den ersten Ansätzen für die Behandlung beispielsweise?

    Winkelheide: Man versteht jetzt zumindest besser, warum die Behandlung manchmal nicht funktioniert. Man sieht ja häufig, dass ein Tumor operiert wird, dass eine Chemo- oder eine Strahlentherapie sich anschließt und alles scheint gut, die Krankheit scheint besiegt und nach zehn, 15 Jahren tritt sie doch wieder auf. Die Vorstellung ist, dass diese Krebsstammzellen in einer Nische relativ unangreifbar für Chemotherapeutika ruhen und dass sie irgendwann durch welche Signale auch immer aufgeweckt werden und dann beginnen, einen neuen Tumor zu bilden.

    Blumenthal: Das heißt aber nicht, dass jeder Mensch, der noch nie Krebs hatte, auf jeden Fall ein Reservoir an Krebsstammzellen in seinem Körper hat?

    Winkelheide: Nein, er hat normale Stammzellen und damit eine Krebsstammzelle entsteht, dazu müssen eben auch genetische Veränderungen erst einmal passieren. Das heißt aber, wahrscheinlich haben die meisten Menschen, die einen Krebs haben, auch Krebsstammzellen, und das macht es eben so besonders, weil man diese Zellen jetzt versuchen muss, zu bekämpfen. Die Frage ist, wie macht man das am besten. Die Konzepte, die im Moment entwickelt werden, sind, dass man sagt, wenn diese Zellen in einer Nische ruhen, dann muss man versuchen, sie aufzuwecken und dazu zu bringen, dass sie sich teilen, damit sie angreifbar werden für die Chemotherapie. Aber das steckt noch in den Kinderschuhen.